Wesel. . Sie sind 15 und 17 Jahre alt, aus Afghanistan geflohen. In Wesel wurde ihr Lauftalent entdeckt. Zu Weihnachten haben sie ganz besondere Wünsche.

  • Sie sind gerade mal 15 und 17 Jahre alt, die Vergangenheit belastet sie noch immer sehr
  • Fahrhad Jahfari und sein Freund Aziz Mohammadi sind aus Afghanistan geflohen
  • In Wesel haben sie eine Heimat gefunden und machen als Laufsportler von sich reden

Fahrhad Jahfari zählt gerade einmal 15, sein Freund Aziz Mohammadi 17 Lenze. Beide haben eine Trainingseinheit im Weseler Auestadion hinter sich und sitzen im Wohnzimmer von Dieter Kloß, dem Vorsitzenden der Lauffreunde Hadi Wesel. Schüchtern trinken sie ein Glas Wasser und knabbern Adventsplätzchen. Sie hören höflich zu, beantworten Fragen, verstehen und sprechen gut die deutsche Sprache. Fahrhad und Aziz brauchen keinen Dolmetscher, auch wenn sie erst ein Jahr in Deutschland leben.

Auf den ersten Blick sind sie zwei ganz normale Jungen, die hier zur Schule gehen. Die mit Leidenschaft Sport treiben. Und die auch unbeschwert lachen können. Doch die Schüler, die aus Afghanistan stammen, haben eine erschütternde Geschichte zu erzählen. Hier in Deutschland sind sie am Ende ihrer Flucht angekommen. In Wesel haben sie eine „Herberge“ gefunden. Beide wohnen im Kinderheim der Caritas an der Sandstraße. Und endlich dürfen sie ihren so geliebten Laufsport ausüben – nach Zeiten der Verzweiflung und Ungewissheit.

Die Vergangenheit belastet immer noch

Der 15-jährige Fahrhad wirkt nervös, als er von seinem Leben erzählt. Ihm ist deutlich anzumerken, wie sehr ihn seine Vergangenheit belastet. Er hatte sich 2015 von Afghanistan nach Deutschland durchgeschlagen. „Mal mit dem Schiff, dem Bus oder dem Auto“, erinnert er sich, „ich weiß es nicht mehr so genau“. Vielleicht hat er es verdrängt.

Die Eltern und Geschwister waren kurz vor seinem langen Weg nach Europa in ein Nachbarland vor den Taliban geflohen und leben dort illegal. Sie müssen jederzeit damit rechnen, entdeckt zu werden. Welche Strafen es dann gibt – es weiß keiner. Fahrhad kam mit einem Onkel nach Deutschland, um eine Perspektive zu haben. Er besucht nun die achte Klasse der Martinischule.

Lauftalent im Jugendzentrum Karo entdeckt

„Ich spiele gerne Fußball und gehe zum Taekwondo“, erzählt Fahrhad. Und natürlich laufe er gern. Entdeckt worden ist er zusammen mit seinem Freund Aziz im Jugendzentrum Karo in Wesel. Dort gesellten sich beide zur Laufgruppe. Mitarbeiterin Sylke Bergmann fiel schnell auf, dass die Jungen ziemlich schnell unterwegs sein können.

Schließlich wurde Dieter Kloß auf die beiden aufmerksam und nahm sie unter seine Fittiche. Seine Tochter Valeska Christ-Kolbe arbeitet ebenfalls im Karo und hatte gesagt: „Papa, da sind zwei Jungen, die musst du dir mal ansehen.“ Fahrhad und Aziz gehen seitdem für die Lauffreunde Hadi Wesel an den Start und trainieren auch im Verein.

Die ersten Erfolge stellen sich schnell ein

Schnell stellen sich Erfolge ein. Höhepunkt ist die Weseler Stadtmeisterschaft. Aziz belegt Platz eins in der Gesamtwertung über 3000 Meter (10:29 Minuten), Fahrhad kommt direkt hinter ihm ins Ziel (10:30). Doch dies sind nur zwei von mehreren Erfolgen in den vergangenen Monaten.

„Wir haben die beiden schon zu einem Lehrgang vom Landessportbund geschickt. Jetzt habe ich dort weitere Unterstützung beantragt, um sie besser fördern zu können. Wir müssen an der Grundschnelligkeit der beiden arbeiten“, sagt Dieter Kloß, der in beiden noch großes Potenzial sieht.

Aber das sind Ziele für das kommende Jahr. Nun freut sich Fahrhad auf ruhige Tage, auch wenn er als Moslem das Weihnachtsfest nicht genau kennt. „Bei uns im Haus steht ein Baum. Und am Abend des 5. Dezember hat man uns geraten, einen Stiefel vor unsere Zimmertür zu stellen. Das haben wir gemacht.“ Am nächsten Morgen steckte zur großen Verwunderung von Fahrhad und seinem Freund Aziz Schokolade darin. Fahrhad lacht und man sieht ihm an, dass er diesen Brauch immer noch nicht richtig begreift.

„Ich bin fast verrückt geworden“

Dass die Adventszeit und Weihnachten in Deutschland etwas Besonderes sind, ist dem Jungen natürlich aufgefallen. „Die Innenstadt ist voll, die Menschen sind ordentlich gekleidet und irgendwie anders. Überall erklingt Musik“, schildert er seine Eindrücke. Er hat natürlich auch mitbekommen, dass es hier so üblich ist, sich zum Weihnachtsfest etwas zu wünschen. Plötzlich stehen ihm die Tränen im Gesicht: „Ich möchte irgendwann meine Mutter wiedersehen.“

Sein Freund Aziz wirkt nun auch sehr bewegt. Für kurze Zeit herrscht Schweigen im Wohnzimmer von Dieter Kloß. Dann berichtet Aziz von den Gründen seiner Flucht 2015 nach Deutschland. Sein Vater starb, als er noch ein kleines Kind war. Er hat ihn nie zu Gesicht bekommen. Ob seine Mutter noch lebt, er weiß es nicht.

Der Onkel verbietet Fußball und Laufen

Sein Onkel, bei dem er aufwuchs, schickte ihn zur Arbeit, zum Teppichknüpfen. Mal erzählte er Aziz, dass die Mutter tot sei, mal, dass sie noch lebe. „Sporttreiben durfte ich nicht“, blickt er zurück. „Ich wollte Fußballspielen und Laufen, doch das hat mir mein Onkel verboten.“ Stattdessen sollte Aziz in den Dschihad mit den Taliban ziehen. Seine Schwester, die mit ihren Kindern ähnlich wie Fahrhads Familie illegal in einem Nachbarland lebt, besorgte ihm etwas Geld und schickte ihn auf die Reise nach Europa.

An die Flucht, die er komplett alleine bewältigte, will sich Aziz nicht genau erinnern. „Ich bin fast verrückt geworden“, sagt er nur und weiß noch genau die Situation, als er erfuhr, in der Bundesrepublik zu sein. „Hier ist Deutschland, hier bist du in Sicherheit, hier kannst du bleiben“, dachte er erleichtert.

Silvesterlauf im Bocholter Stadtwald steht an

Er besucht zurzeit das Berufskolleg Wesel in der Feldmark, möchte irgendwann einen Abschluss machen und eine Ausbildung. Auch Aziz weiß, dass sich hier zum Weihnachtsfest die Menschen etwas wünschen dürfen. Er muss gar nicht lange überlegen: „Wo auch immer meine Mutter jetzt ist. Irgendwann möchte ich sie wiederfinden.“

Noch einmal herrscht kurz Stille im Wohnzimmer von Dieter Kloß. Bevor die beiden wieder in das Auto des Hadi-Vorsitzenden und Gründungsmitgliedes steigen und zu ihrer Unterkunft gefahren werden, bestaunen sie im Arbeitszimmer von Dieter Kloß noch die vielen Pokale, Urkunden und Bilder aus dessen sportlicher Laufbahn.

Mittlerweile sind sie selbst auf dem Erfolgsweg, den ihr Mentor bereits gegangen ist. Und das, obwohl sie noch gar nicht lange in Deutschland leben. „Als nächstes steht für Fahrhad und Aziz der Silvesterlauf im Bocholter Stadtwald an. Da treffen sie auf sehr starke Konkurrenz“, weiß Dieter Kloß. „Doch die beiden sind richtig gut. Mal sehen, was dabei herausspringt.“

>> DEBÜT BEIM MOONLIGHT- UND ABENDLAUF

Mit dem Moonlightlauf nahm Aziz Mohammadi den ersten Wettkampf in Angriff. Für die 7750 Meter benötigte er 32:54 Minuten. Fahrhad Jahfaris Premiere erfolgte beim Drevenacker Abendlauf über 5000 Meter (18:52). Beim Hamminkelner und Weseler Citylauf siegten beide über 5000 Meter in ihren Altersklassen. In Bottrop gewann Aziz (37:29) über zehn Kilometer vor Fahrhad (38:31).