Emmerich. . Teamchef Cyril Abiteboul und Technikchef Bob Bell sind fest davon überzeugt, dass das Werkteam in zwei bis drei Jahren an der Spitze stehen kann.
Eigentlich ruhen an einem Donnerstag vor einem Formel-1-Wochenende noch die Motoren. Trotzdem ist der Lärm in der Boxengasse ohrenbetäubend. Denn ein Renault-Mechaniker testet, ob die vier Schlagschrauber, die für den Reifenwechsel benötigt werden auch funktionieren. Dem Lärm nach sollte dem so sein. In der Garage am Hockenheimring ist sowohl die Mechanikercrew von Nico Hülkenberg als auch die von Teamkollege Carlos Sainz noch dabei, die Boliden fürs Training vorzubereiten. Anderswo ist man schon weiter. Bei Williams wird der Pitstop getestet. Nachdem alle vier Reifen gewechselt sind, brandet Applaus von den Zuschauern auf, die nur wenige Meter entfernt stehen und die Sache mal hautnah erleben können.
Die Renault-Mechaniker bekommen davon nichts mit. Denn während sie an den Autos schrauben, dröhnt Gitarrenlastige Musik aus den Lautsprechern im Inneren der Box. Nico Hülkenberg kommt noch weit weniger davon mit, zu diesem Zeitpunkt sitzt er bei der offiziellen Pressekonferenz der FIA.
Die Wege sind aber kurz im Fahrerlager. Renault hat sein Motorhome, in dem die Gästebewirtung untergebracht ist, direkt neben dem Eingang zum Paddock aufgebaut. So steht der Emmericher tiefenentspannt nach der großen Pressekonferenz auch noch in kleiner Runde in der Renault-Hospitality Rede und Antwort. Zuvor haben an gleicher Stelle schon Teamchef Cyril Abiteboul und Technikchef Bob Bell Platz genommen. Unmissverständlich machen die beiden klar, mit welchem Antrieb Renault in der Formel 1 fährt. Es wird dabei überhaupt nicht um den heißen Brei geredet: Das französische Werksteam will Weltmeister werden.
Die Renault-Verantwortlichen wissen, dass es nicht von heute auf morgen geht, aber zehn Jahre wollen sie nicht mehr warten.
Über 1000 Mitarbeiter für zwei Autos
Hülkenberg nimmt das Wort WM-Titel nicht so ohne weiteres in den Mund. „Man will natürlich und wünscht sich, dass es schneller geht“, so der Emmericher. „Aber die Realität zeigt einfach, es dauert seine Zeit.“ Auch Mercedes sei in der Formel 1 ja nicht gleich um Siege mitgefahren. Vielmehr hätten die Silberpfeile ihren Erfolg sukzessive aufgebaut.
„Renault ist zwar eine bekannte Größe in der Formel 1, und war auch schon Weltmeister, aber sie waren halt Abstinenz für eine lange Zeit“, sagt der 30-Jährige, der auch daran erinnert, wie es war, als Renault den Lotus-Rennstall übernommen hat. „Sie kamen zurück in 2016, haben das Team aber im Dezember 2015 gekauft. Also war 2016 eigentlich komplett für die Füß’. Die haben da was aufgekauft, was komplett heruntergewirtschaftet war. Da war ja in der Fabrik noch nicht einmal mehr Tinte im Drucker.“ So befinde sich Renault immer noch in der Aufbauphase. „Es ist im Prinzip ein Fünf-Jahres-Plan, den man verfolgen muss“, so Hülkenberg.
Das geht freilich nur mit Investitionen. In der Fabrik in Enstone arbeiten mittlerweile 700 Mitarbeiter an Chassis und Aerodynamik. In der Motorenschmiede in Viry kommen weitere 400 Angestellte hinzu. Da ist die Anzahl der Mechaniker und Ingenieure an der Rennstrecke fast eine Marginalie. Laut Reglement dürfen nur 60 Personen pro Team operativ vor Ort an den Autos arbeiten. „Das reicht aber bei weitem nicht aus, um so ein Auto zu bewegen“, verrät Renault-Mitarbeiter Fabian Wrabetz, der am Hockenheimring eine kleine Führung durch die Garage leitet.
Dementsprechend müssen alle Daten in Echtzeit ins englische Enstone übertragen werden. Und das sind eine ganze Menge. Zwei MB genau genommen, pro Sekunde wohlgemerkt.
Während der Donnerstag für die meisten Teammitarbeiter noch eher ruhig verläuft, beginnt die heiße Phase des Rennwochenendes mit den Trainingseinheiten am Freitag. Dieses Mal ist Renault besonders darauf angewiesen, verlässliche Daten zu bekommen. Denn die Franzosen haben einen neuen Frontflügel im Gepäck. „Wir haben das schon lange geplant und es verläuft im Rahmen unseres normalen Entwicklungsprogramms“, erläutert Bob Bell, der klar macht, dass es rund acht Wochen dauert, bis ein Frontflügel entwickelt ist.
Bei Renault ist es üblich, dass die generelle Rennstrategie erst nach dem Qualifying am späten Samstagabend festgelegt wird. Das kann auch durchaus eine Nachtsession sein. Auch dieser Bereich ist nur mittels ausgeklügelter Computerprogramme realisierbar. Es gibt etwa für jede Runde einen Plan, falls das Safety Car rauskommen würde. Über eine komplette Saison kommen so 56 Millionen verschiedene Strategien zusammen für die unterschiedlichsten Szenarien.
Und dann kommen bei einer Freiluftsportart wie der Formel 1 noch die Wetterbedingungen hinzu. „Ich glaube, am Samstag soll ein kleiner Sturm herunterkommen“, hat auch Hülkenberg sich bereits mit der Wetterprognose fürs Qualifying beschäftigt. „Die Frage ist nur wann und wie.“
Grundsätzlich würde sich der Renault-Pilot aber vielmehr wünschen, dass
das Wetter nicht als zusätzlicher Spannungsbogen in der Formel 1 benötigt wird. „Man sollte das Racing verbessern. Man müsste mehr Rad-an-Rad-Duelle ermöglichen und die Aerodynamik so gestalten, dass man wieder näher an einen Vordermann heranfahren kann. Denn aktuell ist die Aerodynamik diesbezüglich etwas zu bestimmend. Wenn man hinter einem Gegner fährt, dann ist es schon sehr frustrierend, denn es fühlt sich manchmal an, als ob einer den Stecker rausgezogen hat, sobald man dichter auffährt“, sagt der Emmericher auf der offiziellen FIA-Pressekonferenz.
Während sich das Motorhome von Renault immer mehr füllt, schlüpft Hülkenberg in einen Rennanzug, allerdings ohne feuerfeste Unterwäsche. Die Sonne glüht auch an diesem späten Nachmittag noch über Hockenheim. Für den Emmericher geht es raus in die Boxengasse. Dort warten die Fans. Autogramme werden geschrieben. Bei seinem Heimspiel in Hockenheim sind es noch ein paar mehr als sonst.