Mailand. Im San Siro ist die Zeit in den 1990er-Jahren stehen geblieben. Das hat Charme - stellt die Mailänder Klubs aber vor Probleme.

Die Straßenbahnlinie Nummer fünf hält alle vier Minuten am Sehnsuchtsort des Fußballs, der mehr Vergangenheit als Zukunft bedeutet und deshalb so reizvoll ist. Auch an einem grauen Montagmorgen im November.

Noch ist der Ticketpavillon Süd neben der Haltestelle geschlossen, man fragt sich bei dessen Anblick schnell, ob sich dies ändern wird. Blutrote Jalousien verbarrikadieren die Fenster der Schalter. Die verrostete Tür muss mal weiß gewesen sein. Unter dem Dach des Kassenhäuschen möchte ein Mann in blauer Daunenjacke Eintrittskarten loswerden. Unter der Hand versteht sich.

Heimspielstätte von AC Mailand und Inter Mailand

Viele Fußballfans spüren hier ein Kribbeln, hier im Mailänder Stadtteil San Siro, sechs Kilometer westlich des Stadtzentrums, hier am Stadio Giuseppe Meazza, benannt nach dem zweimaligen italienischen Weltmeister. . „La Scala del Calcio“ heißt das Stadion im italienischen Volksmund, das Opernhaus des Fußballs, benannt nach dem prunkvollen Gebäude in der Mailänder Innenstadt.

Schon von weitem sieht man die rote Dachfassade sowie die runden Türme, die zum Oberrang führen. Wenn Fans sie hinauflaufen, scheint es von außen, als würden die Türme ineinander rotieren. Und innerhalb der fast 100 Jahre alten Arena, deren Beton langsam bröckelt, pocht das Herz des italienischen Fußballs. Die AC Mailand und Stadtrivale Inter feierten hier große Triumphe.

Das San Siro bei einem Spiel der AC Mailand.
Das San Siro bei einem Spiel der AC Mailand. © Getty Images | Marco Luzzani

Milan, der ältere der beiden Klubs, will an diesem Dienstagabend (21 Uhr/Prime) die Grundlage für einen weiteren legen. Borussia Dortmund kommt, beide Teams streiten sich im Spiel der Gruppe F um einen Platz im Achtelfinale der Champions-League. „Es wird emotional aufgeheizt sein. Da müssen wir von der ersten Minute an wach sein“, fordert BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl.

San Siro ist historischer Ort des Fußballs, auch für den deutschen.

Schalke gewinnt in San Siro den Uefa-Pokal

1990. Lothar Matthäus stürmte zum Auftakt der Weltmeisterschaft durch die jugoslawische Spielhälfte und versenkte den Ball mit einem Vollspannschuss im linken Toreck. Vielleicht der schönste Treffer des Rekordnationalspielers, ein überaus wichtiger zudem auf dem Weg zum dritten Titel. Im Achtelfinale flog Frank Rijkaards Spucke in die noch gar nicht so graue Lockenpracht Rudi Völlers.

1997. Die Legende der Schalker Eurofighter entstand – entgegen allen Widerständen. Inter ging kurz vor Schluss es Uefa-Pokal-Rückspiels durch Ivan Zamorano in Führung. „Einen größeren Lärm habe ich noch nie feststellen können“, erinnert sich Schalkes Kapitän Olaf Thon im Gespräch mit dieser Redaktion zurück. „Wir mussten ins Elfmeterschießen, aber es ging gut aus. Ich habe an das San Siro immer sehr gute Erinnerungen.“

Schalkes Olaf Thon 1997 mit dem Uefa-Pokal.
Schalkes Olaf Thon 1997 mit dem Uefa-Pokal. © imago | imago sport

2001. „Kahn! Die Bayern!“, brüllte Marcel Reif in sein TV-Mikrofon. Und damit war alles gesagt zu diesem Elfmeterschießen. Als zweiter deutscher Klub nach dem BVB vier Jahre zuvor gewannen die Münchener im Finale gegen den FC Valencia die Champions League.

San Siro ist aus der Zeit gefallen

Die Fußballwelt hat sich seitdem weitergedreht, aber das San Siro ist in den 1990er-Jahren stehengeblieben. Die Fassade verändert langsam die Farbe, manche Stellen sind inzwischen orangefarben - und das ist kein Symbol für Klimaschutz. Die bunten Sitzschalen sind ausgeblichen. Das Wellblechdach versprüht den Charme des Duisburger Hauptbahnhofs.

Puristen lieben es. Wer möchte schon eine futuristische und dadurch lieblose Heimspielstätte, die ausschaut, als wäre darin Captain Kirk durch den Weltraum geflogen? Oder noch schlimmer: Ein Gebäude auf einem Feld, bei dem auf den ersten Blick nicht erkennen kann, ob es sich nun um einen Baumarkt oder ein Fußballstadion handelt. Waren Sie schon mal in Mainz?

Milan und Inter wollen neue Stadien bauen

Das Problem an der Sache ist, dass sich Milan und Inter in der Moderne angelangt sind. Beide sind in Investorenbesitz, es geht um Umsätze. Logen, die Wintergärten ähneln und Toiletten, die man besser nicht so nennt, passen nicht zum Konzept. Die Klubs wollten daher das San Siro einreißen und gleicher Stelle eine piekfeine Arena errichten.

Der Plan ist gescheitert. Die Stadt Mailand ernannte das San Siro nach heftigen zum kulturellen Denkmal, es bleibt unberührt. Beide Klubs müssen nun eigene Stadien vor den Toren der norditalienischen Metropole bauen.

Was aus dem Stadio Giuseppe Meazza wird, ist offen. Im Februar 2026 sollen hier noch die Olympischen Winterspiele eröffnet werden. Hier am Sehnsuchtsort des Fußballs.