Duisburg/Bottrop. 1990 verpasste Uwe Weidemann mit der DDR knapp die WM in Italien. Der MSV-Scout denkt gerne an ein 3:3 vor 100.000 Fans gegen Brasilien zurück.
Vor 30 Jahren lag Uwe Weidemann am Strand der Copacabana. 2020 sind eher unspektakuläre Fußballplätze wie das Ischelandstadion in Hagen oder das Sportgelände an der Deutsch-Luxemburger-Straße in Dortmund-Hombruch seine Ziele. Doch es gefällt ihm. „Das macht richtig Spaß“, sagt der Mann, der seit vielen Jahren in Bottrop lebt, und das klingt durchaus glaubhaft. Wie er in sich ruht, der frühere Nationalspieler der DDR, beim Gespräch in einem Bottroper Café, und freundlich und empathisch von seiner Arbeit erzählt, da merkt man, dass er aus einem Hobby seinen Beruf gemacht hat.
Scout in der Nachwuchsabteilung des Drittligisten MSV Duisburg ist Weidemann „und im Januar gehe ich da in mein zehntes Jahr“. Er tingelt über die Dörfer, Stadtteile, Städte und durch die kleinen Stadien Nordrhein-Westfalens und genießt es, „die Erfahrung, die du gesammelt hast, weiterzugeben.“ Seine Aufgabe: für den MSV Talente an Land zu ziehen. Das ist nichts für jeden Ex-Profi, im Jugendbereich zu arbeiten – aber für den früheren Mittelfeldmann ist es das Richtige: „Das stellt mich auch total zufrieden.“ Auf mehr als 300 Profispiele blickt Uwe Weidemann zurück, in der DDR-Oberliga, in den Bundesligen und auch auf zehn Länderspiele. Schnell war er immer, geschickt am Ball und mit Übersicht – einige Verletzungen verhinderten eine noch glanzvollere Karriere.
Österreich kostet die WM-Teilnahme
Höhepunkt mit der DDR-Nationalmannschaft war vor 30 Jahren ein Auftritt im legendären Maracanã von Rio de Janeiro, vor mehr als 100.000 Zuschauern. Ein großartiges, abwechslungsreiches und stimmungsvolles Fußballspiel mit einem 3:3 als Resultat, doch der damals 26 Jahre alte Spielmacher hätte es gerne versäumt: „Viel lieber wäre ich zur Weltmeisterschaft gefahren!“ Die nämlich verpasste die DDR Monate zuvor knapp, durch eine Niederlage im letzten Qualifikationsspiel in Wien gegen Österreich. Dabei hätte dort ein Unentschieden genügt. „Was wir an Sitzungen hatten …“, stöhnt Weidemann heute, „jeden Tag und dann liegst du nach zwei Minuten mit 0:1 hinten.“ Toni Polster machte alle drei Treffer beim 3:0 der Österreicher.
Daher durfte die DDR-Mannschaft nicht zur WM in Italien 1990, war aber ein gerngesehener Sparringspartner für Brasilien wenige Wochen vor Beginn des Turniers. Für Weidemann und seine Kollegen war es eine „schöne Sache. Es war eine tolle Reise, wir wohnten nahe der Copacabana und hatten nach dem Spiel noch zwei, drei Tage.“ Die strenge Bewachung, die in der DDR bei Reisen ins „imperialistische Ausland“ jahrzehntelang üblich war, gab es in den Monaten zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung ja nicht mehr. Weidemann: „Es war da schon ein bisschen lockerer und nach dem Spiel konnten wir unsere Freizeit am Strand genießen.“ An der Copacabana seien die DDR-Nationalspieler von den brasilianischen Badegästen geradezu gefeiert worden.
Das DDR-System hat den Mann aus Thüringen geprägt. In Weißensee, einem 3700-Einwohner-Städtchen nahe Erfurt, wuchs er auf, spielte lange für Rot-Weiß Erfurt, wurde 1985 Nationalspieler. Nur einmal war er gegen seinen Willen 1987/88 ein Jahr nach Leipzig delegiert worden zu einem größeren Klub, wie es in der DDR damals üblich war. Doch bei Lok Leipzig hatte Weidemann wegen einer schweren Verletzung wenig Freude und setzte die Rückdelegation nach Erfurt durch. Dafür wurde er gesperrt; dennoch kehrte er später in die Nationalelf unter Trainer Eduard Geyer zurück und absolvierte in Rio eines der letzten Spiele der DDR-Auswahl neben Ulf Kirsten, Thomas Doll und Dirk Schuster. Matthias Sammer fehlte verletzt. „Ich kann mich noch erinnern, als man aus den Katakomben rauskam. Das Spielfeld war weit weg, ein riesiges Areal. Lang, lang ist‘s her,“ sagt der Mittelfeldspieler, der in der 77. Minute ausgewechselt wurde.
Zehn Dollar für ein Foto vom Spiel
Beim 3:3 erzielten Doll, Rainer Ernst und Rico Steinmann die deutschen Tore. Es gibt in den Archiven kaum Fotos von diesem Spiel vor gewaltiger Kulisse, Weidemann selbst hat aber drei – in Rio selbst gekauft: „Da kam ein brasilianischer Fotograf zum Flughafen beim Einchecken. Die Bilder waren ein bisschen teuer, etwa zehn Dollar pro Stück.“ Auch daran erinnert er sich noch: „Ich hab‘s Trikot nicht getauscht. Die hatten alte Lumpen an, kann man wirklich sagen. Die waren oben eingerissen.“
Nach der Wende spielte Uwe Weidemann für den 1. FC Nürnberg, Waldhof Mannheim, den MSV Duisburg, Schalke 04, wo er mit drei Einsätzen auch zu den Eurofightern zählt, die 1997 den UEFA-Cup gewannen, Hertha BSC, FC Gütersloh und Fortuna Düsseldorf. Dort wurde er später auch Trainer. „Dankbar“ sei er, dass er weiter im Fußball tätig sein kann – im Schatten von Dortmund und Schalke talentierten Nachwuchs zum MSV Duisburg zu locken, sei „schwer, aber auch reizvoll. Es bedeutet, viel Überzeugungsarbeit zu leisten.“ Er sagt dann: „Bleibt erst mal hier. Hier seid ihr Topspieler und bei normaler Entwicklung klopfen die großen Vereine später an.“ Was an Uwe Weidemann imponiert, ist sein klarer Blick auf die Dinge: „Es ist doch klar. Wir müssen schnell sein und gut ausbilden.“ Die talentiertesten Jungen gehen halt – oft auf Druck auch ehrgeiziger Eltern – zu den Bundesligaklubs.
Reihenhäuschen in Bottrop
Der früher so dynamische Mittelfeldmann lebt seit den 90er Jahren in Bottrop, in Kirchhellen erst und inzwischen hat er in der Stadt „ein kleines Reihenhäuschen. Thüringen ist meine Heimat, aber hier fühle ich mich sehr wohl. Ich mag die Mentalität des Ruhrgebiets. Die sind offen, die sind ehrlich, die sagen auch mal, was sie denken. Und das passt auch ganz gut zu mir.“ In Bottrop ist er nicht oft unterwegs, Spiele von VfB oder Fortuna sieht er fast nie: „Samstags schaue ich meist zwei oder drei Spiele, sonntags ein oder zwei.“ Jugendspiele und selten in Bottrop.
Wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten sehe er selbst seine Frau („meine stärkere Hälfte“) manchmal zwei Tage nicht – wenn er noch ein Training besucht und erst nach 21 Uhr zu Hause ist. Sie muss als Filialleiterin einer Bäckerei um 4 Uhr raus. Humorvoll analysiert Uwe Weidemann: „Da kann ich mich nicht groß streiten mit ihr.“
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Seine empathische Art belegt eine kleine Geschichte vom MSV. Da kam ein Spieler im Teenageralter zu ihm, der Kummer mit seinem Trainer hatte wegen seines Übergewichts. Weidemann wusste Rat. „Hör zu, der Trainer hat dir ‘ne Aufgabe gegeben, dass du in den nächsten Wochen vier Kilo abnimmst. Und wenn du dann zwei Kilo mehr hast, muss der sich ja veralbert fühlen.“ Der Junge gab ihm recht. „Weißt du“, fuhr Weidemann fort, „du hast Schulspeisung, da isst du gut bürgerlich. Nach dem Training zu Hause hast du Hunger und deine Mama kocht dir was. Mach einfach mal zu Hause nur Fleisch und ein bisschen Salat. Der hat in drei Wochen vier oder fünf Kilo abgenommen. Wir haben darüber Stillschweigen bewahrt, das wusste keiner.“
Uwe Weidemann erzählt noch weitere nette Anekdoten, die Zeit im Bottroper Café verfliegt förmlich. Er ruhe in sich, sagt der frühere Fußballstar mit dem heute eher unspektakulären und uneitlen Job und zieht ein zufriedenes Fazit: „Es war ‘ne schöne Zeit, ich habe viel erreicht und manches gesehen.“