Nütterden. . Guido Winkmann aus Nütterden pfeift seit fast fünf Jahren Spiele der Bundesliga. Die NRZ begleitete den 39-Jährigen bei seinem 62. Erstliga-Duell – bei der Begegnung Bayer Leverkusen gegen TSG Hoffenheim
Auf der großen Bühne Fußball-Bundesliga tun die meisten alles, um im Mittelpunkt zu stehen. Einer der zwar mittendrin ist, aber froh, wenn nach dem Spiel keiner über ihn redet, ist Guido Winkmann. Der 39-jährige Schiedsrichter des SV Nütterden hat am Samstag sein zehntes Spiel der laufenden Erstliga-Saison gepfiffen: Das Duell Bayer 04 Leverkusen gegen die TSG Hoffenheim war sein 62. Einsatz in der Bundesliga insgesamt.
„Wenn das Schiedsrichter-Team medial kein großes Thema ist, kann man das schon als Kompliment ansehen“, sagt der Unparteiische, dem das Fachmagazin Kicker am Montag eine gute Spielleitung bescheinigte.
Früher hat Guido Winkmann, der heute in Kerken lebt, auch selber gegen den Ball getreten. „Ich habe von der F- bis zur A- Jugend beim SV Nütterden gespielt – und zwar auf allen Positionen: Stürmer, Mittelfeld, Torwart und damals noch klassischer Libero“, erzählt der Schiri, der bereits mit 15 Jahren sein erstes Fußballspiel geleitet hat – die B-Jugend des VfB Kleve gegen die A-Junioren der DJK Kleve.
„Wenn im Fernsehen Fußball lief, haben mich die Schiedsrichter einfach mehr interessiert als die Spieler“, erklärt Winkmann, der – nomen est omen – auch als Linienrichter aktiv war. „Daher war mein Name als Assistent auch Programm, wobei ich froh bin, dass ich inzwischen ausschließlich als Schiedsrichter im Einsatz bin“, ergänzt der Referee aus dem Siebenquellendorf.
Neu ist neben seiner Tätigkeit als vierter Offizieller die als Torrichter auf internationaler Ebene: „In dieser Saison war ich in Istanbul, Braga, Moskau, Valencia, Dnepropetrovsk, Cluj und Dublin“, berichtet der 39-jährige, der auch beim Champions-League-Viertelfinale zwischen Paris Saint German und dem FC Barcelona einer der beiden Torrichter war. „Ein unheimlich schnelles, intensiv geführtes Spiel mit einem hohen Schwierigkeitsgrad für das Schiedsrichter-Team“, erinnert sich Winkmann an diesen Einsatz.
Nicht ganz so im Medieninteresse stand die Bundesliga-Partie Nummer 264 der laufenden Erstliga-Saison in der Leverkusener BayArena. Immerhin wollten aber doch 28683 Zuschauer das Duell des Champions-League-Aspiranten gegen den Abstiegs-Kandidaten sehen.
Mit einem etwa zehnjährigen Mädchen im Bayer-04-Outfit führt Guido Winkmann die Mannschaften auf Spielfeld. Nach der Begrüßung der Spielführer und der Seitenwahl klatscht er sich noch mit seinen Assistenten Christian Bandurski und Detlef Scheppe ab. Das Spiel kann beginnen.
Winkmann hat zunächst wenig zu tun, pfeift ein paar Fouls, korrigiert die Position eines Spielers beim Einwurf und winkt die Betreuer nach der Verletzung des Leverkusener Spielers Michal Kadlec auf dem Platz. In Minute 16 erzielt Stefan Kießling das 1:0 für Leverkusen. Jubel im Stadion, keine Proteste der Hoffenheimer.
Elfmeter und Feldverweis
Nach 23 Minuten folgt die größte Herausforderung für den Schiedsrichter an diesem Nachmittag: Der Hoffenheimer Eugen Polanski foult Bayer-Stürmer Stefan Kießling etwa zehn Meter vor dem Tor in aussichtreicher Schussposition. Guido Winkmann steht an der Strafraumgrenze, pfeift sofort und zeigt auf den ominösen Punkt. Doch wie entscheidet der Referee, was die persönliche Strafe für den Gästekicker anbetrifft? Winkmann: „Ich habe auf dem Weg zu Polanski die Szene nochmals in meinem Kopf durchgespielt. Wo standen die Abwehrspieler im Moment des Fouls? Kießling wäre alleine durch gewesen – also Rot!“ Er greift nicht – wie häufig beschrieben – in seine Gesäßtasche, sondern rechts oben in sein knallgelbes Shirt und zieht den roten Karton.
In Sekundenschnelle ist Guido Winkmann umzingelt von blau gekleideten Gästekickern, die wie wild auf ihn einreden. „Warum Rot? Polanski sei doch nicht letzter Mann gewesen und die Bestrafung zu hart. Ansonsten hielten sich die Proteste in Grenzen, weil das Foul an sich klar war“, so das Fazit des Unparteiischen zu der kurzen, aber emotionalen „Gesprächsrunde“ unter Männern.
Natürlich ließ sich der Referee nicht mehr umstimmen – die Gäste spielen zu Zehnt weiter. Bayer versemmelt zwar den Elfer, hat aber über eine Stunde einen Mann mehr auf dem Platz.
Vor dem Halbzeitpause trifft Andre Schürrle noch zum 2:0 – sonst passiert nicht mehr viel. Winkmann lässt eine Minute nachspielen und pfeift dann zur Pause.
Auf dem Weg in die Kabine kommt Hoffenheim-Spielführer Andreas Beck noch zu ihm. „Ich habe ihm gesagt, dass es doch auch Gelb für Polanski getan hätte. Wir waren doch durch den Elfmeter schon bestraft genug. Er hat mir aber erläutert, dass die Regeln keine andere Auslegung zulassen, als Rot zu zeigen, wenn eine klare Torchance verhindert wurde“, berichtet Ex-Nationalspieler Beck später über seinen Dialog mit dem Spielleiter vom SV Nütterden.
In der zweiten Halbzeit spielt Leverkusen seine Überlegenheit aus, Hoffenheim wehrt sich kaum noch.
Guido Winkmann lässt das Spiel laufen und läuft selber – vorwärts, rückwärts und seitwärts. Ein paar Mal kann er den Spielern im letzten Moment ausweichen – er ist immer mittendrin im Geschehen. „Natürlich trainieren wir das ständig. Und bei der Schnelligkeit im Spiel bleibt es nicht aus, dass sich hier und da Laufwege kreuzen. Und am Montagmorgen bekomme ich eine detaillierte elektronische Laufauswertung mit allen relevanten Daten. Auch wir sind quasi ‚gläsern’“, erläutert der 39-Jährige nach dem Spiel.
Ab und zu spricht Guido Winkmann in sein fest installiertes Mikrofon und kommuniziert so mit seinen Assistenten: „Wir arbeiten mit Headset und elektronischen Fahnen.“ Noch eine Gelbe Karte für den Leverkusener Sidney Sam, ansonsten hat der Schiedsrichter nicht mehr viel zu tun.
Pünktlich pustet er nach genau 90 Minuten in eine der beiden Pfeifen, die er an seiner Hand trägt. 19 Fouls hat Guido Winkmann an diesem Nachmittag geahndet, zweimal Hoffenheim wegen Abseits zurückgepfiffen, einmal bei Leverkusen auf Abseits entschieden.
Viele Spieler beider Teams verabschieden sich mit Handschlag von dem Schiedsrichter-Gespann, dann geht’s in die Katakomben des Stadions.
Rote und gelbe Karte als Souvenir
Draußen feiern noch die Leverkusener Spieler ihren 5:0-Triumph, einige verschenken ihre Trikots an Fans. Und auch Guido Winkmann, der hauptberuflich Polizeibeamter beim Landeskriminalamt NRW ist, macht einen Zuschauer glücklich: Ein türkischer Kollege mit dem er über drei Jahre in einem internationalen EU-Polizeiprojekt zusammen gearbeitet hat, ist zufällig im Stadion. „Als Erinnerung habe ich ihm die rote und gelbe Karte geschenkt. Fußball verbindet…“, sagt der Referee und ergänzt: „Wir bekommen pro Saison vom DFB etwa 1500 Autogrammkarten, die wir dann entweder verschicken oder wir erfüllen den Autogrammwunsch vor Ort.“
Direkt gegenüber der Gästekabine haben die Unparteiischen ihre Räume. Dort trifft sich das Schiedsrichter-Gespann mit ehemaligen Schiris und dem Schiedsrichter-Beobachter nach der Begegnung zur Nachbesprechung. „Wir haben das Spiel 45 Minuten analysiert. Natürlich die Szene mit dem Feldverweis sowie einige Szenen in Bezug auf erlaubtes beziehungsweise verbotenes Spiel. Dazu noch schwierige Abseitspositionen.
Danach ging’s zur Massage. Am Mittwoch habe ich dann nochmals eine individuelle Nachbesprechung mit meinem persönlichen Coach, der eine Kopie der DVD auswertet und mit mir Verbesserungsvorschläge bespricht“, erzählt Guido Winkmann.
Zeitstrafe für einen Kumpel
Er hat schon viel erlebt in seiner Laufbahn. Bevor er im August 2008 seine Bundesliga-Premiere feierte, leitete Winkmann erstmal Spiele in den unteren Ligen. An einen kuriosen Einsatz erinnert er sich noch heute: „Ich habe mal als 19-Jähriger in der Bezirksliga beim VfB Kleve gepfiffen. Gegen Christof Joeken, mit dem ich zusammen als Teilnehmer einer Jugendgruppe kurz zuvor im Urlaub war, und wo wir uns super verstanden haben, wollte ich nach einem Foulspiel eine Zehn-Minuten-Zeitstrafe aussprechen. Ich fragte ihn unsicher: ‚Äh... wie war Ihr Name nochmal?’ Er antwortete: ‚Joeken - und mit Ihnen war ich vor zwei Wochen noch im Urlaub!’ Übrigens sind wir heute immer noch sehr gut befreundet...“