Gelsenkirchen/Darmstadt. Florian Kohfeldt war 2018 „Trainer des Jahres“, jetzt ist er als Darmstadt-Coach zu Gast auf Schalke. Was ist da schiefgelaufen?
Es war der 28. März 2019, ein Donnerstag, als Florian Kohfeldt eine Bühne in Frankfurt betrat. 36 Jahre war er gerade erst alt - und erlebte doch schon einen Höhepunkt seiner Laufbahn. Er erhielt den Preis als „Deutschlands Trainer des Jahres 2018“ - zu seinen Vorgängern gehörten Julian Nagelsmann, Christian Streich, Thomas Tuchel und Norbert Elgert. Der damalige DFB-Präsident Reinhard Grindel sagte: „Ich bin mir sicher, dass seine Trainerkarriere in der Bundesliga gerade erst begonnen hat.“ Fünfeinhalb Jahre später ist Kohfeldt im Abstiegskampf der Zweiten Liga angekommen, spielt mit Darmstadt 98 auf Schalke (Freitag, 18.30 Uhr/Sky). Was ist da passiert?
In einem Interview formulierte es Kohfeldt selbst einmal so: „Es gab eine Zeit lang einen persönlichen Hype um mich, der mir selbst unangenehm war. Ich glaube nicht, dass ich mich über Gebühr in die Öffentlichkeit gedrängt habe. Trotzdem entstand eine Fallhöhe, die solide Ergebnisse und Arbeit schon als etwas Negatives dastehen lässt.“
Lange ging es für Kohfeldt so weit nach oben, als würde jeder Punkt seines Karriereplans spielerisch leicht in Erfüllung gehen. Als Torwart hatte er nicht genug Talent besessen, um Profi zu werden, also schloss er ein Master-Studium für Sport- und Gesundheitswissenschaft an der Universität Bremen ab, bevor er den Lehrgang zum Fußballlehrer begann, den er 2015 als Jahrgangsbester abschloss. Parallel war er Co-Trainer der Profis von Werder Bremen unter Viktor Skripnik, führte die U23 in der 3. Liga zum Klassenerhalt. Während des Studiums hatte er nicht nur im Amateurfußball bei Werder III im Tor gestanden, sondern auch als Jugendtrainer gearbeitet.
Am 30. Oktober 2017 übernahm er die über viele Jahre ins Schlingern und immer wieder in Abstiegsnot geratene Bremer Profimannschaft und führte sie innerhalb von anderthalb Jahren wieder in die Nähe des internationalen Geschäfts und eines Titels. In der Saison 2018/2019 fehlte Werder als Achter nur ein Punkt zur Europa-Qualifikation. Im DFB-Pokal kam das Aus erst im Halbfinale. Bei der 2:3-Niederlage gegen Bayern München hatte Werder Pech mit einer krassen Fehlentscheidung des Schiedsrichters vor dem dritten Gegentor. „Unter Florian Kohfeldt spielt Werder Bremen frischen, begeisternden und erfolgreichen Fußball“, lobte DFB-Präsident Reinhard Grindel damals. Werder-Kapitän Max Kruse schwärmte vom „klaren Plan“ des Trainers.
Kohfeldt unterschrieb einen bis 2023 gültigen Vierjahresvertrag - hatte Werder den neuen Thomas Schaaf gefunden? Und das noch made in Bremen? Kohfeldt galt früh als kompletter Trainer, rhetorisch begabt, ohne Berührungsängste, durchaus fannah. Er geriet sogar ins Visier von Borussia Dortmund. Sein Berater heißt Marc Kosicke - der berät auch Jürgen Klopp. Kohfeldt, nicht nur der neue Schaaf, vielleicht sogar der neue Klopp? Beim BVB war zu dieser Zeit Lucien Favre in die Kritik geraten. Bei einem Auswärtsspiel mit Bremen in Dortmund stand Kohfeldt schon für Selfies mit BVB-Fans bereit. Dass er nicht wechselte, sagte Kohfeldt einmal, habe er nicht bereut. „Völlig unabhängig von Vereinsnamen: Nein. Kontinuität ist ein gegenseitiges Versprechen“, sagte er. Er wollte seinen Vertrag in seiner Heimat Bremen unweit seines Geburtsorts Delmenhorst erfüllen.
Dann begann aber der Absturz. Im Sommer 2019 durfte er über zehn Millionen Euro an Ablösesummen ausgeben, zum Beispiel den abgewanderten Torjäger Kruse durch Niclas Füllkrug, der von Hannover 96 kam, ersetzen. Doch Werder geriet in Abstiegsgefahr, schaffte in der komplizierten Saison 2019/2020 erst in der Relegation gegen den 1. FC Heidenheim (0:0, 2:2) den Klassenerhalt - ohne Zuschauer, die Corona-Pandemie hatte begonnen. Kohfeldt durfte bleiben. In der Corona-Geisterspiel-Saison 2020/2021 verbesserte sich die Werder-Leistung aber nicht. Nach dem vorletzten Spieltag, Werder war wieder 16., wurde Kohfeldt gefeuert. Einen Spieltag später stieg sein Heimatklub unter Ein-Spieltag-Notnagel Schaaf ab. Nur rund zwei Jahre, nachdem DFB-Chef Grindel geschwärmt hatte, Kohfeldt hätte „mit seinem Werdegang die Lorbeeren bestätigt, die er als Lehrgangsbester erhalten hatte“, war arbeitslos.
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Und doch erhielt er schon bald eine Chance im internationalen Geschäft: Im Oktober 2021 wurde ihm der aufgemotzte Kader des VfL Wolfsburg anvertraut, nachdem Mark van Bommel rausgeworfen worden war. Nach drei Siegen zum Start folgten acht Niederlagen in Folge - der VfL scheiterte in der Champions League trotz lösbarer Aufgaben schon in der Gruppenphase, rutschte in den Keller, für Kohfeldt der dritte Abstiegskampf in Folge. Klappte zu Beginn seiner Karriere alles, schien nun für ihn alles schiefzugehen. Am Ende der Saison stand der enttäuschende zwölfte Platz, in 25 Kohfeldt-Spielen hatte der VfL lediglich 29 Punkte geholt. Nach Saisonende musste der Trainer gehen. „Überraschend“ fand er den Rauswurf, sagte er später. Das Ende habe sich zu „keiner Zeit angedeutet“. Es bedeutete für ihn den Karriereknick, ein Jahr lang blieb er ohne Job.
In der belgischen Provinz wollte der einstige BVB-Kandidat und potenzielle neue Klopp seiner Karriere neuen Schwung verleihen. Er übernahm im Juni 2023 den Erstligisten KAS Eupen im deutschsprachigen Teil Belgiens, ein Dauer-Abstiegskandidat. Von 31 Pflichtpielen gewann Eupen unter Kohfeldt aber nur sieben, er trat im März 2024 nach der Hauptrunde der Liga auf eigenen Wunsch zurück. Eupen hatte den direkten Klassenerhalt verfehlt, war in die Abstiegsrunde gerutscht. Ohne Kohfeldt stieg der Klub als Tabellenletzter ab.
Freier Fall ohne Boden? Vor zwei Wochen vertraute Darmstadt 98 Kohfeldt seinen Kader an. Sportdirektor Paul Fernie pries den neuen Mann an: „Er bringt Erfahrung, Persönlichkeit und das Know-how mit, um unserer Mannschaft Stabilität zu verleihen und ihr Potenzial abzurufen. Florian hat uns in den Gesprächen mit einem klaren Plan und seinem Feuer für die Aufgabe überzeugt.“ Darmstadt ist wohl Kohfeldts vorerst letzte Chance im deutschen Profifußball. Seine Premiere gegen Eintracht Braunschweig endete 1:1.
Immerhin an Schalke hat er nur positive Erinnerungen: Mit Werder Bremen gewann er alle fünf Pflichtspiele in der Veltins-Arena.
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