Wesel. Frank Rothkopf, Vorsitzender des Stadtsportverbandes, beleuchtet im NRZ-Interview die Situation 2023 und wagt auch einen Blick voraus.

Erstmals seit 2019 endet nun wieder ein Sportjahr, in dem die Coronavirus-Pandemie überhaupt keine Rolle mehr spielte. Wie das Jahr 2023 im Bereich des Weseler Sports ausgefallen ist, darüber sprach die NRZ mit Frank Rothkopf, der seit 2010 Vorsitzender des Stadtsportverbandes Wesel ist und auch davor schon im Vorstand der Dachorganisation der Weseler Sportvereine gearbeitet hat.

Welche Schulnote können Sie dem Weseler Sport für 2023 geben?

Frank Rothkopf: Tendenziell gab es schon bessere Jahre mit besseren Leistungen. Meiner Meinung nach hat das Sportjahr 2023 die Note 3 verdient.

„Der Hanse-Citylauf hat sich gut entwickelt“

Was waren auf sportlicher Ebene die Höhepunkte in Wesel?

Aus der Sicht des Stadtsportverbandes gehören dazu der Hanse-Citylauf, der sich gut entwickelt hat, und auch das neue Domspringen war in meinen Augen sehr gelungen. Zudem finde ich den Fußball in Wesel ebenfalls ansprechend.

Vereine in Bocholt finanziell besser ausgestattet

Aber im Gegensatz zu früheren Jahren, als beispielsweise der SV Bislich, GW Flüren oder die mittlerweile nicht mehr existierenden Weseler Zebras in der Bezirksliga kickten, gibt es doch nun nur noch den PSV Lackhausen und dann ganz lange Zeit nichts…

Das ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass der Mittelstand in Wesel wenig ausgeprägt ist. Das sieht beispielsweise in Bocholt ganz anders aus, da sind die Vereine finanziell besser ausgestattet.

Bei dem Aufwand wollen viele, dass auch finanzielle Mittel fließen.
Frank Rothkopf über die Fußballer in der Hansestadt.

Ein Landesligist, ein A-Ligist und ansonsten maximal Kreisliga B – der Aderlass im Weseler Fußball ist doch schon enorm…

Das kann und muss ich leider unterschreiben. Dies liegt auch an der allgemeinen Situation. Es gibt immer weniger Spieler, die dreimal in der Woche trainieren und dann auch noch am Wochenende Partien bestreiten wollen. Bei dem Aufwand wollen viele, dass auch finanzielle Mittel fließen.

Im Weseler Fußball thront der PSV Lackhausen weit über der innerstädtischen Konkurrenz. Youngster Max Mahn (grünes Trikot) hat es dabei im zweiten Halbjahr auf stolze 19 Treffer in der Landesliga gebracht.
Im Weseler Fußball thront der PSV Lackhausen weit über der innerstädtischen Konkurrenz. Youngster Max Mahn (grünes Trikot) hat es dabei im zweiten Halbjahr auf stolze 19 Treffer in der Landesliga gebracht. © Wesel | Karl Banski

Setzt die aktuelle Generation also andere Prioritäten?

Genau, das höre ich auch von vielen Vereinen. Dass nach den Spielen noch zusammengesessen wird, dies geschieht immer seltener. Welche Vereine machen denn auch noch eine Weihnachtsfeier? Auf der breiten Fläche gesehen, nimmt dieser Zusammenhalt immer mehr ab.

Dies ist sehr schwierig, denn das ganze soziale Umfeld kommt zeitlich immer getakteter daher.
Frank Rothkopf über die Möglichkeit, dem negativen Trend entgegenzuwirken.

Wie kann man diesem Trend denn entgegenwirken?

Dies ist sehr schwierig, denn das ganze soziale Umfeld kommt zeitlich immer getakteter daher. Dabei spielt die Schule eine große Rolle, entwickelt sich zu einem entscheidenden Faktor. Es bleibt immer weniger Zeit durch längere Schulzeiten und Nachmittagsunterricht – nebenbei dann noch dreimal Training, das passt nicht. Hinzu kommen später Studium und Beruf sowie viel Zeit, die dadurch verloren geht, dass viel durch die Gegend kutschiert wird.

Wenig Lösungsansätze, um alles unter einen Hut zu bekommen

Fällt Ihnen eine Lösung der Probleme ein?

Schule und Vereine müssen enger zusammenrücken. Eine Sport-AG am Nachmittag sollte auf Vereine übertragen werden. Allerdings entsteht auch ein Problem, wenn die Sport-AG beispielsweise um 14.30 Uhr ist. Um diese Zeit haben die Vereine einfach nicht die Leute, um so eine AG zu leiten. Es stellt sich die große Frage, wie man Schule, Verein und Ausbildung unter einen Hut bekommt. Da sehe ich derzeit wenig Lösungsansätze.

„Wir haben eine ganze Menge Leute verloren“

Sind das alles auch noch Nachwehen der Coronavirus-Pandemie?

Wir haben dadurch eine ganze Menge Leute verloren, uns sind richtig viele abhandengekommen und das nicht zu knapp. Ob beispielsweise Übungsleiter oder Betreuer: In der Corona-Zeit haben sie gemerkt, dass sie das Wochenende auch dafür nutzen können, die Zeit mit der Familie zu verbringen.

Wie sieht es mit Corona und den Sportlern aus?

Die Hauptschwierigkeit liegt bei den Betreuern und Übungsleitern. Natürlich besteht auch ein Problem, wenn fünf A-Jugendliche sich keine Zeit mehr für ihren Sport nehmen wollen.

Über Jahre eines der sportlichen Aushängeschilder in Wesel: Thorsten Huckriede, hier mit Lena Fischer, spielte mit dem BV Wesel RW in der 2. Badminton-Bundesliga. Das „Wohnzimmer“, wie die Rot-Weißen diese Klasse gerne bezeichneten, verließ der Verein freiwillig vor dreieinhalb Jahren. Mittlerweile schlägt das Team nur noch in der Oberliga auf.
Über Jahre eines der sportlichen Aushängeschilder in Wesel: Thorsten Huckriede, hier mit Lena Fischer, spielte mit dem BV Wesel RW in der 2. Badminton-Bundesliga. Das „Wohnzimmer“, wie die Rot-Weißen diese Klasse gerne bezeichneten, verließ der Verein freiwillig vor dreieinhalb Jahren. Mittlerweile schlägt das Team nur noch in der Oberliga auf. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

In Wesel gehörten früher die Badmintonspieler des BV Wesel RW über Jahre der 2. Bundesliga an – jetzt Oberliga. Der PSV Lackhausen und die HSG Wesel kämpften jeweils um Oberliga-Punkte, derzeit um Landesliga- und Verbandsliga-Zähler. Der Leichtathletik-Nachwuchs des Weseler TV war ständiger Gast bei Deutschen Meisterschaften, der nicht mehr existierende Verein TC Hanse Wesel tanzte in der 1. Bundesliga. Befindet sich der Sport in Wesel mittlerweile auf einem stark absteigenden Ast?

Das muss ich leider unterschreiben, wir haben in Wesel ein absolutes Defizit in Sachen Leistungssport. Es fehlt ja auch komplett der Unterbau, eben die Ausbildung im Kindesbereich. Das fängt doch schon damit an, dass Kinder sich früher viel mehr draußen im urbanen Raum aufhielten. Nun finden Bewegungserfahrungen nicht mehr statt, gehen komplett verloren. Es ist doch heutzutage oft so, dass 13-/14-Jährige nicht einmal eine Rolle vorwärts mehr machen können.

Die Lage in Hamminkeln und Schermbeck

Der Sport im Hamminkelner Gebiet wurde im vergangenen Jahr von BW Dingden geprägt. Die Volleyballerinnen schlagen in der 2. Bundesliga auf, spielen dort auch in der aktuellen Saison eine gute Rolle. Bei den Fußballern besteht als Landesliga-Spitzenreiter die Chance auf den Sprung in die Oberliga. Zudem sind in Hamminkeln zwei herausragende Reiter beheimatet: In der Vielseitigkeit hat es Arne Bergendahl (ZRFV von Lützow Hamminkeln) bis zur WM-Teilnahme geschafft, Frank Brücker (RFV Jagdfalke Brünen) überzeugt in den schweren Springprüfungen. In Schermbeck ragen die Fußballer des SVS als derzeitiger Dritter der Oberliga Westfalen heraus. Der RV Lippe-Bruch Gahlen sorgt immer wieder für hochkarätige Reitsportveranstaltungen.

Wenn wir uns also in vier Jahren über die Notengebung für den Sport in Wesel unterhalten würden, fiele dann die Bewertung noch mieser aus?

Viel besser auf jeden Fall nicht. Stand heute wird der Trend im Sport und Leistungssport weiter rückläufig sein. Natürlich kann mal eine Mannschaft oder eine Einzelperson auftauchen und glänzen, aber das ist nur punktuell. Mittelfristig geht es eher bergab, in der Fläche wird es in den nächsten Jahren nicht besser.

Wird irgendjemand im kommenden Jahr etwas Herausragendes reißen?

Da fällt mir spontan niemand ein.

Insgesamt stellt sich bei mir das Gefühl ein, dass der Sport das große Problem besitzt, dass alles nur auf dem Ehrenamt fußt.
Frank Rothkopf regt eine andere Denkweise in Sachen finanzieller Art an.

Ihr abschließendes Resümee…

Rosige Aussichten sehen anders aus. Im Breitensport wird es okay sein, hier kann man noch etwas machen. Beim Leistungssport ist das wesentlich schwieriger. Insgesamt stellt sich bei mir das Gefühl ein, dass der Sport das große Problem besitzt, dass alles nur auf dem Ehrenamt fußt. Es hakt ganz viel daran, keine Möglichkeit zu besitzen, Trainer und Übungsleiter entsprechend ihres Aufwandes entschädigen zu können. Alle zusammen müssen den Schalter umlegen, eine andere Denkweise finanzieller Art ist dringend notwendig. Der Sport muss professioneller gehandhabt werden – die Person, die sich da hinstellt, die muss auch vergütet werden. Wenn wir aber auf dem jetzigen Niveau weiter verfahren, dann sind die guten Leute schnell weg.