Albufeira. Ralf Fährmann geht als Nummer eins in die Schalke-Rückrunde. Im Interview spricht er über seine Rolle bei S04, Marius Müller und die Fans.
Wenn beim Training etwas schiefläuft, dann ist Ralf Fährmann auch im Alter von 35 Jahren noch angefressen - dann schimpft er laut, diskutiert auch weit nach Abpfiff noch mit seinen Teamkollegen. Der Torwart des Zweitligisten FC Schalke 04 ist ehrgeizig, obwohl er in seiner langen Karriere schon viel erlebt hat - und erklärt im Interview mit dieser Zeitung seine Rolle als alte und neue Nummer 1 der Königsblauen.
Herr Fährmann, können Sie sich noch an Ihr erstes Profi-Trainingslager erinnern?
(überlegt) Ich glaube, es war im Winter 2007 in der Türkei, ich hatte gerade meinen ersten Profivertrag unterschrieben. Zu der Zeit mussten wir immer noch vor dem Frühstück laufen gehen, um die Golfplätze herum. Ich hatte das Glück, immer mit Torwart-Trainer Oliver Reck laufen zu dürfen, der mich geschont hat.
Was war damals anders als heute?
Die Anforderungen sind ganz anders geworden, die Spielertypen auch. Damals gab es im Fußball insgesamt mehr Charakterspieler – wir waren mit dem Verein aber auch in einer anderen Situation.
Junge Spieler hatten damals nicht viel zu melden, oder?
Definitiv. Mit 18 warst du grün hinter den Ohren, da musstest du schon deutlich besser sein als dein älterer Konkurrent, um vielleicht eine Chance zu bekommen. Heute ist das im Fußball eher umgekehrt.
Was ist Ihre liebste Trainingslager-Geschichte?
Manuel Neuer und ich haben einmal ein Golfcart geliehen, ohne zu fragen (schmunzelt), wir sind ein bisschen übers Hotelgelände gefahren, haben aber eine Säule gerammt. Wir wollten das Golfcart nach unserer Spritztour einfach zurückbringen, haben aber auf dem Weg zum Hotel gemerkt, dass es komisch fährt. Da ist uns bewusst geworden, dass die Achse kaputt ist – und von der Säule eine Gummispur übers Gelände ging, weil die Achse quer stand. Wir mussten dann zugeben, dass wir Mist gebaut hatten.
Gab es Konsequenzen?
Ich war der Jüngere, Manu hat alles auf sich genommen. Glück gehabt. (lacht)
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Wie verbringen Sie hier in Portugal die Zeit zwischen und nach den Trainingseinheiten?
Das Trainingspensum ist ordentlich, mit meistens zwei Einheiten pro Tag, dazu kommen die Testspiele. Abends sitzen wir mit der Mannschaft zusammen und quatschen.
Gab es in Ihren Jahren auf Schalke auch Zeiten, in denen es nicht so war, dass man zusammensaß?
Ich muss sagen, selbst in der ersten Abstiegssaison, als es hieß, die Mannschaft hätte Charakterprobleme, war das nicht der Fall. Zu Amine Harit habe ich zum Beispiel heute noch Kontakt, ein witziger Typ. Wir verfolgen in der Kabine alle dasselbe Ziel, obwohl wir manchmal verschiedene Sprachen sprechen.
Schalke-Torwart Ralf Fährmann hat noch Kontakt zu Amine Harit
Wie wichtig ist eine gute Hierarchie in der Kabine?
Eine Hierarchie muss sich entwickeln, sie darf nicht aufgezwungen werden. Sie ist aber wahnsinnig wichtig und muss gefördert werden. Gerade wenn es nicht läuft, schauen vermeintlich schwächere Spieler auf diejenigen, die Sicherheit geben.
In der Hinrunde hieß es mehrfach, es stimme innerhalb der Schalker Mannschaft nicht. Wie beurteilen Sie die Hierarchie aktuell?
Nachdem in der Hinrunde viele Entscheidungen getroffen wurden, kristallisiert sich die Hierarchie jetzt heraus. Wir haben die Typen dafür.
Trainer Karel Geraerts hat bereits klargemacht, dass Sie als Nummer eins in die Rückrunde gehen. Zu einem so frühen Zeitpunkt der Vorbereitung ist das ungewöhnlich.
Dass der Trainer mir öffentlich den Rücken stärkt und mir vertraut, freut mich sehr. Ich versuche, dieses Vertrauen mit guter Leistung zurückzuzahlen.
In den zurückliegenden Monaten haben Sie immer wieder Pech mit Verletzungen. Wie erklären Sie sich das?
Es heißt oft, es liege an meinem Alter, aber das ist Quatsch. Wir haben detaillierte Fitness- und Vitalwerte: Ich weiß, wie viele Sprünge und Sprints ich mache, wie viele Kilometer ich laufe. Da bin ich immer vorne mit dabei. Ich hatte einfach Pech und denke, dass niemand mehr über meine Verletzungen sprechen wird, wenn ich die Rückrunde komplett durchspielen sollte. Auf Schalke ist es doch immer so: Wenn es nichts zu reden gibt, wird man schon etwas finden. (schmunzelt)
Schalke-Torwart Ralf Fährmann: „Man muss viel Neues ausprobieren“
Aber Sie haben sich schon hinterfragt.
Norbert Elgert hat mal gesagt, dass man das Beste aus sich herausholen muss, um die bestmögliche Version von sich selbst zu sein. Ich hinterfrage mich ständig. Egal, ob es um den Schlafrhythmus geht, um die Ernährung, die Gewohnheiten im Alltag, das Training. Auch der Fußball entwickelt sich weiter. Früher haben wir uns nach dem Warmmachen 30 Sekunden gedehnt. Heute würde man sagen: Seid ihr wahnsinnig? Man muss viel Neues ausprobieren.
Was haben Sie in Ihrer Ernährung konkret umgestellt?
Zu Hause ernähre ich mich vegan und glutenfrei. Auch unterwegs verzichte ich auf dunkles Fleisch und Kuhmilchprodukte, esse kaum Zucker. Trotzdem gönne ich mir in der Freizeit manchmal Ausnahmen. Wenn ich mit meiner Frau in der Stadt bin, gehen wir auch mal Essen und ich trinke dabei ein Glas Wein. In Maßen gehört das zu einem normalen Leben dazu – auch für einen Profi-Fußballer.
Es gab in der Hinrunde viel Wirbel um einige Aussagen Ihres Beraters Stefan Backs, der unter anderem gesagt hat, „eine Legende würde zerstört“, nachdem Sie auf der Bank gesessen hatten. Wie viel wussten Sie davon?
Das ist für mich kein Thema mehr. Ich konzentriere mich auf die Vorbereitung zur Rückrunde.
Wie sehr beschäftigt es Sie, was in den Medien über Sie berichtet wird?
Ich habe vor Jahren aufgehört, Medien zu lesen. Ich weiß aber, was diskutiert wird.
+++ Schalke-Talk: Reporter beantworten Fanfragen aus Portugal +++
Komplett ausblenden können Sie es aber nicht.
Stimmt. Ich muss es akzeptieren. Manches kann ich mit Humor nehmen, manchmal rege ich mich aber über die eine oder andere Sache auf, weil sie ungerecht ist.
Zu Beginn Ihrer Karriere waren sie der Erbe von Manuel Neuer und wurden mitunter hart kritisiert. Wie war das für Sie als junger Torwart?
Es war keine einfache Situation, weil Manuel Neuer mit Abstand der beste Torwart der Welt ist. Manu hat die Torwartposition geprägt und bekommt meiner Meinung nach noch viel zu wenig Anerkennung für das, was er geleistet hat. Damals habe ich gelernt, die Meinungen von Außenstehenden nicht zu sehr an mich heranzulassen – auch das hat mich zu dem Menschen geformt, der ich jetzt bin. Ich ziehe meinen Hut vor den jungen Spielern, dafür, wie sie heutzutage mit dem Druck umgehen – gerade mit der heutigen Beraterlandschaft, den Medien, Social Media und den Sponsoren. Es ist nicht einfach.
Welche Schlagzeilen haben Sie bis heute nicht vergessen?
In meiner Zeit in Frankfurt flogen, das ist statistisch bewiesen, zwei Spiele in Folge keine Flanken in den Strafraum. Danach wurde geschrieben, ich sei unsicher bei hohen Bällen. (schmunzelt) Positiv in Erinnerung geblieben ist mir die Formulierung „die Hand Pottes“. Nach einem 0:0 im Derby gegen den BVB wurde ich mit dieser Formulierung für meine gute Leistung geadelt. Noch heute witzeln wir darüber.
Schalke-Torwart Ralf Fährmann: „Marius Müller ein ehrlicher Typ“
In der Hinrunde sind auf Schalke vier Torhüter zum Einsatz gekommen. Wie ist das Verhältnis innerhalb des Torhüter-Teams?
Ich habe auf Schalke schon alles erlebt. Manchmal haben wir uns in der Vergangenheit im Torwart-Team nicht so gut verstanden. Jetzt verstehen wir uns gut und respektieren uns. Marius Müller ist ein kommunikativer, ehrlicher Typ, mit dem man offen über alles reden kann. Justin Heekeren steht noch am Anfang seiner Karriere. Man merkt aber jeden Tag, dass er bereit ist, dazu zu lernen. Michael Langer ist ein Musterprofi. Man wundert sich immer, wie alt er ist, weil er noch topfit ist, kein Gramm Körperfett hat.
Marius Müller und Sie sind zwei Alphatiere, die um einen Platz konkurrieren. Da ist Stress doch eigentlich vorprogrammiert.
Er hat seine Chance zu Saisonbeginn genutzt, ich gegen Ende der Hinrunde. Es ist legitim, dass er auf seine Chance wartet, aber er ist nicht der Typ, der mir etwas Schlechtes wünscht. So etwas habe ich auch schon erlebt. Marius ist sehr erfahren, er weiß, dass es nichts bringt, Trübsal zu blasen. Viel wichtiger ist, im Training alles zu geben, das Beste draus zu machen, auch wenn man mal nicht spielt. Ich weiß auch: Ist Mülli fit, wird er seine Chance nutzen, wenn er sie bekommt. Deshalb werde ich mein Bestes zu tun, damit ich im Tor bleibe.
Sie hatten in der Vergangenheit viele Konkurrenten um den Platz im Tor. Zu wem haben Sie noch guten Kontakt?
Zu Alexander Nübel, wir schreiben, telefonieren, sehen uns im Sommerurlaub mal zwei, drei Tage. Ich habe damals versucht, Alex so viel wie möglich mitzugeben.
Ralf Fährmann ist „gespannt“ auf Marc Wilmots
Wie viel vom jungen Fährmann erkennen Sie in Justin Heekeren?
Wichtig ist, dass man nicht versucht, sich mit jemandem zu vergleichen, sondern seinen eigenen Stil zu haben. Sein größtes Vorbild ist Manuel Neuer. Da hat er schon mal nicht viel verkehrt gemacht, der Rest wird sich entwickeln.
Marc Wilmots ist der neue Sportdirektor. Kannten Sie ihn schon persönlich?
Jeder, der sich mit Schalke beschäftigt, kommt nicht an Marc Wilmots vorbei. Seine Spielweise und sein Spitzname „Kampfschwein“ sind legendär. Wir hatten aber vor seiner Unterschrift noch keinen Kontakt. Jetzt bin ich gespannt. Es gibt auf Schalke gerade so viele Umstrukturierungen, da kann uns jeder neue Input helfen. Denn der Weg, der vor uns liegt, ist steinig, es gibt noch viel Arbeit.
Sie sind 35 Jahre alt – wie konkret sind Ihre Überlegungen, Ihre Karriere zu beenden und die Planungen für die Zeit danach?
Es ist ja kein Geheimnis, dass ich mich freuen würde, wenn ich über meine aktive Zeit hinaus für Schalke 04 tätig sein könnte. Aber ich will noch so lange wie möglich Fußball spielen. Erst vor kurzem habe ich auch mit Benedikt Höwedes darüber gesprochen.
Was hat er gesagt?
Er hat uns besucht. Er meinte, dass es wichtig sei, zu spielen, so lange es der Körper mitmacht und die Atmosphäre in der Kabine mit der Mannschaft zu genießen. Denn diese Zeit kommt niemals zurück – und die Zeit nach der aktiven Karriere ist sehr lang und kann auch mal öde sein. Mein Vertrag läuft noch bis 2025, aber sehr gern würde ich auch danach noch weiterspielen, wenn der Körper mitmacht. Im Idealfall natürlich weiter für Schalke.
Wenn Sie einmal aufhören sollten: Wie wollen Sie den Schalke-Fans in Erinnerung bleiben?
(überlegt) Als authentischer Typ, der Schalke liebt und lebt – auch in turbulenten Zeiten. Als jemand, der immer mit breitem Kreuz hinter dem Verein stand. Wenn die Leute mich wirklich so in Erinnerung behalten, wäre es atemberaubend. Natürlich hätte ich gern mehr Erfolge mit Schalke gesammelt, Titel geholt. Aber das größte Kompliment ist doch, wenn ich wegen meines Charakters und für den Menschen, der ich bin, in Erinnerung bleibe.
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