London/Frankfurt. Die deutsche Nationalspielerin Sjoeke Nüsken steht in Diensten des FC Chelsea. Vor der Partie gegen England spricht sie über ihre zweite Heimat.

Vor dem Klassiker gegen England an diesem Freitag (20.30 Uhr/ARD) befindet sich die deutsche Frauen-Nationalmannschaft im Umbruch. Mit dem neuen Bundestrainer Christian Wück und verändertem Personal soll Revanche für das EM-Finale 2022 genommen werden. Eine, die den Gegner und das Spiel auf der Insel bestens kennt, ist Sjoeke Nüsken. Die 23 Jahre alte Mittelfeldspielerin spielt seit einem Jahr für den FC Chelsea und gibt vor der Partie im Wembley-Stadion Einblicke in die Veränderungen im Team, ihre persönliche Entwicklung und die Vorfreude auf das bevorstehende Duell gegen die Lionesses.

Die ersten Trainingseinheiten unter dem neuen Bundestrainer Christian Wück sind absolviert - und es wurde gleich mal überzogen. Gab es so viel zu besprechen?

Sjoeke Nüsken: Wir haben über seine taktischen Vorstellungen gesprochen, das hat ein bisschen länger gedauert. Ich finde seine fußballerischen Ansichten richtig gut. Dadurch, dass er bisher nur im Männer- und Jugendfußball gearbeitet hat, bringt er eine andere Perspektive mit, was ganz erfrischend ist. Mit Maren Meinert und Saskia Bartusiak hat er gleichzeitig aber auch zwei an der Hand, die sehr erfahren darin sind, mit Spielerinnen zu arbeiten. Ich denke, das ist ein guter Mix.

Zusätzlich gab es auch drei Rücktritte und zwei schwerwiegendere Verletzungen. Wie erleben Sie den Wandel im Team?

Es ist natürlich sehr schwierig Alexandra Popp, Marina Hegering und alle, die zurückgetreten oder verletzt sind, zu ersetzen. Da muss man erstmal Spielerinnen finden, die in diese Rollen reinwachsen und diese Verantwortung übernehmen können. Aber ich denke da haben wir genug Potenzial.

Frauen-EM 2025: Potenzial für erfolgreiches Turnier

Stichwort Potenzial: Christian Wück hat für die EM 2025 den Titelgewinn nicht als klares Ziel ausgegeben. Was glauben Sie, wo es mit dieser Mannschaft hingehen kann?

Von der individuellen Klasse sehe ich uns auf jeden Fall mit guten Chancen ins Turnier gehen. Es muss sich jetzt natürlich alles erstmal einspielen. Aber ich bin der Meinung, dass wir das Potenzial haben, ein erfolgreiches Turnier zu spielen.

Ihre Karriere hat nach dem Wechsel zum FC Chelsea im Sommer 2023 einen rasanten Aufschwung genommen. Spätestens seit der Leistung beim 4:2 gegen Brighton vor einem Jahr sind Sie Stammspielerin. Drei Tore, eine Vorlage – würden Sie das als Ihren Durchbruch bezeichnen?

Das Spiel an sich war nicht perfekt. Ich stand dreimal richtig, wurde gut bedient von meinen Mitspielerinnen. Aber danach ging alles sehr schnell. Man war mehr in den Medien und ich habe immer mehr positive Kommentare bekommen. Dann habe ich mich in einen Flow gespielt, alles hat funktioniert und das hat mir natürlich auch mehr Selbstvertrauen geschenkt. Ich glaube dadurch konnte ich vielleicht das gewisse Etwas mit auf den Platz bringen, was davor gefehlt hat, um erfolgreicher zu sein. Jetzt versuche ich einfach, an letzte Saison anzuknüpfen und weiter immer mein Bestes zu geben.

Von Eintracht Frankfurt zum FC Chelsea

Sie spielen Ihre zweiten Saison in London. Wie war das damals als Sie vom Interesse des Klubs gehört haben?

Das war schon echt cool, ich hatte nicht damit gerechnet. Als sie erzählt haben, dass sie mich schon länger verfolgt haben – die erste Anfrage kam im Sommer 2022 – war es ein schönes Gefühl, dass so ein Verein Interesse an einem zeigt. Ich habe die ersten Male aber abgesagt, weil ich mit Frankfurt noch die Champions League spielen wollte und es mit dem Studium auch einfach nicht gepasst hat.

Und die Entscheidung für Chelsea im Sommer 2023?

Die ist mir alles andere als leichtgefallen. Mir tat es schon weh, Frankfurt zu verlassen, weil ich mich so wohl gefühlt habe und der Verein etwas aufbaut, wo ich den Weg auch gerne mitgegangen wäre. Aber bei Chelsea habe ich sehr gute Möglichkeiten gesehen, um mich weiterzuentwickeln. Daher bin ich froh, dass ich diesen Weg gegangen bin. England ist meine zweite Heimat geworden. Am Anfang habe ich eher beobachtet und alles Neue aufgesaugt. Jetzt sehe ich mich schon auch als Führungsspielerin und habe den Anspruch, weiter an mir zu arbeiten, damit ich so eine Rolle auch künftig in der Nationalmannschaft übernehmen kann.

Wie ist das Leben als Fußballerin in England? Wo sehen Sie Unterschiede zu Deutschland?

Die Infrastruktur bei Chelsea ist sehr gut. Wir kommen ans Trainingsgelände, dort gibt es Frühstück, dann haben wir Training, danach Mittagessen und dann ab 15 Uhr frei. Das war mir jetzt nach einem Jahr tatsächlich zu eintönig, weshalb ich wieder angefangen habe Wirtschaftsinformatik zu studieren. Bei der Eintracht war es in der Regel so, dass man nur für anderthalb Stunden Training zum Platz kam und dann wieder gefahren ist. Mittlerweile werden die Rahmenbedingungen in Frankfurt aber auch immer professioneller.

Inwiefern hat der englische Frauenfußball auch von der EM im eigenen Land profitiert?

Zu dem Zeitpunkt habe ich den englischen Fußball tatsächlich noch gar nicht so intensiv verfolgt, aber natürlich macht eine Heim-EM etwas mit einem Land: Die Euphorie wird mit in die Liga genommen und die Zuschauerzahlen steigen – das merkt man. Es sind immer sehr viele Leute da, die uns unterstützen, auch regelmäßig in den großen Stadien.

Sjoeke Nüsken: Mit dem Fahrrad zum Training

Unterscheiden sich die deutsche und die englische Fankultur?

Ich würde sagen schon, weil in England einfach noch mehr Zuschauer zu den Spielen kommen. Wenn wir aber mit Deutschland spielen, ist immer eine super Stimmung im Stadion. Das gefällt mir richtig gut! In England haben wir so ein paar Gesänge, aber Ultras haben wir bei unseren Spielen zum Beispiel eher nicht.

Wobei Sie jetzt bei Chelsea auch Ihren eigenen Fangesang haben...

(Lacht) Ja, ich weiß gar nicht, wer damit angefangen hat, aber das ist ganz witzig. Als ich letztens in der Stadt unterwegs war, sind Fans im Auto vorbeigefahren und die haben tatsächlich angefangen, den zu singen.

Waren Sie da wieder mit dem Fahrrad unterwegs? Auf Videos in den Sozialen Medien sieht man Sie ja häufiger auf zwei Rädern.

In dem Moment nicht, aber ich fahre zu allen Spielen mit dem Fahrrad – also zu allen Heimspielen, auswärts wäre natürlich schwierig – und sonst zum Training mit der Bahn. Meine Anbindungen zum Trainingsgelände sind einfach so gut, dass ich kein Auto brauche. Für Fahrradfahrer ist London nicht optimal ausgelegt und am Anfang war es auch mit dem Linksverkehr schwierig, aber da habe ich mich schnell dran gewöhnt.

Sjoeke Nüsken: Haben in Wembley eine Rechnung offen

Neue Dinge zu lernen, scheint Ihnen leicht zu fallen. Chelsea hat kürzlich ein Video gepostet, in dem Sie unter anderem Basketball spielen, jonglieren und im Training als Torhüterin einspringen, untertitelt mit der Frage: „Was kann Sjoeke eigentlich nicht?“. Ihre Antwort?

(Lacht) Keine Ahnung. Ich probiere unglaublich gerne neue Sachen aus, versuche mich da reinzufuchsen und mache es dann tatsächlich so lange, bis ich es ansatzweise hinbekomme. Ballett ist glaube ich ein bisschen schwierig. Ich konnte kaum Englisch und jetzt kann ich Englisch – ein bisschen. Mit meinen Mitspielerinnen kann ich mich zumindest verständigen.

Am Freitag geht es gegen England und viele Ihrer Teamkolleginnen. Wie ist die Stimmung vor dem Klassiker?

Für die englischen Spielerinnen ist ein Spiel gegen Deutschland in Wembley natürlich ein Highlight-Spiel und für uns ja sowieso – wir haben da noch eine Rechnung offen. (lacht) Da kam schon der eine oder andere Spruch, dass die Freundschaft für 90 Minuten ruhen wird. Ich glaube, dass es im Stadion wieder sehr voll und die Stimmung entsprechend gut sein wird. Beim EM-Finale vor zwei Jahren war ich als Zuschauerin da und habe diese besondere Atmosphäre mitbekommen. Die Vorfreude ist also riesig.