Duisburg. Der Taktikfuchs hat die Spielweise des neuen MSV-Trainers unter die Lupe genommen. Er steht für ehrlichen und schnörkellosen Fußball.
Das ist Christoph Gebhard
Trainer Christoph Gebhard ist in der Amateur-Fußball-Szene als Taktikfuchs bekannt. Davon profitieren in erster Linie die A-Jugendfußballer von Viktoria Buchholz, mit denen der 46-Jährige in der vergangenen Saison in der Niederrheinliga an den Start gegangen ist. Gebhard ist zudem Fan des MSV Duisburg. Er verfolgt die Spiele der Zebras nicht nur mit Herzblut, sondern auch als Fachmann mit dem Blick auf das taktische Geschehen auf dem Platz. Für die Sportredaktion analysiert Christoph Gebhard die Spiele der Meidericher.
Als Dietmar Hirsch im Sommer 2023 das Traineramt beim 1. FC Bocholt übernahm, hatten die „Schwatten“ als Aufsteiger die Saison 22/23 soeben auf dem 15. Tabellenplatz beendet. Kaderplaner Christopher Schorch war mit diesem Ergebnis nicht zufrieden, wollte den Verein weiter professionalisieren und krempelte den Kader bis auf wenige Ausnahmen komplett um. Dietmar Hirsch fand damals also eine ähnliche Situation vor wie in diesem Sommer beim MSV Duisburg. Einzige Ausnahme: In Bocholt wurde eine Etablierung in der Regionalliga erwartet, in Duisburg kann nur der direkte Wiederaufstieg in die 3. Liga das Ziel sein.
Bekanntermaßen führte Hirsch die „Schwatten“ in der darauf folgenden Saison 23/24 zeitweise sogar an die Tabellenspitze und wurde am Ende ziemlich überraschend Zweiter. Was zeichnete das Spiel der Bocholter unter ihm aus? Komplette Dominanz? Viel Ballbesitz? Hohes Pressing? Alles negativ! In vielen Statistiken waren die Bocholter eine sehr durchschnittliche Mannschaft. Ihr Spiel war von einem gewissen Pragmatismus geprägt.
An erster Stelle stand die defensive Stabilität. Die Mannen von Hirsch kassierten die wenigsten Gegentore der Regionalliga. Damit einher ging eine gewisse Risikominimierung. Die Mannschaft stand oft tief und kompakt und ließ sich nicht rauslocken. Umgekehrt war sie sich nicht zu schade, die Bälle unter Druck lang zu schlagen, wenn sie gepresst wurde. Ballverluste nah am eigenen Tor wurden so vermieden.
Auch wenn andere Mannschaften in der Regionalliga mehr Tore schossen, waren die Bocholter offensiv nicht ambitionslos. Hirsch wählte auch dort einen wenig überraschenden Ansatz und setzte schwerpunktmäßig auf Umschaltfussball. Man überließ dem Gegner gerne Ball und Initiative, wartete auf Fehler und versuchte nach Ballgewinnen schnell in die Tiefe umzuschalten und die Unordnung der Gegner zu nutzen.
Neben den daraus resultierenden unterdurchschnittlichen Ballbesitzwerten waren auch die Passquoten der Bocholter wenig berauschend. Das lag aber auch an der Art und Weise, wie angegriffen wurde. Gerade wenn der Gegner aufgerückt war, wurde das Mittelfeld oft mit weiträumigen Pässen überbrückt, die prinzipbedingt eine größere Ungenauigkeit als Kurzpässe haben. Im letzten Spielfelddrittel wählte man oft riskante Steckbälle, um hinter oder zwischen die letzte Linie des Gegners zu kommen und die immer wieder angebotenen Tiefenläufe zu bedienen.
Diese Ansätze zeigten aber auch: Hirsch impfte seiner Mannschaft ein, direkt den Weg zum Tor und in den Strafraum zu suchen, selbst wenn die Gefahr bestand, den Ball dabei wieder zu verlieren. Beleg dieser Spielweise war auch der Ligabestwert an erhaltenen Elfmetern (12). Auch wenn einige Foulspiele der Marke „dankend angenommen“ Ursache für den Pfiff der Schiedsrichter waren, muss eine Mannschaft diese Situationen erstmal erzeugen und provozieren.
Probleme bekamen die Bocholter immer dann, wenn sie sich mal nicht auf ihre Defensive verlassen konnten, in Rückstand gingen oder der Gegner das Spiel ebenfalls nicht machen wollte. Dann waren die Bocholter zur Initiative gezwungen, mussten Lösungen gegen tiefstehende Gegner finden und wirkten dabei nicht selten relativ einfallslos und limitiert in ihren Möglichkeiten. Das war gerade in der Rückrunde der Fall, als sie – auch durch den Status des Herbstmeisters – eine andere Wahrnehmung in der Liga erfuhren und das Spiel oft aus einer Favoritenrolle bestritten.
Hirsch zeigte sich in der Rückrunde wohl auch deswegen etwas flexibler in der Wahl der taktischen Formation. Während er in der Hinrunde fast durchgehend eine Mischung aus 4-2-3-1 und 4-3-3 spielte, gab es dann auch schon mal Versuche mit Dreier- und Fünferketten oder höherem Pressing.
Fitness und Standards
Entscheidend für die gute Punkteausbeute war aber noch ein anderer Aspekt. Die „Schwatten“ waren anscheinend eine der fittesten Truppen, trafen in der Schlussviertelstunde überdurchschnittlich oft und kassierten selten späte Gegentore. Das war oft ein wichtiger Faktor, um knappe Spiele zum Ende noch zu drehen oder Führungen nach Hause zu bringen.
Unter dem Strich überwogen nach so einer Saison natürlich die positiven Eindrücke. Die MSV-Fans können sich unter Dietmar Hirsch vermutlich auf ehrlichen und schnörkellosen Fußball freuen. Auf eine Mannschaft, die defensiv alles reinwirft und offensiv schnell den Abschluss sucht. Auch in Sachen Fitness und Standardsituationen wird Dietmar Hirsch gewissenhaft arbeiten und vielfältige Lösungen präsentieren.
Leichte Zweifel bleiben natürlich, inwieweit er mit der Favoritenrolle, die der MSV in der Regionalliga haben wird, umgehen kann. Zeigt er noch andere taktische Facetten als in Bocholt und kann den Zebras das nötige Rüstzeug für einen dominanteren Ansatz mitgeben oder hofft man diesen Umstand alleine über die individuelle Qualität zu kompensieren?