Berlin. Das neue Album der preisgekrönten Musikerin klingt überraschend fröhlich. Ein Gespräch über Morgenrituale und den Lohn des Übens.

Norah Jones, in Texas geborene Tochter des Sitar-Gottes Ravi Shankar, wurde vor 23 Jahren mit ihrem ruhigen wie betörenden Debütalbum „Come Away With Me“ zum Weltstar und nimmt seither mit großer Konstanz qualitativ hochwertige Platten zwischen Jazz, Pop, Folk und Soul auf. Auf ihrem neunten Album „Visions“, das sie gemeinsam mit Leon Michels schrieb und produzierte, dem ehemaligen Multi-Instrumentalisten von Sharon Jones & the Dap-Kings, klingt die 44-jährige Mutter von zwei Grundschulkindern so putzmunter und kess wie lange nicht mehr.

Norah Jones, hatten Sie ein angenehmes Wochenende?

Norah Jones: Aber ja, wir konnten ein paar wunderbare Tage verbringen. Letzte Woche waren Ferien in New York, und mein Mann und ich haben die Kinder ins Auto gepackt und haben einen kleinen Ausflug gemacht. Das war richtig schön. Der erste Schultag war dann nicht ganz so entspannt (lacht).

Hören Sie Ihre eigene Musik im Auto?

Jones: Bin ich denn wahnsinnig? (lacht) Nein, ganz bestimmt nicht. Das will ich den Kindern nicht zumuten. Die hören meine Stimme eh schon den ganzen Tag.

„Visions“ ist ein heiteres, über weite Strecken fröhliches und lebenslustig klingendes Album. Was war Ihre, Verzeihung, Vision für „Visions“?

Jones: Ich könnte jetzt irgendeine beeindruckende Geschichte erzählen, doch die Wahrheit ist, dass es eigentlich keine Vision gab. Ich gebe auf jedem Album mein Bestes, stecke viel von mir und meinen Gefühlen hinein und wenn es fertig ist, lasse ich es ziehen in die Welt. Ein bisschen ist es, wie mit den Kindern. Du kümmerst dich und irgendwann stehen sie auf eigenen Füßen. „Visions“ aufzunehmen, war jedenfalls eine Arbeit, die ich geliebt habe. Wir hatten richtig viel Spaß und wir spürten früh, dass dieser Spaß im Mittelpunkt stehen sollte. Ich habe eine echt fantastische Band am Start und mit Leon Michels einen Produzenten, mit dem es ein sehr, sehr großes Vergnügen war, diese Lieder zu entwickeln.

Ihr vorangegangenes Album „Pick Me Up Off The Floor“ klang 2020 deutlich dunkler und trauriger. Hat sich bei Ihnen ganz persönlich viel verändert, dass die Stimmung auf „Visions“ so viel freundlicher ist?

Jones: Nein, im Grunde ist alles beim Alten. So ganz erklären kann ich auch das nicht. Ich reflektiere in meiner Musik, wo ich mich zu der Zeit ihres Entstehens emotional und kreativ befinde. Ein bisschen was Trauriges gibt es auch auf dieser Platte, aber der Sound ist schon ein ziemlich heiterer, das stimmt, und fußt vor allem auf dem musikalischen Fundament, das Leon Michels und ich gebaut haben.

Leon Michael spielte als Multi-Instrumentalist bei den Dap-Kings, der Band der verstorbenen Gospel- und Soulsängerin Sharon Jones. Woher kennen Sie sich?

Jones: Wir leben beide in Brooklyn und sind schon lange befreundet. Leon spielt Saxophon auf ein paar meiner Alben, ich fragte ihn 2021, ob er mein Weihnachtsalbum „I Dream Of Christmas“ produzieren wolle, und das hat uns so viel Spaß gemacht, dass wir nun auch diese reguläre Platte zusammen gemacht haben. Unsere Herangehensweise war die, dass wir einfach drauflosschreiben und drauflosspielen, ohne Parameter, ohne Zeitlimit, ohne Druck.

Die Aufnahmen gingen also leicht von der Hand?

Jones: Manche Songs brauchten ein bisschen länger, bis wir sie geknackt hatten. Alles in allem waren wir anderthalb Jahre mit „Visions“ beschäftigt. Aber nicht am Stück, sondern in vielen kleinen Etappen. Oft trafen wir uns nur für ein paar Stunden pro Woche. Meistens dann, wenn seine und meine Kinder in der Schule waren.

Irgendwie klingen Sie ein bisschen generalaufgefrischt, kann das sein?

Jones: Leons Klanglandschaften sind zeitlos und doch immer so ein bisschen ungewöhnlich. Als Sängerin fühle ich mich in seiner Soundwelt sauwohl. Und persönlich geht es mir gut, ich kann mich über nichts beklagen. Zumindest, solange ich nicht die Nachrichten einschalte oder über den Präsidentschaftswahlkampf in den USA nachdenken muss. Das kann einem wirklich die Laune vermiesen.

Im ersten Stück „All This Time“ hört man direkt die Vögel zirpen.

Jones: Das sind die Vögel aus Leons Garten. Wir haben im Studio einfach die Tür aufgemacht, das war eine Spontanidee von mir. Der gesamte Song hat so etwas von Aufbruch, von Sonnenaufgang.

Mögen Sie es, mit den Vögeln aufzustehen?

Jones: Naja mögen ist zu viel gesagt. Ich würde schon auch gerne öfters ausschlafen. Aber wann hat man dazu schon mal die Möglichkeit, mit zwei Schulkindern? Also schwinge ich mich morgens immer sehr zügig aus dem Bett, sobald der Wecker klingelt. Lange rumliegen und ein bisschen träumen, ist definitiv kontraproduktiv (lacht).

Wie fangen Sie üblicherweise den Tag an?

Jones: Mit dem Schreiben und Beantworten von E-Mails.

Das ist jetzt ganz schön wenig glamourös.

Jones: Ich weiß, besonders romantisch ist das nicht. Der Rest meiner Familie findet das auch total ätzend. Aber ich mag es, gleich nach dem Aufstehen Zeugs zu erledigen, dann die Kinder zur versorgen und zur Schule zu bringen. Der Morgen ist bei uns immer ein Rennen gegen die Zeit. Wenn alles erledigt ist, unternehme ich gerne einen kleinen Spaziergang.

Ihr Sohn ist neun, Ihre Tochter sieben. Vor einigen Jahren sagten Sie, die beiden würden sich nicht für Musik interessieren. Ist das noch so?

Jones: Nein, tatsächlich lieben sie inzwischen das Musikmachen. Aber sie hassen es zu üben. Immer, wenn sie Klavierstunden bekommen sollen, sind sie am Meckern. In dem Punkt lassen wir allerdings nicht mit uns diskutieren. Das Üben tut ihnen gut. Seit Kurzem haben wir einen kleinen Deal mit den Kids geschlossen: Je mehr eigene Songs sie schreiben, desto weniger Unterricht bekommen sie. Das finden sie cool.

Norah Jones bei einem Konzert in Los Angeles, 2022.
Norah Jones bei einem Konzert in Los Angeles, 2022. © picture alliance / NurPhoto | Image Press Agency

Haben Sie selbst denn in dem Alter gerne geübt?

Jones: Nein, ich habe es verabscheut (lacht). So sehr, dass ich für ein Jahr sogar komplett mit dem Klavierspielen aufgehört hatte. „Na gut, dann lass es halt“, sagte meine Mutter. Ein Jahr später stand für mich plötzlich die Welt Kopf, denn durch einen anderen Musiklehrer entdeckte ich den Jazz. Diese Musik entfachte ein Feuer in mir, das bis heute nicht aufgehört hat zu brennen.

Zu welcher Musik tanzen Sie?

Jones: Wenn ich in der passenden Stimmung bin, tanze ich zu allem. Ich bin da nullkommanull wählerisch und richte mich ganz nach meinem Gefühl. Ich kann aber sagen: Wenn ich tanze, dann tanze ich oft stundenlang ohne Pause.

Ihr Produzent Leon Michels ist ein großer Vinylliebhaber. Sie selbst waren eine der letzten Künstlerinnen des CD-Zeitalters, die noch richtig viele Tonträger verkauft hat. Denken Sie, dass Streaming Ihrer Musik gerecht wird?

Jones: Also, Vinyl ist definitiv das allerschönste Format, um Musik zu hören. Mit unseren Ohrstöpseln und Handys vergessen wir oft, wie fantastisch ein Vinylalbum klingt. Ich habe keine Riesensammlung so wie Leon, aber so einige Schallplatten besitze ich durchaus. Ich versuche gerade, die Kinder dafür zu begeistern. Schwierig. Immerhin wissen sie schon, wie man eine Platte auflegt.

Das Cover zu Norah Jones‘ neuem Album „Visions“.
Das Cover zu Norah Jones‘ neuem Album „Visions“. © DPA Images | -

Ist es euch wichtig, den Kindern diese Magie näherzubringen?

Jones: Ja, schon. Wobei mein Mann und ich nicht besonders repräsentativ sind. Wir sind halt Musiker und in diesen Fragen ganz schön voreingenommen (lacht). Dennoch ist es schön, wenn die Kids wissen, wo die Dinge herkommen. Sie verstehen gar nicht, dass wir in meiner Generation noch nicht sämtliche Medienangebote mit einem Fingerschnipsen zur Verfügung hatten. Wir mussten noch eine Woche warten, bis die nächste Folge unserer Lieblingsserie kam. Und wir sind noch in Läden gegangen, haben dort Platten probegehört und nicht selten dann auch gekauft.

Sie haben in Ihrer Karriere bisher neun Grammys gewonnen, die meisten davon für ihr legendäres Debütalbum „Come Away With Me“, das 2002 rauskam und eine Revolution auslöste. Damals hatten Sie eine ähnlich dominierende Rolle in der Popmusik wie heute Taylor Swift. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?

Jones: Sehr lebhaft. Es war verrückt, es war der Wahnsinn, es war monsteranstrengend und gleichzeitig war es aufregend und lustig. Ich war 22, 23, plötzlich lag dieses tonnenschwere Gewicht auf meinen Schultern, es war schon viel für mich damals. Ich empfinde es als ein großes Glück, dass ich diesen Erfolg umwandeln konnte in eine lange Karriere. Dass ich immer noch hier bin und heute das alles total genieße.

Aber sind Sie auch erleichtert, dass der Irrsinn ein Ende hatte?

Jones: Ja, natürlich. Ich weiß nicht, ob ich heute noch immer so hart arbeiten wollte. Ein hohes Level von Erfolg zu halten, erfordert ein übermenschliches Maß an Anstrengung. So eine Karriere fällt ganz bestimmt niemandem in den Schoß.