Essen. Essener Erfolgscoach Robert Berger geht in den Ruhestand. Was plant er als Nächstes – und warum auch seine Frau sich nun umstellen muss.
- Der Essener Robert Berger hat viele Kanu-Olympiasieger geformt
- Einer seiner Athleten erlebte in Sydney 2000 ein großes Drama
- Er blickt zurück auf über 30 Jahre in Essen
Angefangen hat alles beim WSV Walsum, einem Wandersportverein vor der Haustür, in dem die Eltern Mitglied waren. Mit sieben Jahren entdeckte Robert Berger (63) dort die Liebe und Leidenschaft fürs Paddeln. Nur überschaubar erfolgreich, wechselte er bereits mit 20 Jahren auf die Funktionärsebene, studierte Diplomsport in Köln und lernte auf seinen Stationen die unterschiedlichsten Vereinsstrukturen kennen.
1993 wechselte der gebürtige Dinslakener von Berlin zum Baldeneysee und wurde dort Cheftrainer bei der Kanusport-Gemeinschaft Essen (KGE) und Landesstützpunkt-Leiter. Berger ist im Männer-Bereich einer der erfolgreichsten deutschen Trainer. Er arbeitete mit Olympiasiegern wie Thomas Reineck, Mario van Appen, Olaf Winter, Tomasz Wylenczek, Max Hoff und aktuell mit Max Rendschmidt, der nach Rio und Tokio in Paris einmal mehr um Gold kämpft. Für den Essener Coach sind es die achten und letzten Spiele, er wird im August nach drei Jahrzehnten KGE seine Trainerkarriere beenden.
Die KGE zählt zu den erfolgreichsten Vereinen im Kanu-Rennsport und schickt seit Jahrzehnten ihre Asse zu den Olympischen Spielen, die mit vielen Medaillen heimkehrten. Doch selbst wenn es Gold war, fiel der Name Robert Berger nie oder sehr selten. Vor Ort waren Sie auch nie und sagen deshalb von sich: „Heimtrainer ist Daheim-Trainer“. Ist das nicht frustrierend, öffentlich keine Anerkennung zu erfahren?
Ich bin fein damit. Nach außen hin war es mir immer egal. Ich muss nicht damit glänzen, dass ich Olympiasieger trainiert habe. Mein Ansatz ist eher, dass ich verdammt viel Glück hatte, diese Sportler begleiten zu dürfen. Und ich finde es schön, dass sie sich für unseren Stützpunkt entschieden haben und die Zeit hier toll fanden. Das ist genug Anerkennung. Am meisten freue ich mich aber, wenn die Sportler happy sind, wenn sie später das Gefühl haben: „Ich habe alles richtig gemacht, ich stehe ganz oben. Das Training hat funktioniert und es war eine tolle Zeit in Essen“.
Aber hätten Sie nicht auch gern mal bei Olympia vor Ort am Ufer gestanden, um Tipps zu geben?
Das ist bei uns anders als zum Beispiel in der Leichtathletik, wo jeder Heimtrainer akkreditiert ist. Wir haben Disziplintrainer im Verband für die unmittelbare Wettkampfvorbereitung der Mannschaftsboote. Da seinem Sportler zu soufflieren, ist ganz schlecht. Dann hätte man plötzlich fünf Trainer und fünf Meinungen, das führt nicht zum Erfolg.
Trainer im Verband wäre kein Job für Sie gewesen?
Ich habe mich damals ganz bewusst dazu entschieden, als Landestrainer aufzuhören und bei der Stadt Essen im Schulverwaltungsamt anzufangen. Ich wollte nicht in die Verbandsstruktur und Hierarchie, zumal es dort immer nur befristete Verträge gibt.
Wie ist denn aktuell die Zusammenarbeit mit den DKV-Trainern?
Bundestrainer Arndt Hanisch, der in Paris den Vierer mit Max Rendschmidt betreut, kommt aus Essen, ich habe ihn selbst trainiert und wir haben die gleiche Philosophie. Wir kennen uns schon aus meiner Zeit in Berlin. Ich war Landestrainer und er Student in Potsdam. Damals haben wir sogar gemeinsam Deputat-Kohle aus NRW abgeholt, um sie zu Hause zu verfeuern. Er hat sich dann für Potsdam entschieden, weil seine Frau aus der Region stammt. Das ist einer der führenden Stützpunkte in Deutschland.
Anfangs zwölf Aktive in der Leistungsklasse
Dazu gehört der Baldeneysee aber auch.
Ja, wir sind schon gut dabei. Darauf blicke ich mit Stolz zurück. Als ich hier hinkam, gab es nur Manager Heino Terporten, den Vorstand und zwölf Aktive in der Leistungsklasse. Heute sind es über 100 Aktive, wir haben Kinder und Jugendliche im Rennsport, mehrere hauptamtliche Trainer. Das System ist gewachsen und mit der Eliteschule des Sports und dem Sportinternat haben wir ein stabiles Verbundsystem. Wir arbeiten seit Jahrzehnten erfolgreich und sind ein gutes Team, zu dem auch Sponsoren, Vorstand und Management zählen.
Wie wichtig ist die Arbeit am Stützpunkt für internationale Einsätze?
Wir sind eine Sommersportart, aber die meisten Kilometer werden im Winter gemacht. Da sind die Heimtrainer gefragt, weil sie zwei Drittel der Gesamtkilometer mit den Sportlern fahren und sie dabei betreuen. Wir bereiten sie vor und müssen sie topfit zur unmittelbaren Wettkampfvorbereitung schicken. Es ist nicht wichtig, dass ein Max Rendschmidt hier auf dem See gestern noch super Zeiten gefahren ist, sondern dass er das in Paris bringt. Mein Credo ist, mündige Athleten zu formen. Sie sollen nie denken, es geht nicht ohne den anderen. Da darf man nichts verklären. Es muss heißen: „Wir haben in Essen gut trainiert und können es jetzt auch allein schaffen – auch unter einem anderen Trainer.“
Eine tragische Figur ist Lutz Liwowski
Wer ist denn der „Größte“ gewesen, den Sie trainiert haben?
Ich möchte da keinem Klasse und Talent absprechen, man kann die Erfolge nicht vergleichen. Die Konstellation ist immer anders, da spielen viele Dinge mit rein. Mal sind es Konkurrenten, die vor einem sind, mal scheitert man knapp in der Quali, das alles hat manchmal auch mit Glück oder Pech zu tun. Reineck war ein guter Einer-Fahrer und begnadeter Schlagmann. Doppel-Olympiasieger „Tomek“ Wylenczek war der erste und einzige Canadier-Fahrer, den ich betreut habe. Davon hatte ich vorher wenig Ahnung und bin stolz (grinsend), dass er bei mir nicht langsamer wurde. Eine tragische Figur ist Lutz Liwowski, der tut mir noch heute leid.
Denken Sie häufiger an sein Missgeschick?
Ja oft, weil wir auch befreundet sind. Sydney 2000, ich saß zu Hause in der Nacht vor dem Fernseher. Lutz war als zweimaliger Weltmeister klar favorisiert und hatte einen relativ leichten Vorlauf, da hätte er sogar zwei Längen später starten können und es hätte fürs Finale gereicht. Erstmals wurde dort aus dem Startschuh gefahren, so führte gleich der erste Fehlstart zur Disqualifikation. Lutz erlaubte sich eine Unachtsamkeit und stützte sich mit dem Paddel ab, was als Startversuch gewertet wurde. Aus und vorbei. Das war sehr bitter und Lutz hat das sehr angefasst. Er war damals vom DKV nicht vorgewarnt bzw. sensibilisiert worden und wurde danach auch noch als Blödmann dargestellt.
Der Verein ist eher ein geschützter Raum
Man hat Sie auch schon mit den Athleten gemeinsam am Grill mit Schürze erlebt, anscheinend hat es auch menschlich funktioniert.
Der Verein ist ein eher geschützter Raum. Hier kann man auch mal offen sagen, wenn man sich schlapp fühlt. Beim DKV weht ein anderer Wind, dort kämen sie gleich ins Grübeln, ob derjenige überhaupt der Richtige für dieses Boot ist. Mit der Zeit lernt man das private Umfeld der Athleten kennen, deren Stärken und Schwächen. Und ja, wenn eine Ära zu Ende geht, verdrückt man dann schon mal ein Tränchen.
Welchen Trainer-Typ verkörpern Sie. Typ Medizinball-Magath?
Ich bin kompromisslos. Ich habe meine Trainingsphilosophie, da müssen die Jungs mitziehen. Zack, zack, Ende der Durchsage. Es gab deshalb auch Auseinandersetzungen oder Gespräche. Im Alter merke ich allerdings, dass ich weicher und kompromissbereiter werde und schon mal die Linie verlasse. (grinst) Weiß aber nicht, ob das zielgerichtet ist.
Höre ich da die Befürchtung heraus, dass das einer mal ausnutzen könnte?
Ich finde, Autorität muss sein, in einem Team kann nicht jeder machen, was er will. Es gibt Sportler, die wollen den geringsten Aufwand, aber ein Maximum an Ergebnis. Wir wissen aber aus Erfahrung, was unbedingt notwendig ist. Da gibt es Dinge, die sind nützlich, erst dann folgt das Angenehme. Wer einen Hang zum Angenehmen hat und meint, dadurch käme Leistung, bekommt Probleme mit mir. Zumal die Trainingsdaten als Beweis vorliegen.
Stichtag bei Berger ist der 18. August
Die vielen Erfolge dienen als Beleg für Ihre Kompetenz. Wie war es denn zu Beginn Ihrer Trainerlaufbahn?
Ganz früher hätte das mit der Kompetenz vielleicht ein Problem sein können, weil ich nie auf höchstem Niveau gepaddelt habe. Ich bin Vierer mitgefahren und Deutscher Meister geworden, okay. Ich feixe dann immer: „Ihr kennt es doch aus dem Bobsport – einer muss der Bremser sein“.
Bald müssen die KGE-Asse ohne sie auskommen. Wann hören Sie auf?
Stichtag ist der 18. August, mit den Deutschen Meisterschaften endet für mich auch das Trainer-Kapitel.
Sind sie traurig oder wehmütig?
Gar nicht. Die Nachfolge ist mit Christoph Steinkamp gut geregelt, er war hier bereits Trainer der U23 und Damen und ist seit vier Jahren Bundestützpunktleiter. Er kennt die Wege am See. Außerdem gehen aufgrund des Altersunterschieds die Ansichten beider Seiten allmählich auseinander, manchmal fehlt mir das Verständnis, in vielen Dingen kann ich da nicht mehr mitgehen. Irgendwann könnte die Akzeptanz schwinden: Lass den alten Sack mal reden, werden sie dann womöglich sagen. Außerdem habe ich keine Lust, mich auch noch selbst zu motivieren, ich möchte mir im Winter auf Wasser nicht mehr den Hintern abfrieren. Also wird’s langsam Zeit.
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Und was sagt Ihre Frau zu der Entscheidung?
Das wird auch für sie eine Umstellung, ich war ja nie vor 20 Uhr zu Hause. Ich hoffe, ich störe nicht allzu sehr. Aber ich freue mich auf die Me-Time, da gibt‘s genügend Hobbys. Ich bastele zum Beispiel an alten Autos herum. Man fragt sich hin und wieder, wo die Zeit geblieben ist. Wann war ich mal am Wochenende spontan mit der Familie unterwegs. Da komme ich auf fünf Finger maximal, weil Samstag und Sonntag ebenfalls trainiert wird. Das war privat nicht immer ganz leicht, das ist die Kehrseite der Medaille.
Können Sie loslassen?
Ja definitiv. Ist doch toll, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte und es ist ja ein super Job. Auch wenn man manchmal gerade zu Beginn Mädchen für alles gewesen ist, weil noch nicht alles so strukturiert war. Ich will nicht, dass man mir nahelegt zu gehen oder dass ich selbst das Gefühl habe, nichts mehr bewegen zu können. Und das Regattahaus werde ich aber ganz sicher nicht meiden. Dafür ist dieser Ort einfach zu schön.
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