Bochum. Er hat ein Eigentor gemacht, Elfmeter gehalten, wurde beschimpft und spielt immer. Riemann polarisiert - und ist der VfL-Spieler des Jahres 2023.
Diese Wahl hat dann nicht mehr überrascht. Mit klarem Vorsprung wurde Anthony Losilla, Kapitän des VfL Bochum, von den Lesern des „Reviersport“ zum Revierfußballer des Jahres 2023 gewählt. Der Mann ist mit 37 im besten Fußballeralter und liefert Woche für Woche in der Bundesliga gute Leistungen ab. An anderer Stelle würde man vielleicht sagen, er hat die Auszeichnung für sein Lebenswerk bekommen.
Gut möglich, dass Manuel Riemann ihn auch gewählt hat. Kapitän Losilla und Torwart Riemann spielen seit 2015 zusammen beim VfL Bochum. Sie sind längst mehr als nur Mitspieler, da ist über die Jahre eine Freundschaft entstanden. Und so wird Losilla damit einverstanden sein, dass für die Sportredaktion der WAZ Bochum nicht er, sondern Riemann der VfL-Spieler des Jahres 2023 ist.
Nach dem 0:0 des VfL Bochum beim FC Heidenheim bekam unlängst ein Heidenheimer Journalist zu hören, was bei den Bochumer Journalisten, die regelmäßig über den VfL schreiben, zum Running Gag geworden ist. „Ich gebe keine Interviews“, sagte Riemann auf dem Weg in die Kabine dem Mann aus Heidenheim. Und das war vielleicht der einzige Satz, den Riemann 2023 überhaupt in Richtung Medienvertreter gesagt hat.
VfL Bochum: Riemann und Ordets geben keine Interviews
Jens Fricke und Felix Horstfeld, die zwei von der Pressestelle des VfL Bochum, haben jedenfalls die eigentlich gar nicht mehr lustige Frage nach einem möglichen Interview-Partner Riemann mindestens genau so oft gehört, wie die nach Interview-Partner Ivan Ordets. Ordets, der Ukrainer, der in Russland Fußball spielte, bevor er zum VfL Bochum kam, hat, seitdem er beim VfL ist, noch gar kein Interview gegeben.
Riemann hat das, man muss es inzwischen so sagen, „früher“ gemacht. Es war lange Zeit ein normaler Umgang zwischen Spieler Riemann und den Medienvertretern. Legendär, lange, lange her, längst ein Internet-Klassiker und heute noch absolut sehenswert, als sich Riemann vom ZDF überreden ließ, sich vor dem Pokalspiel seines Clubs Wacker Burghausen gegen Bayern München als wehrhafter Ritter zu verkleiden. Jugendsünde sagt man wohl dazu.
Über die Jahre änderte sich der Umgang. Und dass es nun so ist, wie es ist, daran haben sowohl Riemann als auch die Medienvertreter ihren Anteil. Auch wenn beide Seiten das sicher bestreiten würden. Festzuhalten bleibt: seitdem Riemann eine Medienpause macht, haben sich seine Leistungen gefühlt noch einmal verbessert.
VfL Bochum: Riemann gehört fußballerisch in die Top-5 Deutschlands
Wie gut er ist, zeigte auch das letzte Spiel des Jahres bei Bayer Leverkusen. Bochum verlor mit 0:4, Riemann hätte fast wieder einen Elfmeter gehalten, verhinderte eine noch höhere Niederlage. Das aber zeigte nicht, warum er zur Top-Fünf der Bundesliga-Torhüter gehört. Wie gut er ist, gerade mit dem Ball am Fuß, zeigte sich daran, wie im Vergleich schwach Leverkusens Torwart Lukas Hradecky mit dem Ball am Fuß ist.
Leverkusen ist Spitzenreiter und Hradecky ist ein guter Torwart. Es wäre aber durchaus interessant zu sehen, wie die ballsicheren Leverkusener agieren würden, hätten sie auch noch einen ballsicheren Torwart hinten drin.
Nein, Riemann wird nicht nach Leverkusen wechseln. Er wird auch nicht dritter Torwart der deutschen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft werden, auch wenn das eine wirklich schöne Geschichte wäre – und das nicht nur, weil Riemann dann wahrscheinlich einige Interviewanfragen bekommen würde.
Riemann ist jetzt 35, er bleibt beim VfL Bochum. Aktuell läuft sein Vertrag bis 2025. Er hat zwar schon einmal angedeutet, da gab er noch Interviews, dass er irgendwann gerne als Trainer arbeiten wollen würde. Genauso aber hat er, und bei diesem Mann darf man das schreiben, Torwart-Legende Gianluigi Buffon dafür gefeiert, dass der noch spielte, als er längst die 40 überschritten hatte.
VfL Bochum: Ein Eigentor gegen Schalke macht Riemann scheinbar stärker
Was Riemann zum VfL-Spieler des Jahres 2023 macht, sind dann nicht nur seine vielen guten Leistungen, punktgenauen Abschläge, Torvorbereitungen und gehaltenen Elfmeter. Er hat als Rückhalt viel dazu beigetragen, dass der VfL Bochum im Kalenderjahr 2023 saisonübergreifend 38 Punkte gesammelt hat und damit auf dem starken zwölften Platz liegt.
Riemann hat darüber hinaus Ecken und Kanten und er steht immer einmal mehr auf, als er hinfällt. So fabrizierte er am 23. Spieltag gegen den FC Schalke ein Eigentor, Bochum verlor mit 0:2. In den Spielen danach blieb Riemann ohne Gegentor, sicherte erst das 2:0 beim 1. FC Köln und dann mit seiner Bestleistung der Saison den ebenso überraschenden wie wichtigen 1:0-Heimsieg gegen Leipzig, inklusive in der Schlussminute eines Balles an den Pfosten, der von da in seine Arme sprang.
Und dann war da noch die Aktion nach dem 2:3 am 27. Spieltag der Vorsaison im Heimspiel gegen den VfB Stuttgart. Da zeigte sich, dass auch ein erfahrener – und frusterprobter – Profi wie Manuel Riemann eben auch nur ein Mensch ist – und als solcher eben emotional endlich belastbar. Nach üblen persönlichen Beleidigungen, wohl auch gegen seinen Sohn, ging er auf einen Fan los, stand ihm auf der Tribüne Stirn an Stirn gegenüber. Es war gewiss nicht die Aktion eines besonnenen Mannes. Sie war dennoch nachvollziehbar und ließ die Frage aufkommen, wie viel ein Fußballprofi im Stadion an Beleidigungen ertragen muss.
Auch nach diesem Vorfall zeigte Riemann in den Spielen danach gute und sehr gute Leistungen, verpasste vor allem keine Partie. Auch in dieser Saison ist er der einzige VfL-Akteur, der jede Minute gespielt hat. Und dass er auch in dieser Saison ein Faktor zum Klassenerhalt ist und sein wird, zeigte neuerlich ein Spiel gegen RB Leipzig.
VfL Bochum: Gegen Leipzig hält Riemann zwei Elfmeter in einem Spiel
Am siebten Spieltag dieser Saison war es, als er in Leipzig das 0:0 festhielt und auch diesmal an jedem Mikrofon vorbeiging. Nach zwei gehaltenen Elfmetern und weiteren wichtigen Paraden war er nicht nur „Spieler des Spiels“. Er war, da waren sich auch mal alle Experten einig, der beste Torwart des siebten Spieltages der Bundesliga. Alle hätten ihn gerne zu einem Interview gehabt, die Privatsender und die Öffentlich-rechtlichen, die Radiosender, Tageszeitungen und Magazine.
Natürlich wurde dann ausführlich „über“ ihn gesprochen. „Als Manu den zweiten Elfmeter gehalten hat, dachte ich mir: ‚Heute kann einfach nichts passieren‘“, sagte Kapitän und Riemann-Kumpel Losilla. „Manu war einfach da, und wenn er so in Topform ist, dann weiß ich, dass wir kein Tor kassieren werden.“
Manuel Riemann sei ein fantastischer Torwart, befand auch VfL-Sportdirektor Marc Lettau. „Es ist immer eine Freude, wenn er sich so auszeichnen kann wie heute. Wir sind froh, solch einen starken Rückhalt zu haben.“
Riemann sei ein klasse Rückhalt, sei das komplette Spiel hindurch positiv geblieben und Spieler des Spiels, sagte dann auch Trainer Thomas Letsch. „Ein überragender Manuel Riemann hat glücklicherweise gereicht, um hier einen Punkt mitzunehmen“,
Riemann fällt in dieser Saison nur mit guten Leistungen auf
Der Punkt in Leipzig trug zuallererst den Namen Riemann. Der Torwart, der in den vergangenen Spielzeiten immer mal wieder mit besonderen Aktionen auffiel, Mitspieler beschimpfte oder Fans auf der Tribüne zur Rede stellte, fiel und fällt in dieser Saison dadurch auf, dass er nicht auffällt – oder eben nur mit guten Leistungen.
Mit Ausflügen aus dem Tor, um weit im Feld Bälle zu klären, hält er sich fast auffallend zurück. In den sozialen Medien ist er deutlich weniger präsent. Das alles in Verbindung mit dem bewussten Verzicht auf Interviews, lässt ihn, so scheint es, noch besser werden. Trainer Letsch hatte es nach dem 0:0 in Leipzig so zusammengefasst: „Auch ein Manuel Riemann entwickelt sich ja weiter.“
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