Mülheim. Siegfried Kalweit ist 82, und läuft und läuft und läuft. Der Mülheimer wurde zuletzt Ü80-Weltmeister im Halbmarathon. Wie ist es, mit einem Spitzen-Senior zu joggen?
- Siegfried Kalweit ist in Mülheim an der Ruhr eine Lauflegende. Im August wurde er in Göteborg erst wieder Ü80-Weltmeister im Halbmarathon.
- Langstrecken läuft er schon sein Leben lang. Für andere war und ist er auch immer als Mentor tätig. So auch bei der Seniorenlaufgruppe seines Vereins, dem TSV Viktoria Mülheim
- Unser halb so alter WAZ-Lokalsport-Redakteur Roman Milenski wollte wissen, ob er aus dem Stand einfach so mit Kalweit mitlaufen kann. Und wie der sich fit hält.
Keine zwei Minuten nach dem Start auf dem Sportplatz Kahlenberg erreichen wir den idyllischen Wanderweg überhalb der Ruhr. Ich will noch die Aussicht genießen, da zieht Siegfried Kalweit zum ersten Mal an. Eines steht schon mal fest: Das hier wird nicht die erwartete gemütliche Joggingrunde mit Senioren am Fluss.
„Keine Sorge. Wir sind in unserer Gruppe eh nie die Schnellsten, und gucken auch immer, dass alle hinterherkommen“, spielt er sein Tempo noch bescheiden herunter. Oder meines mit einem Augenzwinkern herab. Der Laufsportler vom TSV Viktoria Mülheim macht mit seinen 82 Jahren einem exakt halb so alten Sportredakteur in jedem Fall locker was vor.
Seniorenweltmeister im Halbmarathon (82): „Ich lasse auch immer jüngere Läufer hinter mir“
Anlass für diesen Selbstversuch, ob man da nach einem Bürotag unvorbereitet einfach mal so mitlaufen kann, ist die Mitteilung, welche die Redaktion Ende August erreicht: „Mülheimer in Göteborg Ü80-Weltmeister im Halbmarathon.“ Kalweit nimmt dort an der Leichtathletik-Weltmeisterschaft für Senioren teil, und holt sich über diese Distanz in seiner Altersgruppe mit einer Zeit von 2:11:54 den Titel.
Es waren, ehrlicherweise, zwar nur zwei weitere über 80-jährige Konkurrenten am Start, die ließ Kalweit aber 20 Minuten hinter sich – ebenso wie 364 Höhenmeter und kalten schwedischen Wind. Und: „Bei den Langstrecken sind alle Läufer ja gemeinsam am Start, und da lasse ich auch immer viele jüngere hinter mir. Das Alter ist natürlich ein Faktor, es kommt aber auch auf die individuelle Fitness und den Trainingsstand an.“
Regelmäßigkeit macht den Unterschied beim Joggen
Dass das stimmt, spüre ich, der sonst kaum noch Lauftraining absolviert, als wir ins Gebiet der Saarn-Mendener-Ruhraue einbiegen. In der Hoffnung, die Hälfte der angestrebten zehn Kilometer sei schon geschafft, frage ich Kalweit nach dem Stand. „3,7 Kilometer“, antwortet der nach trockenem Blick auf seine Smartwatch. Ich schnaufe tief durch.
Der kleine drahtige Seniorenweltmeister, sein Handy beim Joggen in der Hand haltend, hingegen wirkt, als ob er nur kurz zum Bäcker wollen würde. „Regelmäßig laufen zu gehen, ist das Wichtigste. Pausentage dazwischen einlegen, und sich beim nächsten Lauf dann immer ein Stück weit steigern. Dann wird es jedesmal einfacher“, sind seine universellen Tipps an alle, die (wieder) in den Laufsport einsteigen wollen.
TSV Viktoria Mülheim: Senioren-Lauftreff jeden Dienstag- und Donnerstagabend
Der ehemalige Kumpel auf Zollverein und Kruppianer betreibt ihn schon sein Leben lang. Immer wieder ist er als Organisator von Wettbewerben, Trainer und Mentor tätig. Solche Funktionen übernimmt er auch bei den Laufgruppen vom TSV Viktoria Mülheim. Dienstags und donnerstags gegen 18 Uhr treffen sie sich auf der Sportanlage Kahlenberg. Motivierte könnten jederzeit dazu stoßen.
Das macht vor einem Jahr auch Ulrich Schmitter, der an diesem Abend mit uns läuft. „Ich hab aus dem Stand angefangen, und zunächst ganz wenig geschafft. Jetzt halte ich mit meinen fast 70 hier regelmäßig mit Siggi zehn Kilometer mit“, berichtet er. „Siehst du“, wirft „Siggi“ ein, und macht dabei eine nach Zustimmung fordernde Handbewegung. „Nur eine Anweisung musste ich ihm geben: ‚Kauf dir erstmal vernünftige Schuhe!‘ Das ist wichtig für die Gelenke. Und der kam mit ausgelatschten Dingern hier an.“
Laufen mit dem Ü-80-Weltmeister: unvorbereitet keine Chance
Neben seiner Laufsport-Fachkompetenz kommt bei so einer Joggingrunde mit Kalweit auch noch Wissenswertes zu Sehenswürdigkeiten und Landschaft in Mülheim dazu. „Hier hab ich mal Lachse in der Ruhr stehen sehen“, „da das Kloster Saarn“, „das sind die Jungs vom Kahlenberger Hockey Club“. Er könnte geführte Erlebnisläufe auf den schönsten und ruhigsten Strecken der Stadt anbieten. Er kennt nach jahrzehntelanger Routenfindung nämlich alle Geheimtipps die Ruhr rauf und runter bis nach Essen.
Die Kahlenberger Hockeyjungs, die gerade einen Trainingslauf absolvieren, wirken übrigens wesentlich kraftloser als der 82-Jährige. So wie auch ich. „Siggi, ich kann nicht mehr so richtig“, muss ich nach etwa sechs Kilometern konstatieren. „Dann kürz ab. Hier geradeaus, dann kommst du wieder zum Kahlenbergwehr. Wir treffen uns auf dem Sportplatz wieder.“
Dort warte ich schließlich stark ausdünstend auf ihn und Schmitter. Schließlich biegen sie um die Ecke, und Siegfried Kalweit hat maximal eine verschwitzte Haarsträhne auf der Stirn. Die Frage, die ich noch habe, ob so intensiver Sport im Alter eigentlich immer nur gut für den Körper sei, stellt sich mir nach diesem Anblick nicht mehr. Für Kalweit eigentlich auch noch nie. „Man muss vielleicht mit dem Herz etwas aufpassen, aber ansonsten mache ich das hier, bis ich umfalle.“
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