Neukirchen-Vluyn. Nach 37 Jahren als namhafter Fußballtrainer am Niederrhein hört Thomas Geist auf. Im Interview spricht er auch über Bosnien und West Ham United.
Im Internet machte Thomas Geists Auszeit als Fußballtrainer schnell die Runde. Über Facebook meldeten sich fast 400 ehemalige Weggefährten zu Wort. Nach 37 Jahren als Coach, 23 Spielzeiten davon mit je einer Senioren- und Juniorenmannschaft, will der Neukirchener Unternehmensberater nun kürzer treten. Beim Bezirksligisten FC Meerfeld hatte Thomas Geist ja bereits vor mehreren Wochen seinen Abschied zum Saisonende bekräftigt.
Herr Geist, haben Sie nicht Tränen in den Augen, wenn Sie auf Ihrer Facebook-Seite all die schönen Kommentare ehemaliger Mitstreiter lesen?
Thomas Geist: Es macht mich schon stolz und ein wenig wehmütig, wenn sich da auch Spieler melden, mit denen ich mal vor 30 Jahren zusammengearbeitet habe.
Wie lange halten Sie Ihre sportliche Auszeit durch?
Die Frage stellt sich so nicht. Meine selbst gewählte Auszeit als Trainer schließt ein anderes Engagement im Fußball ja nicht aus. Fakt ist aber: Ich war sehr lange nahezu jeden Tag auf dem Platz. Mit 55 Jahren bin ich nun an einem Punkt, wo ich mehr eigene Freizeit und Freiheit von Verpflichtungen genießen will – und nicht bei minus vier Grad Celsius oder Dauerregen ein Training leiten muss.
Sie haben wegen eines Kreuzbandrisses schon im Alter von 18 Jahren beim SV Neukirchen als Rechtsverteidiger aufhören müssen.
Dem Fußball ist da aber kein großes Talent entgangen. Ich wäre als Eisenfuß höchstens Reservespieler in der Bezirksliga gewesen. (lacht) Als Trainer war und bin ich besser.
Alle Trainerscheine für den Fußball machen
Was würden Sie einem Trainer empfehlen, der wie Sie mit 19 Jahren schon eine Mannschaft betreut und Ambitionen hegt?
Alle Trainerscheine machen, auch wenn das Zeit und Geld kostet. Ich habe es versäumt, die A-Lizenz zu erwerben. Das hat mir später den Einstieg bei höheren Aufgaben verbaut.
Haben Sie das als junger Trainer auch so erkannt?
Ich hatte im Neukirchener Jugendleiter Werner Hable einen Förderer, der mich vom A2-Kapitän des SV Neukirchen zum Trainer der B-Jugend gebracht und mir so den Weg geebnet hat.
Was wären weitere Tipps?
Den Ehrgeiz entwickeln, immer wieder aufzustehen, wenn man hingefallen ist. Eine sportliche Niederlage ist allerdings nie eine persönliche Niederlage, auch wenn ich das anfangs anders gesehen habe.
Sie waren auch im Ausland unterwegs. Wie wichtig ist Weiterbildung?
Sehr wichtig für ambitionierte Trainer: Alles aufsaugen, was geht. Ich hatte 1990 die Gelegenheit, ein zweiwöchiges Praktikum bei West Ham United in London zu machen mit den Trainern Billy Bond und Tony Care. Ich war ganz nah dran an der Profiarbeit, die für Trainer und Spieler dort auf dem Trainingsgelände ein Ganztagsjob ist. Man bekommt Einblicke, Ideen, verbessert sein Englisch – was einem später auch im Beruf helfen kann. Kurzum: Als Trainer gewinnt man durch solch ein Praktikum natürlich auch an Selbstsicherheit.
Hat Ihnen diese Erfahrung auch 2010 in Bosnien geholfen, wo Sie den Erstligisten FC Laktasi in der Rückrunde übernommen hatten?
Ich wollte einfach wissen, ob ich auf diesem Niveau arbeiten kann. Die Gelegenheit ergab sich bei Laktasi über den damaligen MSV-Spieler Slobodan Komljenovic, über Berater Muki Zukic und den Duisburger Gastronomen Savo Garcia. Dafür habe ich sogar mein Engagement beim SV Sonsbeck als Tabellenführer der Landesliga aufgegeben – sicher die schwerste Entscheidung meiner Trainer-Karriere.
In Bosnien ging es nicht mit rechten Dingen zu
Sportlich waren Sie in Bosnien erfolgreich.
Wir haben uns mit acht Siegen in 15 Spielen noch vor dem Abstieg gerettet. Das nützte aber nicht viel, weil der Präsident danach die Spiellizenz an einen anderen Verein verkauft hat. Ich war aber schon viel früher entzaubert.
Inwiefern?
Bei meinem ersten Spiel mit Laktasi als Tabellenletzter beim Spitzenreiter Borac Banja Luca hatten wir vor 12.000 Zuschauern lange ein 0:0 gehalten. Der Schiedsrichter ließ dann neun statt drei Minuten nachspielen, ehe Borac noch das Siegtor glückte. Hinterher sagte der Schiri zu mir nur kleinlaut: ,Ich konnte nicht anders’. Und dass in Bosnien in den letzten fünf Pflichtspielen einer Saison in der Regel immer nur die Heimmannschaft aus bestimmten Gründen gewinnen soll, war mir auch neu.
Norbert Meier statt Thomas Geist bei Gladbach
Es ging also in der Liga nicht mit rechten Dingen zu.
Deshalb habe ich auch das Folgeangebot von Olimpik Sarajewo nicht angenommen und bin zurück nach Deutschland. Bosnien war ein Abenteuer, aber keines mit voller Tasche bei der Rückreise.
Gab es am Niederrhein die Chance, im Profifußball zu landen?
Ich war mal in den 90er-Jahren als A-Jugendtrainer bei Borussia Mönchengladbach im Gespräch. Doch der damalige Präsident Karl-Heinz Drygalsky hatte schon einem Profi den Job versprochen: Norbert Meier.
Was für eine Spezies an Trainer hätten die Fohlen bekommen, wenn Sie anstatt Meier genommen worden wären?
Sie hätten nicht so einen exzellenten Freistoßschützen wie Norbert Meier im Training gesehen. (lacht) In meiner Anfangszeit als junger Jugendtrainer beim VfB Homberg und bei Preußen Vluyn war ich sehr streng, sehr hart, manchmal zu hart. Das passte aber damals in die Zeit.
Nicht mehr ein harter Trainer
Heute passt es nicht mehr, oder?
Heute muss man Spielern alles erklären, so ist die Zeit. Mit der Erfahrung bekommt ein Trainer allerdings auch Selbstsicherheit, eine gewisse Lockerheit ebenso. Heute gehöre ich nicht mehr zu den harten Trainern. Wobei hart nicht gleichzusetzen ist mit herumschreien. Ich habe schon Spiele gedreht in der Halbzeit, ohne etwas gesagt zu haben. (lacht)
Bei welcher Gelegenheit?
Mit Hombergs A-Jugend lag ich mal in Fischeln mit 0:3 hinten. In der Pause habe ich die Jungs nur eine Weile böse angestarrt, bin dann wieder raus und habe die Tür zu gedonnert. Diese Psychologie hat an diesem Sonntag gewirkt. Am Ende haben wir noch mit 4:3 gewonnen. Spieler haben eben immer auch ein großes Eigeninteresse daran, dass es für alle gut läuft.
Bei den besten Adressen des Fußball am Niederrhein hat Thomas Geist in den vergangenen vier Jahrzehnten gearbeitet
Beim VfB Homberg coachte er von 1983 an neben Preußen Vluyns Senioren (Aufstiege von der Kreisliga B bis in die Bezirksliga) stattliche 14 Saisons die A-Junioren, war ähnlich lange im gleichen Jahrgang ab 1998 Trainer beim SV Straelen.
Dazu war Geist beim VfB Co-Trainer, beim SVS Cheftrainer und auch Manager der ersten Mannschaft. Dazu kamen zwei Engagements beim SV Sonsbeck (2006 bis 2010 und 2013 bis 2016).
Weitere Stationen waren der SV Lintfort (1997 bis 2000) und der SV Neukirchen (2010/11) in der Landesliga sowie Hamborn 07 (2011 bis 2013) in der Oberliga und Landesliga.