Wesel. Matthias Wagner, Weseler Sportler mit Handicap, hatte sich 200 Kilometer Stand-up-Paddling vorgenommen. Doch es kam für den 38-Jährigen anders.
Matthias Wagner denkt kurz über seine Gefühlslage nach. Letztlich erweist sie sich als zwiegespalten. „Auf der einen Seite ist die Enttäuschung groß, andererseits habe ich die richtige Entscheidung getroffen – das hat mir auch der Arzt bestätigt“, sagt der Behinderten-Sportler. Als Erster wollte der 38-Jährige, der vor zwei Jahren auf der Xantener Nord- und Südsee mit 24 Stunden und 48 Minuten einen Weltrekord für Menschen mit Handicap im Nonstop-Stand-up-Paddling aufgestellt hat, die Lippe zwischen Paderborn und Wesel auf einer Strecke von rund 200 Kilometern mit einem Board befahren. Dafür hatte er Sondergenehmigungen eingeholt. Doch dann stoppt ihn ein Sturz mit Spätfolgen.
Das Malheur passiert dem Sportler, der seit Dezember 2015 eine Beinprothese trägt, kurz nach dem Start am Samstagmorgen. Bei Delbrück wird die Lippe extrem schmal, an einem Weidenast verfängt sich das Mitglied der Kanufreunde Lippe und stürzt ins Wasser. Mit einem Sicherheitsgurt ist Matthias Wagner mit dem Board verbunden, ehe er den Notauslöser betätigen kann, schluckt der Weseler allerdings jede Menge Wasser. „Und da waren wohl auch viele Bakterien drin“, vermutet Wagner. Die Gewissheit sollte sich aber wesentlich später einstellen.
Bis aufs kleinste Detail geplant – auch möglichen Sturz
Dieses Szenario eines Sturzes hat der 38-Jährige in der Vorbereitung durchgespielt. Hier kommt ihm sein Beruf entgegen. „Als Qualitätsmanager im Maschinenbau bin ich es gewohnt, alles bis aufs kleinste Detail zu planen.“ So geht er auch die größeren sportlichen Aktivitäten an. Vor der 200-Kilometer-Tour auf der Lippe trainierte Matthias Wagner besonders intensiv, vier bis fünf Mal die Woche. Zwischen 200 und 300 Kilometer kamen so zusammen.
Doch zurück nach Delbrück und dem ungewollten Bad in der Lippe. „Den Sturz hatte ich nach einer Stunde schon wieder vergessen“, erzählt der Sportler. Kilometer um Kilometer legt er von seinem Start um vier Uhr am Morgen bis gegen 19 Uhr zurück. Rund 120 Kilometer hat Wagner am Ende des ersten Tages zurückgelegt. „Ich bin ganz normal zu Ende gefahren, es lief alles nach Plan, ja sogar hervorragend.“ Die Nacht verging ohne besondere Vorkommnisse, wie auch der Sonntagmorgen.
Darmkrämpfe bringen dann das vorzeitige Tour-Ende
Also machte sich Matthias Wagner optimistisch auf den Weg, der ihn am Ende in die Hansestadt führen sollte. Allerdings war nach gut einer Stunde in der Höhe von Lünen plötzlich Endstation. „Auf einmal bekam ich Darmkrämpfe und hatte Durchfall wie Wasser“, schildert der Stand-up-Paddler seinen gesundheitlichen Einbruch. Die Bakterien entwickelten nun scheinbar ihre Wirkung. An eine Fortsetzung war nicht zu denken, stattdessen steuerte Matthias Wagner eine Anlegestelle mit Anbindung zu einer Straße an. Rund fünf Kilometer musste er noch absolvieren. Der auf Abruf stehende Freund Christoph Jans sammelte ihn rund drei Stunden später mit dem Auto ein.
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Der Abbruch der Lippe-Tour wurmt den Weseler sehr. „Ich lasse ungern unfertige Sachen zurück“, erzählt er. Zumal in der Vorbereitung einige Steine hatten aus dem Weg geräumt werden müssen. So gibt es auf der Lippe Streckenabschnitte in den Kreisen Unna und Recklinghausen, die aus Naturschutzgründen eigentlich nicht befahren werden dürfen. Eine Sondererlaubnis, die den Namen „einmalige Befreiung“ trägt, machte es für Matthias Wagner möglich. Ob er die für einen zweiten Versuch noch einmal erhält? „Ich werde da mal freundlich anfragen.“
Matthias Wagner renkt sich den Brustwirbel aus
In dieser Woche sind für den Sportler mit Handicap allerdings Aktivitäten verboten. Eine Woche strikte Ruhe hat ihm der Doktor verordnet, da Matthias Wagner sich zudem bei dem Sturz auch noch den Brustwirbel ausgerenkt hat. Antibiotika stehen zusätzlich auf der Einnahmeliste. Er hofft auf schnelle Besserung, denn trockene Brötchen und Reis zählen nicht gerade zu den Lieblingsspeisen. „Aber das bleibt sicher drin.“
Alles beginnt mit einem Meniskusabriss
Seit Dezember 2015 trägt Matthias Wagner eine Beinprothese. Dabei hatte alles eher harmlos begonnen. Im Jahr 2000 zog er sich als 18-Jähriger im Schulsport einen Meniskusabriss zu. Passiert war es im Berufskolleg Wesel beim Badminton. Es folgte eine Operation, bei der letztlich wohl viel falsch lief.
Über einen Zeitraum von 16 Jahren musste sich Matthias Wagner immer wieder unters Messer begeben, zwei Operation pro Jahr waren es mindestens. Auch künstliche Gelenke wurden in der Zeit implantiert.
Doch es wurde nicht besser, im Gegenteil. Es entwickelte sich noch eine Arthrofibrose, die mit unerträglichen Schmerzen einherging. „In den letzten vier Jahren vor der Amputation habe ich starke Morphine bekommen“, erzählt Wagner. Die Amputation habe er dann selbst angeregt. „Zuvor war ich vier Jahre lang arbeitsunfähig und zu Hause.“
Trotz der diesmal negativen Erfahrung mit einer Langdistanz im Stand-up-Paddeln bleibt Matthias Wagner bei seiner Planung. „Mir liegen einfach diese Ultra-Distanzen“, erzählt er. Anfang August ist bereits die nächste längere Tour geplant, die soll dann über 138 Kilometer führen. Den Fluss Peene in Mecklenburg-Vorpommern will er von der Quelle (Kummerowersee) bis zur Mündung (Peenemünde) mit dem Board bewältigen. Wie schon auf der Lippe, die in weiten Teilen kaum bis gar keine Strömung aufweist, werden auch auf der Peene „die größten Herausforderungen die Bedingungen des Flusses sein“.
Herausforderungen hat Matthias Wagner in seinem Leben aber schon viele gemeistert, auch wenn es mit der Lippe-Tour diesmal nicht geklappt hat. Er hat seine Behinderung angenommen, stellt mit ihr auch sportliche Höchstleistungen auf. Bei den ersten Beinprothesen war dies jedoch recht schwierig. „Durch den Sport sind die immer schnell kaputt gegangen.“ Im März wurde ihm mit der Genium X3 die modernste und stabilste derzeit verfügbare Prothese genehmigt. Auch ein Erfolg für Matthias Wagner – denn sie kostet rund 90.000 Euro.