Dortmund. Nach dem 4:2 gegen Gladbach sieht BVB-Geschäftsführer Watzke die Lage beim BVB positiv. Doch auch der Sieg offenbart viele Probleme.

Auch am Sonntag lässt sich in Dortmund allenfalls ein diffuses Bild gewinnen: Der Fußballklub Borussia hat zur Mitgliederversammlung in die Westfalenhallen geladen, und wie immer ist der wichtigste Tagesordnungspunkt die Rede des Geschäftsführers Hans-Joachim Watzke zur aktuellen Lage. Und die fällt natürlich leichter, wenn die Mannschaft tags zuvor gewonnen, wenn sie wie an diesem Wochenende einen 4:2 (3:2)-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach eingefahren hat.

So hat Watzke die Gelegenheit, einige übergeordnete Themen anzusprechen: den umstrittenen Videobeweis, den er inzwischen wie viele BVB-Mitglieder sehr kritisch sieht, weil er „die Emotionen killt“. Die Deutsche Fußball-Liga soll im Januar eine Expertenkommission einrichten, die diskutiert, was sich wie ändern lässt.

Spott über Schalke, Breitseite gegen Journalisten

Emotionen kennt man ja bei Borussia Dortmund, erlebt hat man sie in voller Wucht am 27. Mai, als die schon sicher geglaubte Meisterschaft am letzten Spieltag noch aus der Hand gegeben wurde. „Das war der schlimmste Tag meines Lebens“, sagt Watzke. Ein solches Erlebnis könne einen Klub zerstören. „Aber wir haben uns nicht zerstören lassen, weil wir sind, wie wir sind. Wir sind analytisch, solidarisch und realistisch.“ Wer diesen Realismus verliere, der könne auch abstürzen, sagt Watzke und verweist kurz auf den Revierrivalen Schalke 04. Spott über Schalke geht immer bei BVB-Mitgliederversammlungen, genau wie Breitseiten gegen Journalisten und vermeintlich zu kritische Berichterstattung: „Wir sind aktuell einem medialen Trommelfeuer ausgesetzt, wie ich es lange nicht erlebt habe“, meint Watzke.

Und da hat der Sieg gegen Gladbach zumindest ein paar Argumente geliefert: Die Mannschaft habe in der Liga nun 24 Punkte aus 12 Spielen. „Wir haben vielleicht zwei, drei Punkte mehr erhofft, aber wir müssen nicht in Sack und Asche gehen“, sagt Watzke, zudem sei man noch im DFB-Pokal dabei und stehe auf Platz eins einer schwierigen Champions-League-Gruppe. „Das ist eine Leistung, die man nicht hoch genug einschätzen kann, auch das gehört zur Analyse“, sagt Watzke.

Die Niederlagen gegen Bayern und Stuttgart wirken nach

Alles gut also in Dortmund? Die Atmosphäre im Saal sagt anderes: Als die Mannschaft eintrifft, erheben sich die Mitglieder zwar, aber der Applaus fällt allenfalls höflich-zurückhaltend aus. Die Fußballfrauen als frischgebackene Herbstmeisterinnen in der Landesliga werden deutlich euphorischer gefeiert, die Handballfrauen auch - sogar die Ü40-Tischtennisherren und die Torball-Mannschaft, die in diesem Jahr Deutsche Meisterschaften geholt haben.

Es ist eben nicht alles gut beim BVB, die krachenden Niederlagen gegen Bayern München und den VfB Stuttgart nagen weiter am Selbstwertgefühl. Unter der Woche hatte BVB-Boss Watzke der Mannschaft einen Besuch in der Kabine abgestattet und sie in deutlichen Worten wissen lassen, was er von den jüngsten Auftritten hielt und dass er eine deutliche Steigerung erwartet. Aber auch gegen Gladbach zeigte die Mannschaft dann ihre rätselhaften Formschwankungen, ihre zwei Gesichter sogar innerhalb eines Spiels: Eine äußerst schwache erste halbe Stunde und ein verdienter 0:2-Rückstand durch Rocco Reitz (13.) und Manu Koné (28.) drohten, die Stimmung endgültig kippen zu lassen.

Dortmund zeigte wieder seine zwei Gesichter

Doch dazu blieb gar keine Zeit, weil der bis dahin orientierungslos hinterherlaufende BVB durch einige brillante Aktionen schnell wieder im Spiel war: Einer Balleroberung durch Marco Reus am eigenen Strafraum folgte vorne ein schneller Anschlusstreffer Marcel Sabitzers (30.) und ebenso schnell ging es, bis Niclas Füllkrug den Ball mit dem Außenrist sehenswert zum Ausgleich ins Tor streichelte (32.). Und noch vor der Halbzeitpause kam die nächste Balleroberung durch Reus und der Führungstreffer von Jamie Bynoe-Gittens (45.). Und ganz zum Schluss dann, tief in der Nachspielzeit trug Donyell Malen den Ball nach einer Gladbacher Ecke dann ins leere Tor und die Partie war entschieden.

Aber warum diese Leistungsschwankungen? „Das kann man nicht so einfach erklären“, rätselte Kapitän Emre Can. „Wir haben uns auch nicht vorgenommen 0:2 hinten zu liegen.“ Und so widmete sich in Dortmund lieber den positiven Erkenntnissen aus dieser Partie: „Wir haben gewonnen und sind super zurückgekommen“, lobte Can, und auch Sportdirektor Sebastian Kehl pries die Comeback-Qualitäten.

Den BVB erwarten schwere Spiele

In Zukunft aber will man nicht mehr so oft darauf zurückgreifen. Jetzt kommen ja Gegner, gegen die es nach einer schwachen Anfangsphase deutlich schwieriger werden dürfte, den Weg zurück in ein Spiel zu finden – zunächst am Dienstag in der Champions League beim AC Mailand (21 Uhr/Prime Video), wo mit einem Sieg das Weiterkommen schon perfekt wäre, dann am Sonntag bei Bayer Leverkusen (17.30 Uhr/DAZN). „Da werden wir uns wieder viel vornehmen, wie immer“, kündigt Can an. „Wir werden versuchen, von Anfang an in den Zweikämpfen zu sein, aggressiv zu sein und es den Italienern nicht einfach machen.“

Denn, wechselhaftes Spiel hin oder her: „Jeder Sieg tut uns gut und gibt Selbstvertrauen“, sagt Can. Und am Sonntag „können wir mal prüfen, ob Bayer Leverkusen wirklich nicht zu schlagen ist“, sagt Watzke. Sollte das gelingen, dann wäre auch die Stimmungslage in Dortmund sicher deutlich weniger diffus – und deutlich positiver.