Mülheim. Die Böhme Fruchtkaramellen sind kaum unter ihrem offiziellen Namen bekannt. Das Rezept der bunten Bonbons ist ausgerechnet in Mülheim entstanden.

Die jecken Tage sind zu Ende. Die Süßigkeiten, die beim Rosenmontagszug aufgefangen wurden, vermutlich aber noch nicht aufgegessen. Wer sie genauer inspiziert, wird darunter sicher auch einige kleine quadratische Kaubonbons entdecken: Die „Böhme Fruchtkaramellen“ (Frukas) sind nämlich der Klassiker unter den Wurfmaterialien der Narren. Produziert werden sie Sachsen, erfunden aber wurden sie in Mülheim.

Wie die Bonbons eigentlich heißen – kaum einer weiß es, aber jeder hat sie schon mal gesehen. „Wenn man die Leute fragt, dann sagen fast alle: Die kenn’ ich noch aus meiner Kindheit. Die haben wir beim Bäcker oder Metzger als kleines Geschenk dazubekommen“, berichtet Tino Müller, Sprecher der Delitzscher Schokoladenfabrik, die die Frukas herstellt. Anderen Menschen sind sie geläufig, weil sie seit Jahrzehnten von den Karnevalisten in die Menge geschleudert werden. „Sie sind eben klein, leicht, bunt und lecker und lassen sich gut werfen“, erklärte Produktmanagerin Kathrin Knobbe dazu in einer ARD-Sendung.

Verpackung ist noch so wie einst bei Wissoll in Mülheim

Die Frukas gibt es in verschiedenen Geschmacksvariationen.
Die Frukas gibt es in verschiedenen Geschmacksvariationen. © Unbekannt | Andrea Müller

Das Erstaunlichste ist aber, dass das fruchtige Zuckerzeug noch genauso aussieht wie in den 50er Jahren, als es von der Mülheimer Süßwarenfirma Firma Wissoll auf den Markt gebracht wurde. Die Bonbons kommen also im Retro-Design daher, jedes ist in ein Papierchen eingepackt, das eine – altmodisch gestaltete – Kirsche, Himbeere, Zitrone oder Apfelsine zeigt. „Das ist wirklich ein Phänomen. Wir haben versucht, das Design zu modernisieren, es jugendlicher und frischer zu machen, aber das hat sich nicht bewährt“, berichtet Tino Müller. Auch das Abfüllen in eine andere modernere Umverpackung funktionierte nicht. „Keiner hat unserer Bonbons mehr gekauft“, so die Produktmanagerin. Man sei daher zur bewährten Verpackung zurückgekehrt – die durchsichtigen Plastikbeutel. Allerdings habe man das Bonbonpapier optimiert, den Aluminiumanteil darin erheblich reduziert.

Die Böhme Fruchtkaramellen gehören zu den Bestsellern der Delitzscher Schokoladenfabrik, die Nachfrage sei über die Jahrzehnte stabil geblieben, die Bonbons werden zu jeder Jahreszeit gut verkauft. „Besonders nachgefragt ist das Produkt aber im Januar und Februar, wenn Fasching näherrückt“, so Tino Müller. Die Karnevalsgesellschaften kaufen das Wurfmaterial dann auch gleich in Zwei- oder Drei-Kilo-Beuteln. Insgesamt 3,5 Millionen Fruchtkaramellen werden laut Kathrin Knobbe (TV-Beitrag) täglich in Delitzsch hergestellt. Legte man alle Bonbons aneinander, die im Jahr rausgehen, würde die Schlange von Sachsen bis nach Vietnam reichen.

Maschinen wurden nach der Wende von Mülheim nach Delitzsch gebracht

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Nicht nur das Äußere der flachen Frukas ist gleichgeblieben, „sie werden auch noch nach demselben Rezept wie einst gefertigt“, berichtet Werksleiter Sebastian Schliebe. In der Produktionshalle in Delitzsch stehen noch die alten Maschinen von Wissoll aus Mülheimer Zeiten. Sie wurden nach Sachsen gebracht, als Wissoll nach der Wende das Schokoladenwerk verkaufte und Teile seiner Produktion dorthin auslagerte (Wissoll selbst wurde 2003 verkauft). In den Knet- und Ziehmaschinen wird der Teig gerührt und geformt, noch in der Maschine werden die süßen Bonbons ins Papier verpackt. Es sei hauptsächlich (aber nicht nur) die quadratische Form, die die Böhmer Fruchtkaramellen von Konkurrenzprodukten wie etwa Maoam unterscheide.

Eine Knetmaschine walkt in der Delitzscher Schokoladenfabrik GmbH die Bonbonmasse durch. Die Bonbons werden nach einem Mülheimer Rezept aus den 50erJahren hergestellt.
Eine Knetmaschine walkt in der Delitzscher Schokoladenfabrik GmbH die Bonbonmasse durch. Die Bonbons werden nach einem Mülheimer Rezept aus den 50erJahren hergestellt. © ZB | Sebastian Willnow

In den karnevalsfreien Corona-Jahren ging der Absatz zurück, in diesem Jahr lief es laut Knobbe und Müller aber wieder sehr gut. Beliebt sind die Frukas in den alten sowie in den neuen Bundesländern. Ein Tiktok-Video hat die Bonbons jetzt auch bei den ganz jungen Leuten richtig bekannt und beliebt gemacht. Die Kaubonbons sind übrigens das einzige Produkt ohne Schokolade, das die Delitzscher produzieren. Bei der Geschmacksrichtung der Frukas scheiden sich die Geister. Während Firmenchef Darren Ehlert auf Grünen Apfel steht, mögen die meisten Käufer am liebsten die Kirschversion. „Wir sind nach wie vor in aller Munde“, fasst Tino Müller den Erfolg der Frukas in einem werbereifen Slogan zusammen.

Die Wissoll-Schokoladenfabrik war bis 2003 auf dem Tengelmann-Areal in Mülheim-Speldorf ansässig.
Die Wissoll-Schokoladenfabrik war bis 2003 auf dem Tengelmann-Areal in Mülheim-Speldorf ansässig. © Martin Möller / Funke Foto Services | Martin Möller

Dieser Text erschien erstmals im Februar 2023.