Gladbeck. Propst Müller sagt offen, dass er manchmal an seiner Kirche verzweifelt. Jetzt verlässt er Gladbeck gen Oberhausen – für eine „Herkulesaufgabe“.

2004 ist André Müller nach Gladbeck gekommen, damals noch als Pfarrer an St. Johannes. Eine Kirche, die es so heute gar nicht mehr gibt – zumindest nicht als Gebäude. Am Sonntag wird sich André Müller aus Gladbeck verabschieden. Als Propst und Pfarrer von St. Lamberti endet dann sein Wirken als Priester in der Stadt, die für ihn in all den Jahren auch „ein Stück Heimat“ geworden ist.

Lässt man diese fast 20 Jahre Revue passieren, dann fällt auf, dass er es seiner Heimat nicht immer leicht gemacht hat – umgekehrt gilt das auch. Schließlich war es Müller, der einen der größten Veränderungsprozesse der Kirche vor Ort organisieren und moderieren musste – die Zusammenlegung zu einer Stadtpfarrei, verbunden mit der Schließung einiger Kirchengebäude.

Teils schmerzhafter Pfarreientwicklungsprozess in Gladbeck

Ein schmerzhafter Prozess für alle Beteiligten, und Müller weiß auch, dass es nicht gelungen ist, alle Menschen dabei mitzunehmen. Das habe auch bei ihm Wunden hinterlassen, das tue im Rückblick auch immer noch weh, sagt er im Gespräch. Dass auch an anderen Stellen bei großen Veränderungsprozessen Menschen enttäuscht seien, nicht mitgingen, das sei kein Trost, sagt der Propst.

2009 wurde Karl-Heinz Berger (l.) als Propst von St. Lamberti verabschiedet, und André Müller, bisher Pfarrer an St. Johannes in Gladbeck, trat seine Nachfolge an.
2009 wurde Karl-Heinz Berger (l.) als Propst von St. Lamberti verabschiedet, und André Müller, bisher Pfarrer an St. Johannes in Gladbeck, trat seine Nachfolge an. © WAZ FotoPool | Hopfe, Michaela

In Oberhausen steht ihm wieder ein großer Veränderungsprozess bevor. Noch gibt es dort in der Stadt vier Pfarreien. Müllers Auftrag: Aus den vier Oberhausener Pfarreien soll eine Stadtpfarrei werden. „Eine Herkulesaufgabe“, das weiß er schon jetzt. Im November beginne das Projekt in Oberhausen, 2025 soll es abgeschlossen sein. Dort ist er nun ganz gefordert.

„Drei Großpfarreien zu leiten, war jetzt schon grenzwertig“

Und das ist auch der Grund, warum er seine Gladbecker Pfarrei verlässt. „Drei Großpfarreien zu leiten, war jetzt schon grenzwertig“, sagt Müller mit Blick darauf, dass er ja schon jetzt in Oberhausen die Verantwortung für zwei der noch vier Pfarreien trägt. Er sei jetzt 55 Jahre alt, einen Großteil seines priesterlichen Lebens habe er in Gladbeck verbracht, seit zwei Jahren dränge auch der Bischof auf einen Stellenwechsel, so dass nun der Punkt gekommen sei. Auch privat passt es nun. André Müllers Mutter leidet an Demenz, kann nicht mehr allein leben, sie wird in Gladbeck bleiben und ins Johannes-van-Acken-Haus ziehen.

Der Blick vom Kirchturm hinunter auf die Stadt – hier im Jahr 2009. Diese Aussicht hat Propst Müller von Zeit zu Zeit besonders genossen und sich abends auf den Kirchturm zurückgezogen.
Der Blick vom Kirchturm hinunter auf die Stadt – hier im Jahr 2009. Diese Aussicht hat Propst Müller von Zeit zu Zeit besonders genossen und sich abends auf den Kirchturm zurückgezogen. © WAZ FotoPool | Christoph Joemann

Damit ist auch klar: Selbst wenn Müllers beruflicher Schwerpunkt künftig in Oberhausen liegt, so wird er seine alte Heimat regelmäßig besuchen. „In all den Jahren hier sind selbstverständlich auch Freundschaften entstanden, die will ich weiterhin pflegen.“

Als Pfarrer stärker in Organisation und Projekte eingebunden

Als Müller zum Priester geweiht wurde, war die Kirche noch eine andere. Es gab die einzelnen Gemeinden und Pfarreien, die hatten ihren Pastor, und doch habe man schon damals gewusst, dass es sich ändern wird, sagt er. „Aber es war nicht klar, dass es so schnell gehen wird, sagt er angesichts der Veränderungen im Ruhrbistum in den vergangen zehn, 15 Jahren. André Müller ist Realist, für ihn ist klar, dass die Menschen der Kirche ihre Rolle und ihren Platz zuweisen werden.

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Klar habe sich seine seelsorgerische Arbeit verändert. „Damals in St. Johannes war ich für 47 Straßen zuständig. Heute sei er nicht mehr „so richtig auf dem Platz“, gibt er selber zu. Und bezogen auf seine Person: „Die Qualität der Basisarbeit ist weniger geworden.“ Als Pfarrer ist er stärker in administrative Prozesse, in Projekte und Managementaufgaben eingebunden. Das werde er, sagt Müller mit Blick auf die anstehenden Aufgaben in Oberhausen, in den nächsten Jahren auch weiter machen, „aber ob das so bis zu meiner Pension geht, das weiß ich nicht“.

Katholische Kirche in Gladbeck hat viele Mitglieder verloren

Der Realist in ihm weiß aber auch, dass die Kirche im Ruhrgebiet so handeln musste. Das „Gießkannenprinzip“, so nennt er es, funktioniere nicht mehr. Sicher, es gab früher den Vorteil der Nähe, man kannte sich, aber auch die Gesellschaft habe sich verändert, werde pluraler, darauf habe man auch als Pfarrei vor Ort reagiert. „Wir stellen uns in der Kirche in Fachbereichen auf.“ Und es gehe eben auch darum, diejenigen zu erreichen, oder zumindest nicht zu verlieren, die nicht die Gottesdienste besuchen. Grundsätzlich sagt Müller mit Bezug auf seine Berufung und seinen Beruf: „Es ist spannend und vielfältiger geworden, es ist vieles nicht mehr selbstverständlich, und man muss sich mehr anbieten, sich gleichzeitig aber nicht anbiedern.“

Die Demografie, aber auch der Vertrauensverlust, den die Kirche erfahre, seien Ursachen für diese Entwicklung. In seinen Anfangszeiten habe es in Gladbeck noch rund 33.000 Katholiken gegeben, heute seien es rund 27.000. André Müller gehört nicht zu denen, die Dinge beschönigen. Auch an seiner eigenen Kirche verzweifelt er manchmal und spricht es auch laut und deutlich aus – etwa mit Blick auf die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche. „Da sind Dinge geschehen, die für mich unvorstellbar sind.“ Was ihn besonders aufregt: In all den Jahren habe man nie die Opferbrille aufgesetzt, sondern nur auf die Täter geschaut, es sei vertuscht und geschwiegen worden.

André Müllers kritischer Blick auf den Zölibat

Auch den Zölibat sieht er kritisch, hat in einem WAZ-Gespräch verraten, dass er gern Kinder gehabt hätte und sich eine Kirche vorstellen könne, in der Priester heiraten und Kinder bekommen dürfen. Allerdings hatte er damals schon eingeschränkt, dass es diese Debatte so nur in Europa gebe.

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Zurück nach Gladbeck: Am Sonntag verabschiedet sich Propst Müller von den Gläubigen in der Stadt. Er verlässt St. Lamberti und damit auch seinen Lieblingsplatz, auf den er sich von Zeit zu Zeit an den Abenden zurückgezogen hat – den Kirchturm. Hier oben könne man die Stadt mit anderen Augen sehen, sehe auch, dass sie quasi aus acht Dörfern bestehe, jedes mit eigener Geschichte und eigener Identität, die zusammen eine Stadt bilden.

Verabschiedung mit Gottesdienst

Offiziell verabschiedet wird Propst André Müller am Sonntag, 17. September. Um 10 Uhr beginnt der Gottesdienst in der Lambertikirche am Kirchplatz in der Stadtmitte.

An die Messe schließt sich ein Beisammensein im Pfarrzentrum an. Dort gibt es die Möglichkeit zu Gesprächen und zur persönlichen Verabschiedung.

Die Nachfolge von André Müller als Propst in Gladbeck tritt Thomas Zander an. Er ist bisher Dompropst in Essen und wird in dieser Funktion am 26. November in einem feierlichen Gottesdienst von Bischof Franz-Josef Overbeck verabschiedet. Die offizielle Begrüßung Zanders in Gladbeck ist für den 3. Advent, 15. Dezember, geplant.