Duisburg und der tiefe Fall des MSV - eine Spurensuche
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Duisburg. Die DFL hat dem MSV Duisburg keine Zweitliga-Lizenz erteilt. Dem Verein bleibt nur noch der Gang vors Ständige Schiedsgericht. Bleibt es bei der Lizenzverweigerung, verabschiedet sich der Profifußball erst einmal aus der Stadt. Wie konnte das passieren? Eine Spurensuche zwischen Stadion und Rathaus.
An der Vereinskneipe des MSV Duisburg an der Westender Straße hängt ein Zettel: „Wiederbeginn Training Lizenzspielermannschaft 13. 06. 2013“. Das wäre der Donnerstag der kommenden Woche, doch es ist nicht sicher, ob der MSV dann überhaupt noch Lizenzspieler hat, die in der Zweiten Liga antreten. Die Deutsche Fußball-Liga hat dem Klub die Lizenz verweigert, und dem MSV bleibt nur der Gang vors Ständige Schiedsgericht des Deutschen Fußball-Bundes.
Die Sonne wagt sich in diesem Moment durch die Wolken und wirft ihr Licht auf den Zettel. Die Strahlen wärmen, aber in der momentanen Situation des Klubs kann man wohl selbst das auch als Beweis für die Klimakatastrophe werten.
Verweigert nämlich das Schiedsgericht ebenfalls die Lizenz, geht es ab durch die Dritte: Der MSV rauscht bis in die Regionalliga oder Oberliga. Der Profifußball in Duisburg löst sich dann auf wie eine Brausetablette, die ins Wasser gefallen ist. Wie konnte das passieren? Eine Spurensuche.
Auch Oberhausen, Essen und Wattenscheid stürzten ab
Man kann es sich dabei leicht machen. Rot-Weiß Oberhausen ist abgestürzt, Rot-Weiss Essen und die SG Wattenscheid 09. Vereine aus Ruhrgebietsstädten, denen es nicht rosig geht. Und jetzt eben Duisburg. Bergbau weg, Rocker-Kriege in den Straßen, die Katastrophe der Love-Parade, Pfusch am Bau bei der Mercatorhalle, Ärger um die Delfine im Zoo und nun auch noch der Lizenzentzug beim MSV. Passt doch.
So einfach, so falsch!
5000 MSV-Fans demonstrieren
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Aus dem Profifußball sind auch Klubs aus Städten gepurzelt, denen es gut geht: Preußen Münster, Alemannia Aachen, Fortuna Köln. Und mit Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04 kommen Top-Vereine aus Ruhrgebietsstädten. Es muss also andere Ursachen geben.
Spaziert man mit Joachim Hopp durch Duisburg, bleibt man oft stehen. „Mensch Hoppi, wie isset?“ Jeder kennt Hopp. Er hat in den 90er- Jahren morgens um sechs Uhr in der Frühschicht bei Thyssen am Hochofen gearbeitet und samstags im Zebra-Trikot gegen Bayern München aufgeräumt. „Am Hochofen hab’ ich malocht wie alle anderen“, sagt er. „Bis mir die Suppe den Arsch runtergelaufen ist.“ Hopp spricht so, dass ihn die Leute auf der Straße gut verstehen.
Hopp wohnt in Meiderich
Doch irgendwann haben sie ihn beim MSV verscheucht. Eitelkeiten, Streitigkeiten nach Kritik. „Die hören auf niemanden und verpflichten lieber noch ein paar Jungs aus dem Ausland als Jungs aus der Umgebung. Da kann sich niemand mehr mit identifizieren.“ Hopp schüttelt den Kopf. „Das ist doch Mist!“ Er sagt dennoch „mein Verein“, wenn er über die Zebras spricht. Er ist mittlerweile 46 Jahre alt und wohnt in Meiderich, nur drei Querstraßen hinter dem Trainingsgelände.
Dort, wo das Herz des Klubs schlägt. Der MSV wurde in der ersten Bundesliga-Saison 1963/64 deutscher Vizemeister. Torwart Manfred Manglitz und Heinz Höher kamen aus Leverkusen, Weltmeister Helmut Rahn aus Essen, der Rest: aus Meiderich. Günter Preuß, der Kapitän des Vizemeisters, hat es in seiner Bar im Dachgeschoss seines Meidericher Hauses so beschrieben: „Wir Jungs haben schon als Schüler auf der Straße gegeneinander gespielt. Von uns ist keiner abgehoben, wir haben eben hier gewohnt und für den Verein von hier Fußball gespielt.“
Und das ziemlich gut. Die Stadt begriff, welch’ bundesweite Strahlkraft die Bundesliga besaß. Sie baute die Tribüne für 10 000 Zuschauer im Wedaustadion, als Gegenleistung benannte sich der Meidericher Spielverein um in MSV Duisburg. Die Stadt hatte es auf die Fernsehlandkarte der Sportschau geschafft.
Anwalt Kletke vertritt MSV Duisburg vor Schiedsgericht
Ortswechsel: Die Arena, dort, wo früher das Wedaustadion stand. Im Fanshop gibt es seit Montag die Trikots für die neue Saison. Vier Leute sind da und kaufen, den Dauerkartenverkauf hat der Klub gestoppt. Anwalt Horst Kletke tritt in die Sonne vor dem Eingang. Der MSV hat ihn aus Frankfurt geholt. Kletke kennt sich im Fußball-Recht aus, er soll den MSV vor dem Schiedsgericht vertreten. Er kann dabei keine Unterlagen nachreichen, er kann nur für eine neue Interpretation der vorliegenden Fakten sorgen.
Der Rasen auf den Parkplätzen ist nicht mehr gemäht. Vor 30 Jahren stieg an dieser Stelle Bernard Dietz nach einem Spiel in seinen Wagen. Nach ihm, dem damaligen Kapitän der Nationalelf, haben sie den Klub MSV Dietzburg genannt. Schon damals taumelten die Zebras, Dietz war sich mit Eintracht Frankfurt über einen Wechsel einig. Die Szene vom Parkplatz hat er so in Erinnerung: „Am Auto wartete ein Ehepaar mit zwei Kindern auf mich. Die Frau weinte und sagte: Sie dürfen doch nicht einfach weggehen. Auf der Rückfahrt nach Hause habe ich den Spiegel so gedreht, dass ich mich anschauen konnte. Nach fünf Minuten war klar: Ich bleibe Duisburger.“
So hat Fußball in Duisburg Jahrzehnte funktioniert. So funktioniert er nicht mehr.
Solidarität mit dem MSV
Der nächste Ortswechsel: Das Duisburger Rathaus. Am späten Nachmittag hallen die Schritte auf den leeren Fluren. Solidarität mit einem Verein zeigt sich heute nicht mehr mit einem Wimpel an der Tür. Oberbürgermeister Sören Link (SPD), er ist 36 Jahre alt, hat ein Foto von sich auf Facebook veröffentlicht. Auf dem Bild trägt er eine MSV-Kappe, eine MSV-Jacke und ein blau-weißes Halstuch. Dazu schreibt er: „Jetzt erst recht! Ich sage Ja zum MSV.“
Draußen, vor der Rathaus-Tür, ist es ein Nachmittag wie tausend andere zuvor. Von einem Balkon flattert eine Fahne, viel mehr ist vom MSV nicht zu sehen. Achim Merwein sitzt im Zebra-Trikot im Eiscafé. Er isst einen Nussbecher. „Keine Ahnung, was der Vorstand mit meinem Verein gemacht hat“, sagt er. So geht es vielen. Wer hat wann genau was falsch gemacht? Die Antwort würde ein Buch füllen. Es ist eine Summe von Fehlern, die über Jahre zum Absturz geführt haben. Achim Merwein blickt zu Boden, als habe er dort etwas verloren. Vielleicht seine Hoffnung.
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