Dinslaken. Selbstverteidigung im Selbstversuch: Christoph Enders beschreibt seine Erlebnisse rund um einen Lehrgang bei Bushido Dinslaken.
Gegen 12.30 Uhr schwinge ich mich auf mein Rad. Die Sporttasche ist gepackt und ich mache mich auf zum Selbstverteidigungs-Lehrgang, der um 13 Uhr bei Bushido Dinslaken stattfindet. Was erwartet mich dort? Mich selbst verteidigen kann ich doch eigentlich ganz gut. Immerhin spiele ich seit über 20 Jahren Handball und würde von mir sagen, dass ich kräftig bin. So leicht haut mich schon nichts um, denke ich und betrete die Räumlichkeiten. Das erste Bild ist imposant. Alle Menschen dort tragen Kampfanzüge mit farbigen Gürteln, nur ich stehe da mit meinem grünen T-Shirt und der schwarzen Sporthose.
Vor dem Betreten der kleinen Halle verbeugt sich jeder Kampfsportler. Ein Zeichen des Respekts gegenüber den anderen und der Regeln. Die 17 Teilnehmer, unter ihnen auch ich, stellen sich in einer Reihe auf. Es folgt eine Begrüßung durch die beiden Lizenztrainer Michael Rituper und Andi Eckert. Schnell wird klar, dass die anderen Teilnehmer schon seit längerer Zeit Kampfsport betreiben, unter ihnen Deutsche Meister. Der Selbstverteidigungs-Lehrgang soll dazu dienen, die Grundlagen wieder aufzufrischen. Im Laufe des Tages sollen Wurftechniken sowie Faust- und Stockabwehr trainiert werden. Meine bisherigen Erfahrungen sind gleich Null. Das Modul „Kämpfen“ an der Universität war stets Montagmorgen um acht Uhr. Ich war anwesend, aber nur körperlich.
Fünf Hampelmänner zur Bestrafung
Aber bevor es ernst wird, geht es ans Erwärmen. Wir laufen zunächst in Kreisform durch die kleine Halle. „Wenn die Musik stoppt“, erklärt Trainer Andi Eckert, „sucht sich jeder einen Partner und versucht, ihm von hinten an die Schulterblätter zu schlagen.“ Die Musik stoppt. Mein Gegenüber stellt sich vor mir auf, er ist ein paar Jahre älter als ich. Ich habe keine Chance. Fünf Hampelmänner zur Bestrafung, und weiter geht es. Ein Mix aus Laufen und unterschiedlichen Übungen mit Elementen aus dem Kampfsport zieht sich fast eine halbe Stunde, ehe der eigentliche Lehrgang anfängt.
Wir finden uns mit einem Partner zusammen. Andi Eckert demonstriert verschiedene Wurftechniken, die wir in der Kleingruppe nachmachen. Immer wieder versammeln wir uns im Kreis. Eckert wirft sein Versuchskaninchen spektakulär. Er wehrt den Schlagversuch des Angreifers ab und hat ihn binnen weniger Sekunden am Boden. Chancenlos und mit schmerzverzerrter Miene liegt er da, der Angreifer, der Mann, mit dem niemand tauschen möchte.
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So einfach die Theorie. In meiner Kleingruppe darf ich die Techniken an Jörg Winklhöfer ausprobieren. Er macht seit über drei Jahren Kampfsport und ich merke gleich, er ist vom Fach. Für mich war der Hüftwurf bis zu diesem Zeitpunkt etwas anderes, aber ich versuche den Bewegungsablauf und die Technik von Eckert zu kopieren. Dies gelingt zwar nur in gewissem Maß, dennoch schlage ich mich gut und ernte Lob.
Während Trainer Eckert im Mittelpunkt jeder Demonstration steht, gibt Michael Rituper mir wichtige Worte mit auf den Weg: „Die Eigensicherung geht immer vor.“ Ein Satz, der sich eingebrannt hat. Zudem erklärt er mir den Reiz an dem Lehrgang: „Hier kommen Sportler aus verschiedenen Kampfsportarten zusammen. Was wir hier zeigen, kann jeder auseinandernehmen und für sich und seine Sportart neu verwenden. Die Sachen, die wir hier zeigen, sind einerseits für Prüfungen und Wettkämpfe, anderseits aber auch für die Selbstverteidigung auf der Straße.“ Der Unterschied wird schnell deutlich. Eckert und Rituper differenzieren genau, welche Szenarien reell sind und welche wirklich nur einer Prüfung dienen.
Wissen über den eigenen Körper
Die Übungen werden mit der Zeit immer komplexer, die Zielsetzung aber bleibt gleich. Der Angreifer muss aus dem Gleichgewicht gebracht werden und zu Boden gehen, wo wir dann leichtes Spiel haben. Eine Verkettung von Körperschwerpunkten, verschiedenen Hebeln und viel Konzentration bringen schließlich Erfolg. Kampfsport oder speziell die Selbstverteidigung hat auch viel mit dem Wissen über den eigenen Körper zu tun. Was passiert, wenn ich dieses oder jenes mache? Wo bin ich in welcher Situation und Körperstellung verwundbar? All diese Dinge kommen zur Sprache.
Nach zwei Stunden folgt eine kurze Verschnaufpause. Noch schnell ein Gruppenfoto gemacht, da geht es erneut ans Erwärmen. Dieses Mal unter der Leitung von Michael Rituper. Wieder gibt es einen Mix aus Elementen des Kampfsports und der Anregung des Herz-Kreislauf-Systems. Rituper baut mit seinem Teil des Lehrgangs auf Eckert auf. Er zeigt uns die Abwehr von Faust und Stockschlägen. Anschließend werden Elemente aus dem ersten Teil benutzt, um den Gegner kampfunfähig zu machen.
Spektakulär entwaffnet Rituper in der Demonstration seinen Gegenüber. Der Schlagstock ist innerhalb von wenigen Sekunden in seiner Hand. Den Angreifer bringt er spektakulär mit einer eingesprungenen Beinschere zu Fall. „Wenn der Angreifer dann am Boden liegt, könnt ihr entweder den Stock benutzen oder einen der Griffe anwenden“, erklärt er. Ich beobachte das Ganze mit großen Augen, möchte eigentlich applaudieren und mir wird klar, das schaffe ich nicht. Ich darf aber Angreifer Jörg mit einfacheren Techniken zu Boden bringen und habe so zumindest einen Teilerfolg. Der Blick auf die anderen Teilnehmer macht die Kampfsporterfahrung schnell deutlich. Sie tauschen sich aus, probieren unterschiedliche Wege aus und scheitern keineswegs an der Technik.
Den Höhepunkt erreicht der Lehrgang um kurz vor 17 Uhr, als Rituper sich gegen zwei Angreifer durchsetzt. „Macht das mal in Dreiergruppen“, lautet seine Anweisung. Ich bin zunächst einer der Angreifer und schnell aus dem Rennen, dann aber wird es ernst. Felix, ein anderer Teilnehmer, nimmt mich von hinten in die Mangel, während Jörg mit einem Faustangriff von vorne kommt. Mit einem Tritt in den Bauch wehre ich den Angriff ab, lande mit meiner Hacke auf Felix’ Fuß und löse mich von ihm. Die Kette der verschiedenen Abwehrtechniken und Hebel bringt schließlich den Erfolg. Auch wenn der Angriff eher einem einstudierten Schauspiel als einem echten Kampf ähnelt, bin ich zufrieden.
Gedanken an den Ernstfall
Ich habe die verschiedenen Bewegungsabläufe gelernt und verinnerlicht. Beim Gedanken an den Ernstfall wird mir aber klar, dass ich wahrscheinlich intuitiv und anders handeln würde. Um gewisse Techniken der Selbstverteidigung zu erlernen, braucht es weitaus mehr als vier Stunden mit Michael Rituper und Andi Eckert. Nichtsdestotrotz bin ich froh, die Erfahrung gemacht zu haben. Und wer weiß, vielleicht war das nicht mein letzter Besuch im Bushido Dinslaken.