London/Duisburg. Alexandra Popp bestreitet an diesem Montag in Duisburg ihr letztes Spiel für die DFB-Frauen. Die Zukunft ohne sie hat bereits begonnen.
Erst vor ein paar Tagen hat Alexandra Popp wieder einige treffende Sätze gesagt. Dass es insbesondere nach der begeisternden EM 2022 in England nur um ihre Person gegangen sei, fand Deutschlands bekannteste Fußballerin stets „ein bisschen übertrieben“. Denn: „Nicht ich bin die Zukunft des deutschen Frauenfußballs.“ Es hätte keinen besseren Beleg geben können, dass auch die Post-Popp-Ära erfolgreich verlaufen kann als den furiosen Einstand von Bundestrainer Christian Wück.
Am Freitagabend mit einer runderneuerten deutschen Nationalelf gegen England in Wembley mit einem Spektakel (4:3) zu triumphieren, hilft beim Übergang ungemein. Dann kann ruhig die Vergangenheit noch mal gefeiert werden, wenn die langjährige Anführerin heute zu ihrem Abschiedsspiel gegen Australien (18.10 Uhr/ZDF) ein letztes Mal in den Mittelpunkt rückt. Für die „Fußball-Romantikerin“ (O-Ton Popp) schließt sich in Duisburg ein Kreis, wenn ihr mehr als 25.000 Fans für ihr Lebenswerk im DFB-Dress applaudieren.
In Duisburg die Karriere gestartet, im Ruhrgebiet sozialisiert
In der Heimstätte des MSV Duisburg hat die im Ruhrgebiet sozialisierte Torjägerin aus Gevelsberg mit den Allroundqualitäten einst im Februar 2010 gegen Nordkorea (3:0) ihr erstes Länderspiel bestritten, „als kleines Mädchen ohne Körperspannung mit schlottrigen Knien“. Beim FCR Duisburg nahm auch ihre Vereinskarriere Fahrt auf, ehe sie 2012 nach vier Jahren zum VfL Wolfsburg wechselte. Mit dem Adler auf der Brust war „Poppi“ 2010 erstmals als beste Spielerin und Torschützin der U20-WM in aller Munde. Die Rekordtorjägerin Birgit Prinz hat mehr Länderspiele (214) bestritten, mehr Tore erzielt (128) und mehr Titel gewonnen, aber in Sachen Reichweite sollte ihre Nachfolgerin neue Maßstäbe setzen. Die 144-fache Nationalspielerin (67 Tore) geht als Vorbild auf und neben dem Platz. Allein ihre Nehmerqualitäten muten ikonisch an.
Kaum jemand mit den Höhen und Tiefen in seiner Laufbahn hat so viel bewirkt. Die Olympiasiegerin von 2016 kam sogar bei „Wetten, dass…“ unverkrampft rüber, obwohl sie damals ganz schön Lampenfieber hatte. Den Part als Sprachrohr, das sich für Frauenbelange auch über den Sport hinaus einsetzte, übernahm sie im Laufe der Jahre auch noch, was ebenfalls viel Kraft kostete. Einfach war es für sie nie, die sich früh unter lauter Jungs an der Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen behaupten musste und das Geld für ihre ersten DFB-Lehrgänge ihren in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Eltern gab.
In Wembley glänzten bereits die Nachfolgerinnen
Dass die 33-Jährige das letzte Mal die Kapitänsbinde trägt, sei für einen „gebührenden Abschied“ nur logisch, sagte Wück. Allerdings werde Popp „keine Halbzeit spielen, das ist auch so mit ihr abgesprochen“. Der Bundestrainer möchte an diesem Montag keine keine One-Woman-Show, sondern mit seinem Team „die nächste Entwicklung machen“. Es ist richtig, sich von einer prägenden Figur endlich zu emanzipieren, von der Deutschland insbesondere bei der WM 2023 zu abhängig war. Dort hatte Martina Voss-Tecklenburg dem „Alles-auf-Popp“-Prinzip vertraut, was nicht gutgehen konnte.
Nun glänzten in Englands Kultstätte auf Popps Lieblingspositionen hinter der Spitze und ganz vorne ein bekanntes und ein neues Gesicht. Die oft übersehene Linda Dallmann, 1,58 Meter klein, überzeugte als Spielmacherin, die international unerfahrene Giovanna Hoffmann, 1,78 Meter groß, als Mittelstürmerin. Wück lobte „die Anspielstation“ und „körperliche starke Spielerin“, die zwei der ersten drei Tore einleitete, auch wenn eine Halbzeit aus der 26-Jährigen noch keine Popp 2.0 macht.
Beförderung von Wück entpuppt sich als kluger Schachzug
Als es nach einer halben Stunde schon 3:0 stand, hatte Wück am Rande des heiligen Rasens gedacht: „Es läuft.“ Beim Traumdebüt des 51-Jährigen spielte ein Unterhaltungswert mit, den es seit Jahren nicht mehr gegeben hatte. Die beliebte Interimslösung Horst Hrubesch bevorzugte einen pragmatischen Ansatz, der mit Olympia-Bronze belohnt wurde. Nun habe man „nicht mehr den Sicherheitsfußball von Horst gespielt“, verriet die als Doppeltorschützin brillierende Kapitänin Giulia Gwinn. Der Trainer-Oldie wollte, dass „immer fünf Spielerinnen hinter dem Ball stehen“.
Plötzlich wunderten sich die Akteure selbst über die vielen Anspielstationen bei den rasanten Umschaltaktionen mit den eingeübten Seitenverlagerungen. Wück gab zwar das Lob artig weiter („umgesetzt haben es die Spielerinnen ganz allein“) weiter, aber den risikoreichen Ansatz muss sich ein Mann in seinem ersten Frauen-Länderspiel erstmal trauen. Die Beförderung des erfolgreichen Nachwuchstrainers könnte ein kluger Schachzug von DFB-Sportdirektorin Nia Künzer gewesen sein. Man habe sich „bestimmte Meilensteine vorgenommen – dieses Spiel war einer der ersten“. Der wilde Schlagabtausch bewegte sich zeitweise auf Weltklasseniveau.
Alexandra Popp: der Körper zahlt den Preis für ihren Fußball
Sicher hätte auch Popp einen Riesenspaß gehabt, den Vize-Weltmeister und Europameister zur Primetime vor 47.969 Stadionbesuchern und 3,48 Millionen Fernsehzuschauern zu düpieren. Zumal sie ja im EM-Finale 2022 in Wembley wegen eines beim Abschlusstraining erlittenen Muskelfaserrisses fehlte. Der Verschleiß ist bei ihr unübersehbar. „Durch meine Art Fußball zu spielen, die ja jetzt nicht gerade sanft ist, habe ich einen relativ hohen Preis gezahlt.“ Derzeit plagen sie ständig Schmerzen am Fuß, aber einmal beißt sie noch für die DFB-Auswahl auf die Zähne. Dann fällt auf dieser Bühne der Vorhang.