Bottrop. Mit 79 tritt Gislinde „Linde“ Schewitz zwar kürzer, aber Bottrops Kultkneipe bleibt die Oberhausenerin treu: „Ich kann nicht nur herumsitzen!“

Ruhestand mit 63 oder 67: Darüber kann Gislinde Schewitz nur leise lächeln. Nicht laut oder hämisch, das ist nicht ihre Art. Dafür, dass sie selbst schon seit 57 Jahren das zuweilen harte, raue Geschäft der Gastronomie in- und auswendig kennt, wirkt die Oberhausenerin, die seit Jahren die Küche inBottrops Kultkneipe Hürter schmeißt, ruhig, fast zurückhaltend.

Im September wird sie 80. Ans Aufhören denkt sie nicht. „Ich kann doch nicht nur die ganze Zeit auf dem Sofa sitzen und in der Stadt herumlaufen und shoppen, dafür bin ich einfach nicht der Typ.“

Im Hürter fühlt sie sich wohl. Immerhin gehört sie dort zum Urgestein, obwohl sie „erst“ 15 Jahre dort arbeitet. Alle anderen, selbst Wirtin Ramona Fleer, seien nach ihr gekommen. Eingestellt wurde sie 2009 noch von Ossi Maier, dessen Familie wiederum das Traditionshaus von der namensgebenden Eigentümerfamilie übernommen hatte. Damals hatte Gislinde Schewitz gerade ihr eigenes Lokal aufgegeben: die Talschänke in Frintop, im sogenannten Dreistädte-Eck von Essen, Oberhausen und Mülheim. Ein Traditionshaus mit Biergarten, bürgerlicher Küche, eher Ausflugslokal als Kneipe.

Inzwischen ist Linde Schewitz das Urgestein bei Hürter, dabei arbeitet sie „erst“ 15 Jahre dort

Im Hürter hat sie erst einmal die Speisekarte von Ossi „aufgeppt“, also eher: ganz neu geschrieben. Damals stand sie noch fünf, sechs Tage in der Woche am Herd.

Heute sind es noch drei, donnerstags bis samstags. Aber was bei Hürter die Küche verlässt, trägt eindeutig ihre Handschrift („Auch, wenn ich nun einen sehr netten Kollegen dazu bekommen habe.“). Die Soßen: selbst hergestellt. „Da kommt nix aus der Tüte.“ Jägerschnitzel mit Dosenpilzen? „Soweit wollen wir es doch nicht kommen lassen!“

Dass sie die Schnitzel aus dem Rückenstück selbst schneidet, dann in der Pfanne brät, nicht in die Fritteuse wirft, sogar den Krautsalat selbst herstellt, dies sind nur Schlaglichter auf das, was man getrost als ehrliche Wirtshausküche beschreiben kann.

Und dann Hürters – also Lindes – Frikadellen. Auch die entstehen mehrmals pro Woche frisch. Denn nichts sei schlimmer, als wenn die schon eine Woche in der Kühlung liegen. Dann sei der Geschmack raus, locker seien die dann auch nicht mehr. Selbst Tatort-Kommissar Jörg Hartmann erwähnte kürzlich bei seiner Lesung im Hürter Lindes Frikadellen. Dass Linde Schewitz eine Wirtsvergangenheit jenseits des Ruhrgebiets hat, erfahren wir erst nach intensivem Fragen. Ihre Eltern hatten schon einen großen Gasthof mit Biergarten bei Augsburg.

Für ihren Ehemann verließ sie Bayern und kam ins Ruhrgebiet, nach Oberhausen

Einen Draht ins Revier hatte sie da aber längst. Ihr Großvater sei von Bayern beruflich nach Oberhausen versetzt worden, im Haus ihrer Großeltern in Oberhausen lernte sie dann ihren Mann kennen, mit dem die gelernte Friseurin dann über 50 Jahre verheiratet war. „Durch ihn bin ich hier hängengeblieben.“

Und ja: Sie hat die Zeit noch erlebt,als Bergbau und Schwerindustrie brummten. „Das mit den Fensterbänken, die manchmal zweimal am Tag vom schwarzen Staub gereinigt werden mussten, habe ich erlebt. Das kannten wir im Schwäbischen natürlich nicht, hat mich aber auch nicht geschockt.“ Seit dieser Zeit habe sie immer einen Draht nach Oberhausen gehabt. Seit vielen Jahren besitzt sie dort ein Haus, am Rand der Innenstadt, in dem auch ihre Tochter mit der Familie lebt.

Ihr erster eigener Laden war eine typische Bergmannskneipe in Castrop-Rauxel

Ihr erster eigener Laden sei übrigens eine echte Bergarbeiterkneipe gewesen, in Castrop-Rauxel, das „Laternchen“ in Habinghorst. „Da kamen die Männer noch täglich nach der Schicht und ließen anschreiben, ganz klassisch, bis Zahltag war.“

Danach hatte sie noch mehrere eigene Betriebe, auch Haus Kuhlmann in Dellwig, bis dann eben die Talschänke kam. Manches habe sich verändertin der Gastronomie. Am einschneidendsten findet sie aber die Personalsituation. „Selbst vor sieben, acht Jahren, war es kein Problem, Angestellte oder Aushilfen zu finden, egal, ob im Service oder in der Küche.“

Ortswechsel: Normalerweise ist Gislinde Schewitz nicht an Hürters Tresen zu finden, sondern wirbelt in der Küche. Aber sie mag die urige Gaststätte, denn Orte, an denen man mal eben ein Bierchen an der Theke trinken kann, werden seltener.
Ortswechsel: Normalerweise ist Gislinde Schewitz nicht an Hürters Tresen zu finden, sondern wirbelt in der Küche. Aber sie mag die urige Gaststätte, denn Orte, an denen man mal eben ein Bierchen an der Theke trinken kann, werden seltener. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Wenn sie früher eine Anzeige geschaltet habe für Aushilfen, selbst nur als Spülkraft oder Küchenhilfe, seien bestimmt zehn Leute in die Talschänke gekommen und hätten sich vorgestellt. Heute? „Da kommt fast niemand. Vielleicht ist es zu einfach, Geld vom Staat, also von den Steuerzahlern zu bekommen, anstatt sich selbst zu bemühen.“ Aber Linde Schewitz weiß auch, dass es viele Ältere gibt, die Arbeiten müssten, um mit einer Minirente trotz jahrzehntelanger Arbeit über die Runden zu kommen. Eine Ungerechtigkeit gegenüber denen, die nie gearbeitet haben und alles bekämen, sei das schon.

  • Security-Boss soll Frau vergewaltigt und verletzt haben
  • Giftiger Stoff ausgetreten: Sechs Personen verletzt
  • Viele Einsen: So gut haben die Abiturienten abgeschnitten
  • Kletterarena öffnet nicht mehr für Einzelbesucher
  • Kirchhellens Super-Spielplatz kommt 2025

Als sie im Hürter anfing, war sie schon im Rentenalter. Aber so ganz ohne Arbeit? „Noch nicht! Ich mag die Gastronomie, freue mich, wenn es den Gästen gut geht, wenn‘s schmeckt und im Gegensatz zur Selbstständigkeit muss ich mich heute nicht mehr um Papierkram, Finanzamt und Personalorganisation kümmern, was ich liebe, ist Service und Küche.“ Solange sie fit und beweglich bleibt, noch Auto fahren kann, wird sie weitermachen. DasAuto sei wichtig. „Mit Bus und Zug, vor allem abends, das ist mir zu unsicher.“

Als ihr Mann vor sieben Jahren starb, habe ihr die Arbeit auch geholfen, über den Verlust hinwegzukommen. Im Hürter fühlt Linde Schewitz sich wohl. Ein gutes Klima, nette Leute, von der Chefin bis zu allen Kolleginnen und Kollegen. „Ich glaube, sonst würde ich das auch nicht mehr machen.“ Ein Glück, fürs Hürter und dessen Gäste.