Dortmund. Der BVB besiegt Newcastle 2:0 und sammelt Selbstbewusstsein für die anstehenden Aufgaben. Aber nicht alle Zweifel sind damit beseitigt.

Kurz nur, ganz kurz war Sebastian Kehl aus dem Konzept gebracht, aber es dauerte höchstens eine Sekunde, dann hatte der Sportdirektor von Borussia Dortmund den Faden wieder aufgenommen. Kehl stand im sehr zugigen Bereich vor den Mannschaftskabinen, wo neben einem frischen Wind auch sehr viele angeheiterte Menschen entlangliefen, und einer brüllte: „Sebastian Kehl, Fußballgott.“ Da musste der 43-Jährige kurz schmunzeln, bevor er den Auftritt vor den Journalisten ähnlich souverän ins Ziel brachte, wie es seine Mannschaft zuvor im Champions-League-Spiel gegen Newcastle United getan hatte. 2:0 (1:0) hatte der BVB gewonnen, ein hochverdienter Sieg, der allenthalben für Erleichterung sorgte.

Weil er die Chancen aufs Weiterkommen in dieser komplexen Gruppe mit Paris Saint-German und der AC Mailand erheblich erhöhte. Weil er zudem die passende Reaktion auf die0:4-Klatsche gegen den FC Bayern drei Tage zuvor war und frisches Selbstvertrauen lieferte vor dem schwierigen Bundesliga-Auswärtsspiel beim VfB Stuttgart am kommenden Samstag (15.30 Uhr/Sky) – weshalb jeder Dortmunder, der an diesem Abend in die Nähe eines Mikrofons kam, ähnliche Worte wie Kehl sprach: „Das war die richtige Antwort.“

Dortmunds Julian Brandt als bester Spieler ausgezeichnet

Mit deutlich mehr Energie, mit deutlich mehr Aufmerksamkeit, mit deutlich mehr Intensität waren die Dortmunder ins Spiel gegangen und hatten alsbald das Führungstor erzielt, das der Torschütze Niclas Füllkrug später als „sinnbildlich für unser Spiel heute“ einordnete: Zweimal war der Ball schon verloren, zweimal eroberten die Schwarz-Gelben ihn zurück und am Ende wuchtete Füllkrug ihn humorlos ins Tor (26.).

In der zweiten Halbzeit wackelte diese Führung zwar gelegentlich ein wenig, doch anders als so oft in den vergangenen Wochen brachte ein zweiter Dortmunder Treffer dann Klarheit: Julian Brandt schob nach einem Konter sicher ein (79.). Der Spielmacher bekam später auch die Auszeichnung als Spieler der Partie überreicht, aber er reichte die Komplimente artig weiter an den Co-Torschützen Füllkrug, an den Mittelfeldkämpfer Salih Özcan, an die souveräne Abwehr, an Torhüter Gregor Kobel sowieso und überhaupt an die ganze Mannschaft.

Sonderlob für BVB-Profi Karim Adeyemi

Ein Sonderlob gab es für Karim Adeyemi, der Brandts Treffer mit einem langen Schlag aus dem eigenen Strafraum vorbereitet hatte. „Da hat er einen sensationellen Iniesta-Pass auf mich gespielt“, sagte Brandt in Reminiszenz an den spanischen Weltklasse-Spielmacher. „Das hat er so gesehen und gewollt und das lasse ich mir auch nicht ausreden.“ Brandt grinste, als er diese Worte sprach, er wusste ja selbst, dass Adeyemis Befreiungsschlag eher zufällig in seinen Laufweg geflogen war.

Aber im Überschwang gerieten an diesem Abend eben nicht mehr alle Sätze maximal reflektiert – auch nicht die Bewertung des Sportdirektors Kehl, der meinte, dass „man einiges von der Kritik, die wir zuletzt eingesteckt haben, deutlich revidieren kann“. Da allerdings mochte nicht einmal sein Trainer mitgehen. „Das müssen wir beweisen“, sagte Edin Terzic. „Das geht mit immer etwas zu schnell, nach unser ersten Saisonniederlage genau wie jetzt nach dem nächstem Sieg.“

Sieg gegen Newcastle lässt Bayern-Debakel nicht vergessen

Tatsächlich hat der Auftritt gegen Newcastle längst nicht jede Frage beantwortet, die das Debakel gegen den FC Bayern aufgeworfen hatte, dafür war Newcastle einfach nicht stark genug. Wie gut ist dieser BVB wirklich – diese Frage wabert ja seit Wochen durchs Stadion und sie waberte auch nach diesem Sieg weiter, bei dem die Dortmunder immerhin jene Steh-auf-Qualität demonstriert hatten, die sie unter Terzic bislang auszeichnet.

Wie gut ist der BVB wirklich - darüber konnte auch nach diesem Spiel trefflich diskutiert werden. Ziemlich gut, lautet die wohlwollende Interpretation angesichts der neuen und nach der Bayern-Pleite sofort zurückgefundenen defensiven Stabilität. Andererseits monieren die Kritiker zu Recht, dass jene Stärke just in den beiden einzigen Spielen gegen Kontrahenten von höchstem Niveau fehlte: Gegen Bayern und Paris gab es hochverdiente Niederlagen. Und nun erst folgen in der Bundesliga die Spiele gegen die restlichen Spitzenmannschaften, gegen Leverkusen, Leipzig – und zunächst gegen Stuttgart, den punktgleichen Überraschungsdritten. „Eine Mannschaft, die weiß, wo das Tor steht“, wie Brandt treffend einordnete. Der BVB allerdings weiß inzwischen ja auch ganz gut, wie sich jenes Tor verteidigen lässt. Welches Konzept sich am Ende durchsetzt - auch das wird Aufschluss darüber geben, wie gut der BVB im Herbst 2023 wirklich ist.