Duisburg. Der deutsche Weltmeistertitel im Feldhandball wird 1955 in Duisburg, Oberhausen, Mülheim, Essen und Dortmund gefeiert.
Knacken die Deutschen die „Tschechenmauer“? Gelingt in Duisburg der Einzug ins Finale der Handball-Weltmeisterschaft? Vor genau 65 Jahren hatten die besten Handballer der Welt die Sportfans an Rhein und Ruhr in ihren Bann gezogen. Zum vierten Mal standen sich die besten Teams der Welt gegenüber – auf dem Feld wohlgemerkt. Auch in der Halle wurde schon um Medaillen gekämpft. Doch Handball, das hieß im Jahr 1955 vornehmlich Elf gegen Elf auf einem Feld, das in der Größe einem Fußballplatz entsprach. Und dieser Sport lockte die Massen an.
„Feldhandball war früher eine große Nummer“, betont Manfred Loepke-Gilles, der frühere Abteilungsleiter des OSC Rheinhausen. Er kennt die Zeit noch recht gut. Das gleiche gilt auch für Werner Enders, ein Handball-Urgestein von Hamborn 07. „Wichtig war damals die 30-Meter-Linie“, erklärt er.
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Zwar durften zeitgleich zehn Feldspieler mitmachen, aber nur jeweils sechs angreifen und sechs verteidigen. „Einige Spieler waren daher Läufer, die von der Verteidigung in den Angriff wechselten und umgekehrt“, berichtet Enders. Loepke-Gilles erinnert sich mit einem Lachen: „Oft war man dann nur zu fünft und rief dann laut: Sechster Mann, sechster Mann!“
Deutsches Angriffstrio ist nicht zu stoppen
Beide Vereine waren damals in der deutschen Feldhandball-Nationalmannschaft vertreten: Torhüter Gerd Nellen vom TuS 04 Rheinhausen, der 1971 mit dem ESV Jahn Rheinhausen zum OSC fusionierte, kam bei der WM 1955, die in der Bundesrepublik stattfand, dreimal zum Einsatz, war aber in der Endphase der Ersatzmann für Heinz Singer vom SV Polizei Hamburg.
Einer der Stars der Mannschaft war ohne Frage Walter „Spitze“ Schädlich von Hamborn 07: Er stand in allen sechs Turnierspielen auf dem Feld und erzielte dabei 18 Tore. Das Trio Schädlich, Bernhard Kempa von Frisch Auf Göppingen (22 Treffer) und Hermann Will vom RSV Mülheim (20) war von den Gegnern kaum zu stoppen.
Die 33 WM-Spiele fanden in 32 verschiedenen Städten statt – nur Oberhausen sah zwei Spiele. Im Volksparkstadion Sterkrade traf Schweden am 29. Juni 1955 auf dies völlig überforderte Auswahl Luxemburgs und gewann mit 23:0.
Saarland verpasst das Finale
In der Zwischenrunde besiegte Deutschland das Team aus Jugoslawien am 5. Juli 1955 im Stadion Niederrhein mit 23:12. Damit war der Grundstein für das „Quasi-Halbfinale“ in Duisburg gelegt. Die beiden Gruppensieger der Zwischenrunde zogen in das Finale ein. Und es hätte ein rein deutsches Finale werden können. In der Gruppe B standen sich am 7. Juli 1955 die Schweiz und das damals noch (halb) eigenständige Saarland gegenüber. Die Saarländer hätten mit einem hohen Sieg in Essen den Sprung ins Finale schaffen können, unterlagen den Eidgenossen im Uhlenkrugstadion vor 12.000 Zuschauern aber mit 8:13.
Zeitgleich fieberten die Fans dem Spiel in Duisburg entgegen. Mit einem Sieg würde der Titelverteidiger aus Deutschland erneut das Endspiel erreichen. Zudem war mit dem Duisburger Walter Schädlich ein Lokalmatador einer der Helden. Und das lockte die Fans: 50.000 Fans drängten sich im Wedaustadion, wollten sehen, wie die Mannschaft von Bundestrainer Fritz Fromm es schaffen wollte, die tschechoslowakische Abwehr zu knacken, die in beiden Zwischenrundenspielen zuvor insgesamt nur neun Gegentreffer zugelassen hatte.
Fans auf dem Dach der Wedau-Prominententribüne
Die Fans ließen sich in Duisburg kaum zurückhalten. Hunderte Anhänger hatten keine Karte mehr ergattert, drängten aber dennoch ins Stadion. Das WM-Spektakel wollte sich niemand entgehen lassen. Die Polizei ließ die Zuschauer passieren – es war brechend voll.
Deutschland ging als klarer Favorit in die Partie, was die Tschechoslowaken dazu veranlasste, so sehr zu mauern, dass sie sich ein ums andere Mal ein gellendes Pfeifkonzert einfingen. Und weil auch Mülheim nicht fern ist, toste der Jubel gerade bei den Toren zum 3:0 auf, die allesamt RSV-Star Hermann Will erzielte. Zwar glichen die Gäste zum 4:4 aus, doch Walter Schädlich, der mit vier Treffern bester Schütze in diesem Spiel war, sorgte für die 6:4-Pausenführung. Am Ende sprang ein 11:8-Erfolg dabei heraus.
Ein „Dreizehnmeter“ – das war damals die Strafwurfdistanz – brachte kurz vor Schluss nochmal Spannung, dann stand das Finale: Deutschland gegen die Schweiz. Die Begeisterung um das DHB-Team war so groß, dass berittene Polizei die beiden Teams in Richtung der Kabinen eskortierte. Während des Spiels saßen einige Fans gar auf dem Dach der „Prominententribüne“. Die Aufforderung, diese zu räumen, verklang ungehört, so dass der wahrscheinlich leicht verzweifelte Stadionsprecher später nur noch bat, doch möglichst die Lautsprecheranlagen nicht zu zerstören. Kein Wunder, dass er in dem Trubel einmal aus Walter Schädlich einen Werner Schädlich machte.
Telegramm von Sepp Herberger
Drei Tage später, am 10. Juli 1955, machte die deutsche Nationalmannschaft den Triumph perfekt. Im Dortmunder Stadion Rote Erde gewann das Fromm-Team völlig überlegen mit 25:13 (11:7) gegen die Schweiz und wurde erneut Weltmeister. Auch in Dortmund jubelten 50.000 Fans der weiß gekleideten Mannschaft zu. „Kein Beton, kein Mauern, sondern eine rasante offene Feldschlacht“, so beschrieben die Medien damals das Finale.
Als der Titel gewonnen war, telegrafierte Sepp Herberger seine Glückwünsche – schließlich war der Bundestrainer erst ein Jahr zuvor mit seinen Fußballern in Bern ebenfalls Weltmeister geworden.
Walter Schädlich fehlt plötzlich im Zug
Zwei Tage später kehrte Walter Schädlich nach Duisburg zurück. Am Hauptbahnhof war ein großer Empfang vorbereitet worden. Doch der Hamborner Starspieler war nicht im angekündigten Zug, auch nicht im folgenden. Fragende, sorgenvolle Blicke – und plötzlich war er da. Er hatte seinen Freund Hermann Will erst nach Mülheim begleitet und kam mit einem anderen Zug zurück in seine Heimatstadt.
„Spitze“ Schädlich nahm einen Kuss seiner Ehefrau entgegen und wurde kurz darauf im Rathaus geehrt. Zum Triumphzug wurde die Fahrt vom Duisburger Rathaus zum Hamborner Centralhof, wo ein Festbankett auf den abermaligen Weltmeister wartete. Die Menschen drängten sich an den Straßen, am Beecker Denkmal gab es eine kilometerlange Auto-, Motorrad- und Fahrradkolonne. Fanfarenklänge, Jubelgesänge – Schädlich wurde in Duisburg wahrlich weltmeisterlich empfangen.
Drei Jahre später war der Empfang übrigens ähnlich enthusiastisch – als Hamborn 07 Deutscher Handball-Meister wurde.