Moers. Am 10. Februar besteigen drei junge Männer ein Flugzeug von Düsseldorf nach Kayseri. Ihre Mission: den Erdbebenopfern in der Türkei zu helfen.
Als Yunus Emre Kocaoglu vom Landesligisten SV Scherpenberg, sein Kumpel Halil Sari sowie Ferdi Acar, der bei der SG Unterrath kickt, vor nunmehr fast drei Wochen im Erdbebengebiet in der Türkei ankommen, wissen sie nicht genau, was sie vor Ort genau erwartet. Aber eins ist klar: zu Hause in Deutschland herumsitzen und nichts zu tun, kommt für die türkischstämmigen Männer nicht in Frage.
Sie haben Sonderurlaub genommen und alle anderen Termine zu Hause abgesagt, auch der Fußball muss erst einmal hinten anstehen.
Im Interview erzählt Yunus Emre Kocaoglu, was sie in der betroffenen Region um Gaziantep erlebt haben und wie sehr sich die Helfer über die Unterstützung auch in Sportlerkreisen freuen.
Yunus Emre Kocaoglu, wie kam es zu der spontanen Hilfsaktion im Heimatland Ihrer Vorfahren?
Yunus Emre Kocaoglu: Als ich die ersten Bilder von der Erdbebenregion gesehen habe, war mir sofort klar, dass ich zusammen mit meinem Freund Halil Sari dorthin fliegen und vor Ort helfen möchte. Familienangehörige von ihm sind persönlich vom Erdbeben betroffen. Dann haben wir über Instagram und WhatsApp einen Spendenaufruf gestartet, bei dem nach 24 Stunden bereits über 10.000 Euro zusammenkamen – und Ferdi Acar hat sich bei uns gemeldet, ihn kannte ich zwar vorher schon über den Fußball, aber wir waren nicht so eng befreundet wie jetzt.
Haben Sie auch selbst Angehörige in der Gegend, die vom Erdbeben betroffen sind?
Ja, aber das war nicht der Grund, um mich dort zu engagieren. Ich wäre auch in ein anderes Land geflogen, um zu helfen. Meine Eltern und Großeltern kommen aus Kayseri, dort hat man das Beben nur leicht gespürt. Tanten und Onkel leben in Adana, da war es heftiger, aber zum Glück ist niemand von ihnen ums Leben gekommen.
Was haben Sie vor Ort erlebt?
In manchen Orten – Antakya, Hatay, Diyrabakir, Kahramanmaras und Adiyaman sowie Teilen von Gaziantep und Adana – gibt es wirklich gar nichts mehr. Dort kann man auch nichts einkaufen, was die Menschen am nötigsten brauchen. Also haben wir uns in Kayseri einen Transporter geliehen, haben diesen mit Heizgeräten, Gaskochern, Decken, Medikamenten, Hygieneartikeln und haltbaren Lebensmitteln vollgeladen und sind von Kayseri aus los in die Erdbebengebiet gefahren, eine Fahrt sieben Stunden. Die Dankbarkeit der Menschen, als wir mit unseren Hilfsgütern ankamen und diese verteilt haben, war überwältigend.
Erzählen Sie bitte!
Ganz besonders berührend war der Tag, als wir mit dicken Jacken und Schuhen für die Kinder ankamen. Sie müssen sich vorstellen, dass es dort nachts um die minus 20 Grad wird und die Menschen draußen schlafen müssen, weil ihre Häuser zerstört sind! Solche Szenen vergisst man nicht mehr. Wir haben zum Beispiel eine Familie mit vier Kindern aus Kahramanmaras in unserem Transporter mitgenommen und in einer Wohnung in Kayseri unterbringen können. Wir wollen aber dafür sorgen, dass noch weitere vier, fünf Familien in Wohnungen in Kayseri untergebracht werden können, die ersten drei Monatsmieten übernehmen wir.
Wie kam Ihr Einsatz in der Türkei daheim in Deutschland an?
Wir haben von allen Seiten sehr viel Zuspruch erhalten, dafür sind wir im Namen der Menschen, denen wir vor Ort helfen konnten, sehr dankbar. Die Spenden hörten ja gar nicht mehr auf, nachdem wir am ersten Tag schon 10.000 Euro auf unserem Spendenkonto hatten, ging es immer weiter, nachher waren es über 20.000 Euro.
Wer hat alles gespendet?
Familienangehörige, Mitspieler, der Trainerstab und etliche andere Menschen beim SV Scherpenberg sowie aus anderen Vereinen, aber auch viele Unbekannte. Einen besonderen Dank möchten wir an den TuS Fichte Lintfort aussprechen, der bei einem Spiel alle Einnahmen sowie weitere private Spenden für die Erdbebenopfer zur Verfügung gestellt hat. Es ist einfach schön zu sehen, wie alle zusammenhalten, egal ob im Sport oder sonst in der Gesellschaft. Ich möchte mich auch bei meinem Trainer Ralf Gemmer bedanken, der mich bei der Hilfsaktion in der Türkei ebenfalls super unterstützt hat. Er ist zweiter Vorsitzender der Polizeigewerkschaft und hat auch dort Spenden für die Erdbebenopfer gesammelt.
Nun sind Sie wieder in Moers und auch zurück auf dem Fußballplatz. Wie war das Wiedersehen mit der Mannschaft des SV Scherpenberg?
Sehr schön, allerdings hat man schon gemerkt, dass ich ziemlich kaputt war! Ich war gerade erst zurückgekommen, das Spiel danach gegen Amern war sicherlich nicht mein bestes (lacht). In der Türkei zu helfen, war aber natürlich viel wichtiger. Wir wollten ja eigentlich nur drei Tage bleiben und in der Zeit im Auto schlafen, aber dann waren wir insgesamt acht Tage dort und sind von Kayseri, wo wir bei Verwandten übernachtet haben, immer wieder nach Gaziantep, Antakya, Hatay, Maras, Adiyaman oder Adana gefahren. Nachher wollten wir gar nicht mehr zurück.
Werden Sie noch einmal in die Türkei fliegen? Hilfe wird in dem Erdbebengebiet ja weiterhin benötigt…
Auf jeden Fall. Ich habe schon vorher immer Geld gespendet, wenn irgendwo Hilfe benötigt wurde und zum Beispiel ‚Ärzte ohne Grenzen‘ unterstützt. Nun habe ich zum ersten Mal selber vor Ort geholfen, das hat mich sehr erfüllt. In Planung ist, ein Ärzteteam zusammenzustellen und noch einmal in den betroffenen Gebieten mit anzupacken.