Essen. Der EFC Essen ist sogar Weltmeister. Die Verbindung mit RWE sorgte aber für negative Erlebnisse. Was die Sportart noch anstrengender als Boxen macht.
- Eisfußball, auch als „Polarsoccer“ bekannt, ist eine besondere und körperlich anspruchsvolle Sportart, bei der Spieler in kompletter Schutzausrüstung auf spiegelglattem Eis Fußball spielen – mit viel Rutschgefahr und Spaß.
- Die Szene in Essen, angeführt vom Eisfußballclub (EFC) Essen, entstand vor etwa 20 Jahren, hat Turniere gewonnen und sich durch regelmäßige Einheiten etabliert, doch die steigenden Kosten und die Auswirkungen des Klimawandels erschweren das Fortbestehen.
- Trotz der Herausforderungen begeistert die Sportart ihre Anhänger weiterhin durch den einzigartigen Mix aus sportlichem Wettkampf, strategischem Spiel und dem Reiz der Unvorhersehbarkeit.
Zwei Spieler stapeln sich übereinander zwischen den Pfosten, das Spielgerät liegt in bester Abschlussposition für den Angreifer frei. Beschrieben sein könnte eine Szene aus einem Eishockey-Heimspiel der Moskitos Essen in der Eissporthalle am Westbahnhof. Was allerdings nicht dazu passt: Der Angreifer rutscht beim Abschluss auch noch weg, trifft den Ball nicht richtig. Der Unterschied: Es handelt sich nicht um Eishockey, sondern um Eisfußball.
Auf der kleinen Eisbahn unterhalb der Stehplatztribüne treten die Essener Eisfußballer vor die Kugel. „Schwarz gegen Rot“, ruft Spieler und Teammanager Patrick Arnolds. Vier Spieler treten gegen drei an. Der Eismeister hat die Fläche gerade frisch aufbereitet, das Eis ist spiegelglatt. Los geht‘s. Nach fünf Sekunden rutscht der erste Spieler bereits weg, landet auf dem Allerwertesten – autsch.
Eisfußball ist in Essen auch unter dem Namen Polarsoccer bekannt
Eisfußball? Ja, Eisfußball. „Das ist in Essen ja auch unter dem Namen ‚Polarsoccer‘ bekannt“, erklärt Arnolds. Vor knapp 20 Jahren fand die Sportart ihren Weg nach Essen. Uwe Loch gilt als Polarsoccer-Erfinder in der Stadt. Jahrelang kämpften auf dem Essener Kennedyplatz im Winter traditionell Teams um den Titel bei der Polarsoccer-Weltmeisterschaft – die 19. und bislang letzte Ausgabe fand 2020 statt.
Auch die Eiskicker vom Eisfußballclub (EFC) Essen nahmen teil, gewannen das Turnier sogar einmal 2017. „Wir fanden das natürlich super, aber einmal im Jahr war uns zu wenig“, meint Arnolds. „Also haben wir gesagt: Hey, lasst uns doch einmal selbst eine Eisbahn anbieten.“
Die Vereinsfarben sind Rot-Weiß - das kam früher nicht überall gut an
Anfang der 2010er-Jahre bemerkten die Essener, dass die Sportart auch in anderen Städten und sogar in Österreich und der Schweiz ausgeübt wird, fuhren ab 2012 zu Turnieren. „2017 war die Sportart eigentlich auf dem Höhepunkt“, sagt der 37-Jährige. „Da wurdest du mitunter in Hamburg auf der Reeperbahn wiedererkannt, weil du vorher in einer Eishalle vor 500 Zuschauern gespielt hast.“
Die Auswärtsfahrten waren zu der Zeit teilweise turbulent. „Wir haben uns von Vornherein aus Marketing-Gesichtspunkten ‚EFC Essen‘ genannt, um zu zeigen: Wir stehen für Essen“, so Arnolds. „Wenn wir in anderen Städten aufgetreten sind, sind wir leider auch dementsprechend behandelt worden – eher negativ als positiv.“ Der Grund: Nicht nur durch den Namen, auch durch ihre Vereinsfarben rot und weiß werden die Eisfußballer schnell mit Drittligist Rot-Weiss Essen in Verbindung gebracht.
„Deswegen haben manche Menschen gedacht, dass wir ein Ableger davon wären“, sagt Arnolds. „So sind wir dann auch wirklich behandelt worden. Da gab es – vorsichtig ausgedrückt – wilde Exzesse und Angriffe uns gegenüber.“
Eisfußball ist anstrengend - schon bevor es auf das Eis geht
Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Am Samstagvormittag treffen sich die Eisfußballer auf dem Parkplatz am Westbahnhof. „Nummer acht und neun haben gerade abgesagt“, ruft Patti seinen Kollegen zu, die langsam eintrudeln. Erst in einer Dreiviertelstunde hat der EFC die Eisbahn gemietet, für die Vorbereitung auf die Einheit müssen die Eisfußballer aber viel Zeit einplanen.
+++ Hier lesen Sie alle Moskitos-Interviews, Analysen und Live-Ticker +++
„Das Anziehen der Ausrüstung ist schon ein Aufwärmprogramm an sich“, sagt Marco Grunau (38). Helme, Schoner, Schuhe fliegen in der Kabine herum, die Brustpanzer füllen einen großen Teil der riesigen Sporttaschen aus. „Hast du ein Tape dabei?“, fragt Lutz Coenen Arnolds.
Das Tape ist fast der wichtigste Baustein der Ausrüstung, er hilft die vielen Teile am Körper zu fixieren, damit bloß nichts verrutscht. „Wobei Eisfußball durch die Polsterung nicht so gefährlich ist, wie es klingt“, erklärt Grunau. „Bei Fußball ist das mit Direktkontakt dann noch einmal etwas anderes. Hier bist du gepolstert wie ein Michelin-Männchen.“
Die Verletzungsgefahr ist trotz des Rutschens gering
Allerdings können die Bänder in Mitleidenschaft gezogen werden und nur schwer geschützt werden. Außerdem ist der Aufwand riesig. Warum tun sich die Spieler das überhaupt an? „Ich mache es eigentlich aus Wahnsinn und Spaß an diesem besonderen Sport“, erklärt Sebastian Runge (37). „Es ist alles nicht ausrechenbar, wenn man mit Fußballhallenschuhen auf dem Eis steht. Man muss die Laufwege im Voraus berechnen, sich körperlich stark durchsetzen. Das ist der gewisse Reiz.“
Was natürlich auch einkalkuliert werden muss: Dass man mal ausrutscht und hinfällt. Durch die Ausrüstung ist die Verletzungsgefahr aber gering. Und gleich in den ersten Minuten ist erkennbar: Die Jungs sind erfahren, stehen über weite Strecken recht sicher auf dem Eis und zaubern sogar kleine Kombinationen auf die Fläche – bis der nächste fliegt.
Rutscht ein Spieler aus, zwingt er einen weiteren in vielen Fällen gleich mit in die Knie. „Gerade als Anfänger kommt es darauf an, wer wie schnell aufsteht“, erklärt Arnolds. „Nicht, wer den saubersten Pass spielt. Wenn du das erste Mal mitspielst, liegst du tatsächlich auch 80 Prozent der Zeit.“ Aber auch wer noch nicht so standhaft ist, kann in der Defensive kreativ werden – zum Beispiel seinem Gegenspieler nach einer Rutscheinlage die Beine wegziehen. Oder sich schnell die Handschuhe ausziehen und Richtung Ball werfen.
Damit ist die Torchance im Normalfall schnell vereitelt, weil der Gegenspieler das Gleichgewicht verliert oder der Ball verrutscht. Eigentlich würde der Schiedsrichter so eine Aktion abpfeifen, Fouls gibt es auch beim Eisfußball - zumindest bei Turnieren. Bei den Einheiten am Westbahnhof gehen es die Essener aber locker an und lassen viel bis nahezu alles durchgehen. Dadurch steigt der Spaßfaktor. Handspiele sind aber nicht erlaubt. Steigt das Tempo auf dem Eis, steigt automatisch auch die Rutschgefahr – die Spieler müssen ein vernünftiges Mittelmaß finden. Ohnehin sei die Sportart verdammt anstrengend, berichten Arnolds, Grunau und Runge.
Muskelkater gehört nach den Einheiten dazu
In den ein, zwei Tagen nach der Einheit sollten die Spieler keine intensiven körperlichen Aktivitäten einplanen – zu stark sei der Muskelkater. „Du stehst immer ein bisschen in der Hocke, um das dann mit dem Gewicht auszugleichen. Das erfordert Anspannung am ganzen Körper“, erklärt Runge. „Allein, gegen die Glätte anzulaufen und abzustoppen, ist wirklich sehr anstrengend. Man schwitzt am ganzen Körper.“
Einmal hätten sogar Jungs mitgespielt, die sonst regelmäßig Boxtraining absolvieren, ergänzt Grunau. „Boxtraining ist ja bekanntlich auch sehr anstrengend, aber sie haben gesagt, dass Eisfußball nochmal krasser ist.“ Derzeit trainieren die Essener Eisfußballer nur zwei Mal im Monat, ihr bislang letztes Spiel absolvierten sie vor rund einem Jahr in Dresden. Gerne würde der EFC auch wieder regelmäßig Turniere spielen.
Unter der Corona-Pandemie und dem Klimawandel litten und leidet aber auch die Eisfußball-Szene. „Das hat nicht nur in Essen, sondern auch in vielen anderen Städten dafür gesorgt, dass keine Turniere mehr stattfinden“, erklärt Patrick Arnolds. „Wir haben kaum noch Temperaturen um den Gefrierpunkt. Eine Eisbahn benötigt so viel Strom, das rechnet sich nicht.“
- Weitere Berichte aus dem Lokalsport in Essen lesen Sie hier!
- Alles rund um Rot-Weiss Essen lesen Sie hier!
- Die Facebook-Gruppe zum Fußball in Essen finden Sie hier!
- Weitere Berichte aus dem Lokalsport in Essen lesen Sie hier!
- Alles rund um Rot-Weiss Essen lesen Sie hier!
- Die Facebook-Gruppe zum Fußball in Essen finden Sie hier!