Düsseldorf. . Am kommenden Sonntag hätte eigentlich die Düsseldorf Open im Rochusclub starten sollen. Doch erstmals seit dem 2. Weltkrieg gibt es am Rolander Weg kein internationales Spitzentennis zu sehen.

Im Rochusclub hatte Boris Becker in den finalen Zeiten des World Team Cups eher an der Erdbeerkuchentheke geglänzt. Oder bei der Vorstellung seiner Kleiderkollektion. Oder auf dem Pressekonferenzpodium. Beim Plausch über Profitennis, Poker und sonstige Themen. Eben jener Wimbledon-Sieger, der auch ohne Racket die verträumte Anlage am Rolander Weg ein wenig durchmischen konnte, kam vergangenen November während der traditionellen Themse-Bootsfahrt vor dem Mastersfinale in der Londoner O2 World auf Dietloff von Arnim zu. „Für mich“, erklärte der in eine lässige grüne Trainingsjacke gehüllte Becker dem ehemaligen Rochusclub-Turnierdirektor, der seine ATP-Abschiedstour bestritt, „ist es nicht vorstellbar, dass Düsseldorf nicht im ATP-Kalender steht.“

Vierköpfige Dixie-Band

Tja, würde der einstige Weltranglistenerste nun auf der Terrasse des Klubhauses am Rolander Weg sitzen, er dürfte in Tränen ausbrechen. Die Anlage liegt im Frühlingsschlaf. Vielleicht würde Becker beim Kaffee aber auch die Augen schließen. Dann könnte der mittlerweile 47-Jährige vielleicht die alte vierköpfige Dixie-Band hören. Die lief stets am ersten Turniertag die Budengasse auf und ab und trompete die Eröffnung für Tennisprofis und Zuschauer herbei. Horst Klosterkemper, der Erfinder des World Team Cups, schritt dann honorig im senfgelben Sakko durchs emsige Treiben. Stets lächelnd. Sein Markenzeichen strahlte zufriedene Dankbarkeit dafür aus, ein solches Event auf die Beine stellen zu können.

Klosterkempers Nachfolger Dietloff von Arnim sitzt wenige Tage vor dem 17. Mai, dem eigentlichen Startdatum der Rochusclub-Woche, auf erwähnter Terrasse. Trinkt den Kaffee schwarz, blickt auf die imaginäre Gasse, die er in den vergangenen Jahren stets hatte überdachen lassen. Wegen des oft nassen Wetters. Von Arnim lächelt auch. Obwohl nichts im Grafenberger Wald an großes Tennis erinnert. Keine Tribüne aus himmelblauen und dunkelgrünen Schalensitzen ist da. Kein Sponsorenauto auf dem Dach der imaginären Presseplätze. Keine Suppenküche. Keine gebratenen Scampis. Keine Schlägersaitenbespanner. Keine Turnierzeitung. Keine wichtigen Zelte für wichtige Gäste. Kein Roberto Blanco. Kein Tommy Haas. Und auch kein Boris Becker.

Dafür wird nun erstmals seit 1991 am Genfer See aufgeschlagen. Dort versuchen sich die bisherigen Düsseldorfer Turnier-Lizenzinhaber – Ex-Profispieler Rainer Schüttler, 800-Millionen-Dollar-Manager Ion Tiriac und sein Geschäftsführer Gerard Tsobanian – an alter Turnierstelle. Mit größerem Sponsorship.

„Wenn wir spenden wollen, dann doch lieber an das Rote Kreuz“, hatte Tsobanian Mitte Mai 2014 der NRZ versichert. In der Gewissheit, mit dem Turnier der kleinen 250-er Kategorie im Rochusclub einen saftigen Verlust einzufahren.

Seit 1927 gab es offiziell stets internationale Turniere in Düsseldorf-Grafenberg. Der Ortsteil galt in Deutschland zwischenzeitlich als beste Tennis-Plattform. Hier würde sogar das Herz des deutschen Tennisspiels schlagen, hatte von Arnim einst erklärt. World Team Cup, Davis Cup. Die Nationalmannschaft mit Patrik Kühnen an der Spitze, Detlev Irmlers
Bundesliga-Mannschaft auf Titeljagd, die Benrather Damen mit Barbara Rittner und Andrea Petkovic als Deutsche Meister – all das rechtfertigte die Aussage.

Die allergrößten waren da. Zumindest bis in die 2000er-Jahre hinein. McEnroe, Lendl, Borg, Connors, Sampras, Stich. Natürlich Becker, der auch nach seiner aktiven Karriere gern kam. Klingt alles weit weg. Verdammt weit weg.

500 000 Euro Minus

Dietloff von Arnim weiß das nur zu gut. Trotzdem blickt der Chef der eigenen Werbeagentur entspannt über das Anlagengrün. „Der Ausfall ist sehr schade, aber ok.“ Heißt übersetzt: Im vergangenen Jahr, beim zweiten Turnier nach der Team-WM, hatte man ohne Titelsponsor lockere 500 000 Euro als Rote Zahl geschrieben. Das Loch mussten die Lizenznehmer stopfen: Schüttler, Tiriac, Tsobanian. Noch einmal Minus machen? War für das Trio nicht drin. Siehe oben!

Und doch besaß von Arnim einen Rettungsanker. Für rund eine Million Euro wäre gern ein Bankunternehmen eingestiegen. Letztlich beurteilte das Unternehmen aber die Grafenberger Plattform als nicht herausragend genug. Zu 250-er Turnieren der ATP rücken eben selten die absoluten Stars an.

Djokovic, Federer, Nadal, Murray – sie alle hatten nie Zeit, Muße und Motivation, um sich in der Woche vor den French Open von Paris im Rochusclub sehen zu lassen. Vom dürftig geringen Antrittsgeld mal ganz zu schweigen: Das Thema Top-10-Spieler für den World Team Cup war durch, als vor rund zehn Jahren die ATP ein Start-Diktat der Weltklasse bei den klar höheren 1000-er Turnieren erließ. „Ab da ging es für uns bergab, weil die Rückendeckung der ATP abhanden gekommen war“, erinnert sich von Arnim.

Fortan fehlte im Rochusclub die absolute Strahlkraft. Daran änderte auch die exzellente Fernsehpräsenz über Eurosport in den vergangenen beiden Jahren nichts mehr, nachdem das immer wertloser werdende Label „World Team Cup“ als verbraucht abgehängt worden war. Der TV-Sender hatte im übrigen auch kurzzeitig über ein Düsseldorfer Turniersponsorship nachgedacht, ließ dies aber doch wieder fallen.

„Boris’ Worte auf dem Themse-Boot vor einem halben Jahr waren durchaus tröstlich. Ich habe ihn damals gefragt, wie oft sein Schützling Novak Djokovic eigentlich im Jahr 2014 bei einem 250-er angetreten sei. Boris musste nachdenken. Ergebnis: Es war nur ein Start, der in Katar“, hebt von Arnim hervor. Dass der Fußball-WM-Gastgeber von 2022 den serbischen Weltranglistenersten nicht in Erdnüssen entlohnt hat, dürfte klar sein.

Kohlschreiber ist letzter Sieger

Letzter Turniersieger im Rochus-club ist Philipp Kohlschreiber. Der Augsburger hatte am 24. Mai 2014 nach einem 6:2, 7:6 über den 2,11-Meter-Turm Ivo Karlovic die kleine Tennisschläger-Glastrophäe auf dem Center Court geküsst. 30 000 Zuschauer waren in jener letzten Woche zu den Düsseldorf Open gekommen. 6000 weniger als beim World-Team-Cup-Start 1978. Von den Hochzeiten 1999 mit 77 800 Besuchern gar nicht zu schreiben.

Rund 2,1 Millionen Euro betrug das Preisgeld in der Spitze bei der WM. Zuletzt gab es gerade noch 435 000 Euro zu verteilen. Der Turnieretat war von vier auf knapp 2,5 Millionen heruntergefahren, nicht voll gedeckt und ließ kaum Spielraum für Antrittsgelder. „Ohne Titelsponsor war die Komplettabsage unausweichlich“, sagt von Arnim, „ich wollte nicht jetzt schon meine Sargnägel zählen.“ Das wäre vermutlich der Fall gewesen, hätte es eine andere finanzielle Regelung für von Arnim gegeben.

„Dazu fühlt es sich ganz und gar nicht gut an, wenn man das Geld der Lizenz-Inhaber ausgibt, aber nicht genügend erwirtschaftet. Doch wer findet in Düsseldorf einen Sponsor, der pro Saison siebenstellig zahlt?“ Außer Vodafone-Ableger o.tel.o auf Fortunas Trikotbrust gibt’s auf die Frage keine passende Antwort.

Übrigens:

Internationales Tennis im Rochusclub ist älter als die Anlage am Rolander Weg. Die wurde 1929 eingeweiht. Zuvor hatte der 1894 gegründete Verein an der Rochusstraße, ab 1909 im Zoologischen Garten an der Rethelstraße sein Domizil.

Seit 1927 wurde alljährlich ein internationales Turnier ausgetragen. Ausnahmen waren die Weltwirtschaftskrise (1931 und 1932), die Olympischen Spiele in Berlin (1936) und der 2. Weltkrieg (1940 bis 1948). Stets gab’s bis 1977 auch ein paralleles Frauenturnier.

Von 1971 bis 1977 liefen Grand-Prix-Turniere. 1976 siegte hier Björn Borg im Finale gegen den Spanier Manuel Orantes. Der World Team Cup lief ab 1978 unter der Sonnenmilchmarke Ambre Solaire, in den ersten vier Jahren als Nations Cup. Peugeot übernahm 1987, die ARAG dann ab 2000 für elf Turniere.

Die österreichische Getränkemarke Power Horse stieg 2011 ein. Das Turnier wurde als WM im Oktober 2012 abgesetzt. Nach dem 250-er Turnier „Power Horse Cup“ im Jahr 2013 schlossen sich 2014 die Düsseldorf Open an - als einmalige Abschiedsvorstellung.