London. Mitbesitzer Jim Ratcliffe hat die gesamte Führung ausgetauscht. Von Trainer Rúben Amorim erhofft sich der Klub die Rückkehr zu alter Größe.
Bei einem Rundgang durch das Stadion von Manchester United begegnete Rúben Amorim nach seinem Dienstantritt am Montag einer Touristengruppe. Sie besichtigte ebenfalls die Räumlichkeiten. Spontan stellte sich der neue United-Trainer – für den der Klub die festgeschriebene Ablöse von zehn Millionen Euro an Sporting Lissabon überwiesen hatte plus eine weitere Million, um ihn mitten in der Saison von seiner 30-tägigen Kündigungsfrist zu befreien – per Handschlag bei jedem Besucher vor. Die Geste kam gut an und war wohl auch notwendig. Denn zwischen dem Rückzug des Ewigtrainers Alex Ferguson und der Verpflichtung Amorims hatte der Klub fünf Cheftrainer sowie vier Interimstrainer beschäftigt – und dazu noch in diesem Jahr das gesamte Führungspersonal ausgetauscht: den Vorstand, die Geschäftsführung und das Management.
Seit seinem Einstieg als für die Sportbelange zuständiger Minderheitsbesitzer hat Jim Ratcliffe keine Personalie im Klub unberührt gelassen. Der Brite griff mit seiner Ineos-Sporttruppe im Rücken auf Chefetage so kompromisslos durch, dass sich nach dem miesesten Ligaabschneiden in der Vorsaison quasi plötzlich niemand mehr fand, der sich um die Situation des damaligen Trainers Erik ten Hag kümmern konnte. Ohne die Hilfe von Geschäftsführer Omar Berrada und Sportdirektor Dan Ashworth, die aufgrund anderer Verträge erst seit Juli für United tätig werden durften, wirkte Ratcliffe bei der Trainerfrage überfordert. Er kontaktierte mehrere Trainer, darunter den neuen England-Coach Thomas Tuchel, entschied sich aber letztlich für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit ten Hag. Die Stimmung hatte sich durch dessen FA-Cup-Titel gedreht.
Folgenschwere Fehler um Ex-Trainer ten Hag
Um den Niederländer zu stärken, verlängerte der Klub dessen Vertrag im Sommer per Klausel um ein Jahr bis 2026, stellte das Assistententeam neu auf und folgte einigen Transferwünschen. Dieser Fehler kam Ratcliffe und den Klub am Ende teuer zu stehen, als sie sich Ende Oktober doch zur unausweichlich wirkenden Entlassung von ten Hag entschlossen. Allerdings wird in Manchester hinter vorgehaltener Hand gewitzelt, dass es auf einige Millionen mehr an Abfindung auch nicht mehr wirklich ankam, nachdem der Verein im vergangenen Jahrzehnt knapp zwei Milliarden Euro für Spielerablösen ohne ersichtlichen Fortschritt verprasst hatte. Diese Summe entspricht ungefähr dem Betrag, den United aufwenden müsste, um eine neue Arena für das marode Old Trafford zu errichten.
Finanzielle Maßlosigkeit bei Manchester United hat Folgen
Die Auswirkungen der finanziellen Maßlosigkeit treffen United wie einen Bumerang. Der Gesamtverlust in den zurückliegenden fünf Saisons beläuft sich auf eine halbe Milliarde. Kürzlich wurde der Belegschaft mitgeteilt, dass 250 Arbeitsstellen auf der Geschäftsstelle abgebaut werden müssen. Die Sparmaßnahmen ließen selbst Ferguson nicht aus, der Klub löste die Vereinbarung mit ihm als Botschafter im Oktober auf. Aus diesem Grund erhält auch Amorim nur einen vorsichtig dotierten Kontrakt bis Juni 2027, den allein der Klub um eine Saison verlängern kann. Der 39-Jährige ist der jüngste United-Coach seit 55 Jahren. Amorims Schritt gleicht einer Kopie seines vorherigen Vereinswechsels. Nach drei Monaten beim SC Braga, den er aus dem Tabellenmittelmaß furios in die Spitzengruppe manövrierte, siedelte der Portugiese im März 2020 zu Sporting um und führte den Verein daraufhin 2021 zur ersten portugiesischen Meisterschaft nach 19 Jahren. Eine solch spektakuläre Verwandlung des eigenen Klubs erhofft sich nun ebenso Uniteds Management von Amorim.
Ein Hospitant von José Mourinho auf der Trainerbank
In gewisser Weise begann dessen Trainerkarriere sogar bei United – als Hospitant von José Mourinho, der in Manchester von 2016 bis 2018 tätig gewesen war. Seinen Landsmann bezeichnet Amorim als Vorbild. Auch er gilt als versierter Taktiker, der jedoch anders als Mourinho noch nicht über das gleiche Standing in der Branche verfügt. Immerhin schmachtete Cristiano Ronaldo über Amorim, seinen einstigen Teamkollegen in der Nationalelf, dieser drücke sich wie ein „Dichter“ aus – was er so wiederum wohl nicht über seinen Ex-Coach Mourinho sagen würde.
Sein Debüt bei Manchester United gibt Rúben Amorim am Sonntag beim Liga-Auswärtsspiel gegen Ipswich Town. Der Rekordmeister reist als Tabellendreizehnter an. Immerhin kann sich der Trainer zum Start der Beliebtheit der United-Fans gewiss sein. Denn in seinem letzten Heimspiel für Sporting besiegte Amorims Mannschaft den ungeliebten Stadtrivalen Manchester City.