Oberhausen. Anfang der 70er-Jahre war Rot-Weiß Oberhausen nicht nur Mitglied der Fußball-Bundesliga. Lothar Kobluhn war auch Torschützenkönig.
5. Juni 1971, der letzte Spieltag der Fußball-Bundesliga. Rot-Weiß Oberhausen muss bei Eintracht Braunschweig antreten und liegt zur Pause vor 11.000 Zuschauern mit 0:1 zurück. Es droht der Abstieg. Doch es kommt anders, als Lothar Kobluhn in der 61. Minute zum Kopfball ansetzt und den wichtigen Ausgleich erzielt. Da die Konkurrenz an jenem Nachmittag mitspielt, schaffen die Kleeblätter mit der letzten Chance den kaum noch für möglich gehaltenen Klassenerhalt. Mit einem einzigen Tor Vorsprung vor den Kickers aus Offenbach. Und eben jenem 24. Treffer von Lothar Kobluhn, der sich damit die Torjägerkanone gesichert hatte.
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Denn keiner hatte in der Saison 70/71 öfter eingenetzt. Nicht einmal Bayern-Legende Gerd Müller, der damals ein Abonnement auf die Torjägerkanone zu haben schien. „Der hat mich danach keines Blickes mehr gewürdigt“, berichtete Kobluhn, auf die Reaktion des „Bombers der Nation“ angesprochen, der nicht als Stürmer, sondern als defensiver Mittelfeldmann so oft wie kein anderer traf. Das ist einmalig in der fast 60-jährigen Bundesliga-Geschichte, bis heute.
Dabei war die Liebe zum Fußball dem Blondschopf praktisch von der Wiege an mitgegeben. Durch seinen Vater und seinen Bruder Friedhelm, Kapitän der legendären Aufstiegstruppe, kam er zu RWO. Doch 1962 schien der Weg als Fußballer bei den Kleeblättern ein jähes Ende zu finden. „Vereinspräsident Peter Maaßen wollte mir keinen Vertrag geben. Er meinte, es reicht nicht für oben“, erinnerte sich Kobluhn.
Erst über den Umweg BV Osterfeld und seine dortigen Leistungen spielte er sich in den Vordergrund und brachte die Rot-Weißen dazu, ihn zurückzuholen. Die Folge: ein Vierjahresvertrag.
Bei diesen vier Jahren blieb es nicht. Bis 1974 absolvierte er 317 Partien (94 Tore) für die Kleeblätter. Eine Sternstunde dabei war vor allem der Bundesliga-Aufstieg 1969 durch ein 0:0 gegen den Freiburger FC vor 35.000 Zuschauern im pickepackevollen Stadion Niederrhein. „Der Ball konnte teils nicht richtig ins Aus rollen, weil hinter den Toren extra Stuhlreihen platziert worden waren“, so Kobluhn.
Mit Co-Trainer Karl-Heinz Feldkamp
Die Erleichterung, vor der großen Kulisse den Aufstieg perfekt gemacht zu haben, war bei allen Akteuren gewaltig. Auch beim damaligen Co- und späteren Meistertrainer vom 1. FC Kaiserslautern, Karl-Heinz Feldkamp. „Wir hatten lange auf dieses Ziel hingearbeitet und mussten viele Rückschläge wegstecken. Umso größer war die Erleichterung, als wir es geschafft hatten.“
Dabei fußte der Erfolg unter der Regie des Dortmunder Meistertrainers Adi Preißler auf den fußballerischen Grundtugenden, wie Feldkamp meint: „Da passte einfach alles, was Einstellung und Zusammenhalt angeht. Und nur so kann man aufsteigen.“
In der Bundesliga ging der Höhenflug der Kleeblätter zunächst weiter. Nach einem 4:0-Sieg bei Braunschweig kletterte die RWO-Elf am vierten Spieltag der ersten Bundesliga-Saison sogar an die Tabellenspitze. Oder auch ein turbulentes 3:3 gegen den FC Bayern München im Dezember 1969, als Franz Beckenbauer, Georg „Katsche“ Schwarzenbeck oder Sepp Maier zu Gast in Oberhausen waren, dürfte bis heute einen festen Platz in den Vereinsannalen haben.
Kobluhns große Stunde als Goalgetter schlug derweil in der zweiten Bundesligasaison, in der er einen ungeahnten Torriecher entwickelte. Vor allem per Kopf war der 1,84 große Oberhausener erfolgreich. Für das Sportmagazin Kicker Grund genug, dem Defensivakteur eine Titelgeschichte mit folgender Überschrift zu widmen: Kobluhn beschämt die Stürmer.
RWO und der Bundesliga-Skandal 1971
Doch die fällige Torjägerkanone bekam Lothar Kobluhn zunächst nicht verliehen. Der Grund lag im aufkommenden Bundesligaskandal und einer möglichen Verstrickung von RWO. Zwar wurde der Verein am Ende nie für eine Bestechung rechtskräftig verurteilt. Der Verdacht des Betruges lag aber auf den Spielern wie Blei.
„Das ging von Schieber-Rufen bis hin zu Drohanrufen gegen meine Familie. Für uns Spieler war das Ganze über vier Jahre ein einziges Auf und Ab: Mal waren wir abgestiegen und dann wieder gerettet“, erinnerte sich Kobluhn kurz vor seinem 75. Geburtstag im Jahr 2019.
RWO steigt 1973 aus der Bundesliga ab
Bis 2007 passierte in Sachen Torjägerkanone nichts. Erst ein Fischhändler, gleichzeitig übrigens Fan von RWO-Rivale Rot-Weiss Essen, brachte Bewegung in die Angelegenheit. „Auf dem Wochenmarkt in Sterkrade hat er mich darauf angesprochen. Er fand das Ganze genauso ungerecht wie ich und hat dann den Kicker einfach mal angeschrieben.“ Kurz darauf meldete sich Kicker-Chef Rainer Holzschuh bei Kobluhn. Und Kobluhn erhielt zu seinem 65. Geburtstag, am 12. April 2008, die verspätete Würdigung.
Für RWO endete das Abenteuer Bundesliga mit dem Abstieg 1972/73, trotz zwölf Treffern eines gewissen Ditmar Jakobs, der später als Vorstopper beim Hamburger SV eine Weltkarriere starten sollte. Zahlreicher Angebote zum Trotz hielt Lothar Kobluhn Rot-Weiß noch die Treue. „Ich hätte auch ins Ausland wechseln können, doch sobald ich den Kirchturm von der Sankt-Joseph-Kirche nicht mehr sah, befiel mich das Heimweh.“
1974 wechselte Kobluhn noch für zwei Jahre zur SG Wattenscheid 09. Sein alter Weggefährte Karl-Heinz Feldkamp hatte ihn am Ende dazu überredet. Es sollten seine letzten beiden Jahre als Fußballprofi sein.
Im Januar 2019 verstarb Lothar Kobluhn im Alter von 75 Jahren. Er hinterließ nicht nur am folgenden 18. Mai, wo die Kleeblatt-Helden zum 50. Aufstiegsjubiläum im Stadion Niederrhein gefeiert wurden, eine große Lücke. Für die alten Haudegen wie Franz Krauthausen, der nach seiner RWO-Zeit mit München große Erfolge gefeiert hatte, war es ein bewegender, ein unvergesslicher Moment. „Vieles an diesem Tag hat mich an die schöne Zeit von vor 50 Jahren erinnert. Da habe ich gemerkt, dass mein Herz immer noch ein rot-weißes ist. Da können auch zwei Meistertitel mit den Bayern nichts dran ändern.“
Übrigens:
Für die deutsche Nationalmannschaft kam Lothar Kobluhn trotz seiner Erfolge mit Rot-Weiß Oberhausen nie zum Einsatz. Der damalige Bundestrainer Helmut Schön hatte Oberhausen wohl nicht so wirklich auf dem Radar.
Nach seiner Profi-Zeit versuchte Kobluhn sich als Trainer bei der zweiten Amateurmannschaft von Wattenscheid. Langfristig wurde daraus aber nichts. „Das war nicht so mein Ding“, so Kobluhn damals. Zu dessen Ehren taufte RWO den Vorplatz der 2018 neu gebauten Stehplatz-Tribüne in „Lothar-Kobluhn-Platz“.