Gelsenkirchen. Wie lange dauert der freie Fall des FC Schalke 04 noch an? Noch ist ein Boden weder zu sehen noch zu erahnen. Es geht vieles schief.
Wohlfühltermine sind selten in diesen Tagen beim FC Schalke 04, einen aber hatte der Vorstandsvorsitzende Matthias Tillmann am Dienstagvormittag. Gemeinsam mit Ehrenkapitän Benedikt Höwedes fuhr er zur Grundschule Emscherbruch, verteilte im Rahmen des Euro-Schulcups Fußballpakete. Doch weil sich aktuell bei den Königsblauen gar nichts gut anfühlt, ging es auch auf dem Schulgelände im Stadtteil Resser Mark doch nicht nur um die Europameisterschaft und Kicken für den Cup. „Es gilt, diesen Verein in der Zweiten Liga zu halten“, sagte Höwedes mit sorgenvoller Miene und bedrückter Stimme.
Schon seit Jahren scheint nichts mehr normal zu sein bei den Königsblauen, Woche für Woche beweist der Verein, dass es immer tiefer und tiefer und tiefer geht, dass der freie Fall noch lange andauern kann und der Boden weder zu sehen noch zu erahnen ist. Es sind Zeiten, in denen auch das schiefgeht, was nicht in der Macht des Klubs steht. Beispielsweise der ÖPNV-Streik am Freitag, parallel zum Schalker Heimspiel gegen Tabellenführer FC St. Pauli (18.30 Uhr/Sky). Schalke, die Polizei Gelsenkirchen und die Stadt müssen nun Zehntausende Fans, die eigentlich mit Bus und Bahn anreisen, irgendwie zur Arena befördern. Es sind Probleme, die Schalke gar nicht gebrauchen kann.
Schalke-Kapitän Terodde: „Wie in der Kreisliga“
Im Zentrum aller Schwierigkeiten steht die Profimannschaft. Sie wurde im Sommer 2023 falsch zusammengestellt, ist in Grüppchen zerfallen und zerstritten. Führungsspieler haben mit Formkrisen zu kämpfen, viele Profis können mit dem Druck nicht umgehen. Von den verbleibenden elf Spielen muss sie aber mindestens vier gewinnen, um sicher nicht unter den letzten drei Teams der Tabelle zu landen.
Am Montag geriet deshalb eine eigentlich reguläre Spiel-Nachbesprechung zu einer nicht geplanten, 110 Minuten langen XXXL-Aussprache, die zur Folge hatte, dass aus der geplanten öffentlichen Trainingseinheit eine Laufrunde wurde und viele Fans sauer das Klubgelände verlassen hatten. Auch das noch. Nachdem Trainer Karel Geraerts und Sportdirektor Marc Wilmots gesprochen hatten, baten die Spieler die Beiden aus dem Raum und sprachen sich aus. „Das war wie in der Kreisliga. Jeder steht auf und sagt was“, erklärte Kapitän Simon Terodde und blieb wortkarg. Auch der fast 36 Jahre alte Stürmer hat in seiner Karriere wenig Vergleichbares erlebt. „Was in den vergangenen Monaten abgelaufen ist, ist brutal. Das hat sich jeder anders vorgestellt“, sagte er. Und sein Fazit nach der Aussprache klingt wenig optimistisch: „Der Klassenerhalt mit Schalke ist höher zu bewerten als ein Aufstieg.“
Eine Aussprache allein, das weiß Terodde nach 18 Jahren Profifußball wie kein anderer, bringt keine besseren Ergebnisse, schon gar nicht gegen die Zweitliga-Übermannschaft St. Pauli, die nur eins von 23 Spielen verloren hat. Doch welche Stellschrauben hat Schalke noch, um irgendwie die Wende zu schaffen?
Trainer Geraerts ist nicht nur bei einigen Fans, sondern auch intern in die Kritik geraten. Aktuell sind alle Spieler fit sind, etliche müssen auf die Tribüne. Dass sie trotz der desolaten Verfassung der Stammelf nicht spielen, können nicht alle verstehen. Immer wieder wechselte Geraerts in vier Monaten Amtszeit die Taktik, eine Spielidee ist nicht zu sehen, Erfolge haben mit Einzel-, nicht mit Teamleistungen zu tun. Dass Assan Ouédraogo (17) nach auskurierter Verletzung vor dem Comeback steht, macht am ehesten Mut. Doch vor allem der Umgang mit dem dritten Kapitän Dominick Drexler sorgt intern für Verstimmung. Terodde, sehr gut mit Drexler befreundet, wollte das so nicht aussprechen, sagte aber wenig missverständlich: „Es müssen Spieler vorangehen, die die Situation kennen und sehr viele Spiele gemacht haben.“ So wie Drexler. Während Geraerts die Trainingsleistungen des 33-Jährigen kritisiert hatte, sagte Terodde: „Domme gibt im Training Gas, so ist mein Gefühl.“
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Federführend soll Sportdirektor Wilmots diese Krise moderieren. Soll dafür sorgen, dass Trainer und Mannschaft irgendwie für die letzten Saisonwochen wieder zusammenfinden, um den Klassenerhalt zu schaffen und im Sommer zu entscheiden, wie und mit wem es weitergeht - aber so selbstbewusst sich Wilmots nach außen geben mag: Dass der langjährige Profi und Trainer in diesem Job in dieser Liga keine Erfahrung hat, ist ihm anzumerken. Sein erster Transfer (Brandon Soppy) floppte, sein TV-Interview in Magdeburg war der Situation nicht angemessen („Wir haben nur drei Punkte verloren“).
Und zu allem Überfluss stimmt auch auf der Geschäftsstelle gerade wenig. Die meisten Mitarbeiter kommen jeden Tag mit Angst um ihren Job zur Arbeit - keiner weiß exakt, in welcher Form Schalke 04 nach einem möglichen Abstieg weiter existieren kann. Sicher scheint nur: Viele würden ihren Arbeitsplatz verlieren. Am Absturz will niemand Schuld gewesen sein. Die Direktion Finanzen verweist darauf, dem Sport genug Geld für einen aufstiegsreifen Kader zur Verfügung gestellt zu haben. Wilmots sagt, er hätte den Kader nicht zusammengestellt. Der Vertrieb wird bald von Sportfive übernommen. Und der Aufsichtsrat um den Vorsitzenden Axel Hefer schiebt viel auf alte Vereinsführungen und geerbte Altlasten. Die Hefer-Kritiker um Ex-Klubchef Clemens Tönnies schieben den Absturz der aktuellen Klubführung in die Schuhe.
Und wie geht Vorstandschef Tillmann mit den Problemen um? Er wählte in der Grundschule Emscherbruch Durchhalteparolen. „Am wichtigsten ist, dass wir am Freitag von der ersten Minute an spüren, dass da eine Mannschaft auf dem Platz steht“, sagte er. Es war eben doch nicht ganz ein Wohlfühltermin.
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