Moers. In unserer historischen Serie um den Sport am Niederrhein geht es diesmal um den Europapokalsieg des Moerser SC 1990 im Volleyball.

Vielleicht hatten es die Volleyball-Fans, die an diesem Sonntag zum Sportzentrum Rheinkamp pilgerten, irgendwie schon geahnt. Dass der 11. Februar 1990 ein ganz besonderer Tag werden könnte. Für den Moerser SC, für den deutschen Volleyball, für die ganze Stadt. Eine sportliche Sensation bahnte sich da an. Als Gastgeber der dreitägigen Europapokal-Finalrunde im CEV-Cup stand der MSC ganz kurz davor, zu den Volleyball-Sternen zu greifen.

Der 3:1-Erfolg am Freitagabend im Auftaktspiel gegen die Franzosen aus Grenoble kam für viele Experten noch als Außenseiter-Glück daher. Spätestens das 3:1 am Samstag gegen Partizan Belgrad – mit dem späteren MSC-Akteur Mirko Culic – machte die Moerser Ballkünstler aber dann zum Geheimtipp. Und bereits vor dem „Endspiel“ gegen Titelverteidiger Automobilist Leningrad war aufgrund der Tabellensituation klar, dass dem MSC ein einziger Satzgewinn zum Europapokaltriumph reichen würde. Und als Georg Grozer am Sonntag dann im Spiel gegen die Russen den Ball mit einem krachenden Schmetterschlag zum 15:7 im Auftaktsatz ins Feld drosch, kannte der Jubel keine Grenzen. Der Rest war Volleyball-Schaulaufen, am Ende hieß es 3:2 gegen den haushohen Favoriten.

Moerser SC: Spieler tanzten übers Parkett

Plötzlich war der 11. Februar ein Feiertag. Als erste deutsche Mannschaft überhaupt hatte der MSC einen internationalen Titel gewonnen. Und eben nicht der Hamburger SV oder Bayer Leverkusen. Urplötzlich war Moers ein bedeutender Ort auf der Landkarte des europäischen Volleyballs. Die Spieler tanzten eng umschlungen übers Parkett. Trainer Laszlo Buzek reckte die Fäuste in den Hallenhimmel. Auf den Tribünen fielen sich wildfremde Menschen in die Arme. 2300 Fans verwandelten das Sportzentrum Rheinkamp ins Tollhaus des Niederrheins.

Die Augenzeugen feierten ihre Helden. Chang Cheng Liu, den sprunggewaltigen Chinesen zum Beispiel, später zum besten Allrounder des Turniers gewählt. Oder Gabor Csontos, den ungarischen Regisseur des Ensembles. Und Zbigniew Zielinski, den polnischen Annahmespezialisten mit der Lockenpracht. Nicht zu vergessen Frank Busch, den Ruhepol im Mittelblock.

Und natürlich Georg Grozer, den Mann im Angriff, den Mann auf der Diagonalen, den Mann für die entscheidenden Punkte. Grozer feuerte den Ball mit einer derartigen Gewalt ab, dass den gegnerischen Annahmespielern oftmals die Hände und Unterarme schmerzten. Oder das Spielgerät so heftig auf den Boden schlug, dass es bis an die Hallendecke des Sportzentrums sprang – begleitet vom Szenenapplaus des Moerser Publikums.

Ganz nebenbei machte der gebürtige Ungar den Sprungaufschlag salonfähig. „Hammer Schorsch“ war da ein keineswegs unpassender Spitzname. Der Mann mit dem Zopf und der Nummer 9 auf dem Trikot konnte Spiele im Alleingang entscheiden. Auch an jenem Europacup-Wochenende lautete die MSC-Taktik für Zuspieler Csontos in den wichtigen Phasen: Hoch gestelltes Zuspiel nach Außen auf Grozer – der wird’s schon richten.

Georg Grozer: Quote bei rund 20 Punkten

„So etwas habe ich noch nicht erlebt – eine Riesensache“, gab sich „Magic Schorsch“ in den Minuten nach dem Triumph ungewohnt bescheiden. Dabei galt der damals 26-Jährige als eigenwilliges „Enfant terrible“, machte seinem Unmut über eigene Fehler, aber auch die seiner Mitspieler oftmals lautstark Luft.

Aber es gab eben auch keine Alternative zu seiner Angriffswucht, zu seiner Ausbeute, die in der Regel bei rund 20 Punkten im Spiel lag. Das galt auch vor 30 Jahren für das Europapokal-Wochenende von Rheinkamp. „Triumph der Einzelkämpfer“ titelte die Deutsche Volleyball-Zeitschrift damals nicht ganz unberechtigt. „Was ich als Spieler nicht geschafft habe, ist mir jetzt als Trainer gelungen“, strahlte Trainer Buzek. „Kompliment an die Mannschaft, sie hat großartig gekämpft.“

Die Nummer 9 des Moerser SC bei der Arbeit: Georg Grozer war am Netz kaum zu stoppen.
Die Nummer 9 des Moerser SC bei der Arbeit: Georg Grozer war am Netz kaum zu stoppen. © Jürgen Sabarz

Auf der Tribüne des Sportzentrums rieb sich derweil ein Mann zufrieden die Hände, der es als Apotheker ähnlich wie Grozer auf dem Spielfeld gewohnt war, Nägel mit Köpfen zu machen. Präsident Günter Krivec, früherer Dreispringer und Olympia-Teilnehmer von 1964 in Tokio, hatte den MSC 1985 gegründet und konnte schon fünf Jahre später die Früchte des Erfolgs ernten. „Ich empfinde eine ruhige, stille Freude“, sagte der MSC-Macher. Zwei Jahre zuvor hatte Krivec seinen Ziehsohn Grozer in einer Nacht-und-Nebel-Aktion höchstpersönlich aus der belgischen Kleinstadt Torhout nach Moers gebracht, ihn in der Folge mit allen Freiheiten ausgestattet.

Das war eine Win-win-Situation für beide Seiten. Denn mit dem Gewinn des CEV-Pokals begannen die goldenen Jahre für den Moerser SC: 1991 wurde das Team DVV-Pokalsieger und gewann den Supercup, 1992 wurde der MSC sogar Deutscher Meister, 1993 nochmals Pokalsieger. Auch international war Moers kein unbeschriebenes Blatt mehr – dank seiner Europapokal-Auftritte beispielsweise in Novosibirsk, Ravenna und Montichiari.

Illustre Namen der Volleyball-Welt

Anfang 1988 hatte der Verein noch in der 2. Liga um Punkte gekämpft, keine zwei Jahre später gelang der historische Erfolg im CEV-Pokal. „Ich habe mir eine Sportart gesucht“, hat Günter Krivec einmal gesagt, „in der man in möglichst kurzer Zeit in die Bundesliga aufsteigen und erfolgreich sein kann.“ Ein Satz, der sicherlich nicht bei allen Sportfreunden auf Zustimmung treffen dürfte. Aber da war der Geschäftsmann aus ähnlichem Holz geschnitzt wie sein sportliches Aushängeschild Georg Grozer.

Während Krivec mit seinen Vorwürfen gegenüber dem Verband nie hinter dem Berg hielt, kritisierte Grozer den damaligen Bundestrainer Igor Prielozny öffentlich, weil der ihn 1992 im entscheidenden Spiel der Olympia-Qualifikation ausgewechselt und auch nach Ansicht vieler Experten damit die mögliche Olympia-Teilnahme für die Spiele in Barcelona vertan hatte.

Die Moerser indes entdeckten mehr und mehr die Liebe zum Volleyball. Der Fanclub reiste der Mannschaft quer durch die Republik hinterher. Für viele gehörte der Besuch der Heimspiele wie selbstverständlich zur Wochenendgestaltung. „Na, morgen auch wieder Boden-Decke?“, so hieß eine beliebte Frage unter Insidern. Ein versteckter Aufruf, am nächsten Tag doch wieder Georg Grozer und seinem Team bei der Handwerksarbeit zuzuschauen.

Auch Georg Grozer junior beim MSC

Und es gab viel zu bestaunen im Sportzentrum Rheinkamp, vor allem am Anfang der 90er-Jahre. Namhafte Experten wie Frank Winkler, Bogdan Jalowietzki, Mirko Culic und Marko Liefke trugen da das MSC-Trikot. Auf der Trainerbank nahm Jürgen Wagner Platz, 2012 und 2016 Olympiasieger-Trainer im Beachvolleyball. 1996 heuerten die frischgebackenen niederländischen Olympiasieger Peter Blange und Rob Grabert bei den „Adlern“ an. Und die Liste der MSC-Volleyballer mit klangvollen Namen ist beliebig zu verlängern.

Der ganz große Erfolg der Jahre 1990 bis 1993 kehrte allerdings nicht mehr an den Niederrhein zurück, auch wenn Georg Grozer junior zwischen 2002 und 2008 mit mindestens jener Urgewalt wie sein Vater für den MSC in den Bundesliga aufschlug – zwei Jahre davon sogar unter den Fittichen des Vaters.

Nicht nur für Georg Grozer senior dürfte der 11. Februar 1990 unvergesslich bleiben. Es war auch der Tag, an dem in Südafrika Nelson Mandela nach fast 28 Jahren aus der Haft entlassen wurde. Der Tag, an dem Bundeskanzler Kohl in Moskau mit Michail Gorbatschow die Wiedervereinigung Deutschlands auf den Weg brachte. Und ganz nebenbei schrieb ein Verein in der kleinsten Großstadt Deutschlands Volleyball-Geschichte.