Paris. Die Olympischen Spiele von Paris vereinen die Menschen und kompensieren für die Corona-Ausgaben. Perfekt ist dennoch nicht alles.
So ein bisschen thronen die Olympischen Ringe da oben auf der Wand hinter Casey Wasserman und Karen Bass ja wie das Wahrzeichen über jener Stadt, aus der sie nach Paris gekommen sind und nun in einem Konferenzsaal des Palais des Congrès sitzen. Beide kommen aus Los Angeles und reden schon über die künftigen Olympischen Sommerspiele, als die aktuellen noch gar nicht beendet sind. Und sie wissen um die Macht der Bilder, die von der Hochfeier des Weltsports ausgeht. „Gut, wir haben keinen Eiffelturm“, räumt Wasserman ein, der als Präsident dem Organisationskomitee für die Spiele in vier Jahren vorsteht. Aber, sagt er stolz, „wir haben das Hollywood-Zeichen, und wir haben unglaubliche Sportstätten.“ Kein Eiffelturm also, auch keinen Grand Palais oder Invalidendom, dafür aber Long Beach und das ikonische Memorial Coliseum, die Grand Old Lady, in der erneut nach 1932 und 1984 am 14. Juli 2028 die Olympischen Spiele eröffnet werden sollen. „Wunderbare Spiele“, verspricht Bürgermeisterin Bass, „noch wunderbarer.“
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Willkommen im Land der unbegrenzten Steigerungsmöglichkeiten.
Olympia 2024: Thomas Bach erlebt in Paris seine letzten Spiele als IOC-Chef
Das olympische Geschäft versteht sich prächtig darin, aus Superlativen monetären Ertrag zu generieren. „Höher, schneller, weiter“ als Credo, das sich in der Realität aber als „Mehr, mehr, mehr“ in den Kassen des Fünf-Ringe-Ordens niederschlägt. Aber alles noch wunderbarer? Das Qualitätssiegel „the best games ever“, die besten Spiele aller Zeiten, bekamen in diesem Jahrtausend auch Gastgeber verliehen, die in baulichen Größenwahn (Athen 2004 und Rio 2016) oder Staatspropaganda (Peking 2008 und 2022) verfallen, die nicht vor einem gigantischen Dopingskandal (Sotschi 2014) oder seelenlosen Kunstspielen (Pyeongchang 2018) zurückgeschreckt waren. Dass Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Frankreichs Hauptstadt und die Sommerspiele als Liebesgeschichte bezeichnete, wirkt indes nicht wie eine romantische Verklärung. „Alle sind in sie verliebt“, sagte der 70-Jährige, „die Athleten, das französische Volk, die Fans auf der ganzen Welt.“ Paris hat Europa seine Liebe zu den Spielen zurückgeschenkt. Am Sonntagabend endeten sie nach einer emotionalen Abschlussfeier, bei der die Athleten ins Stadion in Saint-Denis einzogen, um 23:58 Uhr. Die Fahne wurde an die Repräsentanten von LA2028 übergeben, das Feuer erlosch.
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Dieses Wissen wird Thomas Bach beruhigt haben, als er am Samstag erklärte, im nächsten Jahr nicht mehr als IOC-Präsident antreten zu wollen. Die Charta werde nicht geändert, um ihm nach zwölf Jahren an der Spitze des Fünf-Ringe-Ordens eine olympische Nachspielzeit zu ermöglichen. „In meinem Alter bin ich nicht mehr der beste Kapitän. Neue Zeiten verlangen nach neuen Führern“, erklärte der Fecht-Olympiasieger von 1976 in Montreal, warum im kommenden März bei der IOC-Session in Athen der zehnte Präsident oder die erste Präsidentin gewählt werden soll. Bach sprach von gewaltigen Herausforderungen, dem Tempo der technologischen Veränderungen sei er nicht mehr gewachsen. Ein neuer Chef des IOC müsse tief in die digitale Welt eintauchen, „sonst kann man unsere olympische Bewegung nicht durch die hohen Wellen dieses Tsunamis steuern“.
Olympia 2024: Wieder Spitzensport, diesmal aber zugänglich für alle
Als größten Erfolg kann Paris wohl für sich verzeichnen, all das kompensiert zu haben, was den beiden Corona-Ausgaben gefehlt hat. Herausragenden Sport gab es auch in Tokio 2021 und zuletzt vor zwei Jahren in Peking, nun wurde er wieder zugänglich gemacht für ein ekstatisches Publikum. Aus Frankreich, aus der ganzen Welt.
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Die Marseillaise wurde geschmettert, als Léon Marchand zu Olympiasiegen schwamm, Antoine Dupont das Rugby-Team zum sensationellen Gold im Stade de France führte, Judo-Herkules Teddy Riner zum vierten und fünften Mal Olympiasieger wurde. Das Herz raste, man hörte Jubelstürme, als Simone Biles (USA) in Bercy ein dreifach-goldenes Olympia-Comeback feierte und Stabhochspringer Armand Duplantis (Schweden) bei seinen 6,25 Metern die Schwerkraft infrage stellte. Es wurde mit der Zunge geschnalzt, als die erst 17 Jahre alte Darja Varfolomeev mit purer Grazie das erste Gold für Deutschland in der Rhythmischen Sportgymnastik holte und Femke Bol (Niederlande) in der 4x400-Meter-Mixed-Staffel einen unwiderstehlichen Schlussspurt hinlegte. Es wurde geweint, als Cindy Ngamba, Boxerin aus Kamerun, die erste Plakette in der Geschichte des Flüchtlings-Teams holte und Serbiens Tennis-Ikone Novak Djokovic auf der roten Asche des Stade Roland Garros seinen letzten noch fehlenden Titel gewann. Dazu die betörende Atmosphäre beim Beachvolleyball am Eiffelturm, die Faszination für den schwebenden Feuerballon unweit des Louvre, die Zukunft der Spiele mit den urbanen Sportarten am Place de la Concorde – Paris bot mit seiner Leidenschaft und Nachhaltigkeit, seinem Gegenentwurf zum Gigantismus die perfekte Bühne, um die noch immer vorhandenen dunkleren Seiten Olympias beiseite zu wischen.
Olympia 2024: Gender-Debatte um Imane Khelif als Tiefpunkt
Nur weil sie so erscheinen, sind die Spiele allerdings nicht perfekt. Erfreulicherweise gab es keine Konflikte zwischen Ukrainern und den als Neutrale angetretenen Athleten aus Russland. Jeder Vorfall ist einer zu viel, aber der Protest gegen Israelis war schnell abgeebbt. Allerdings hielt sich China nicht an die Dopingstandards – IOC und Welt-Anti-Doping-Agentur Wada ließen die 23 positiv getesteten Schwimmer in der Arena von La Défense dennoch gewähren. Die Gesundheit der Athleten stand bei den Organisatoren nicht unbedingt im Vordergrund, als durch die Seine von zweifelhafter Wasserqualität geschwommen werden musste. Tiefpunkt war die Gender-Debatte um die beiden Boxerinnen Imane Khelif (Algerien) und Lin Yu-ting (Taiwan), denen vorgeworfen wurde, biologisch unrechtmäßige Vorteile zu Goldmedaillen genutzt zu haben.
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Auch Paris hatte es nicht einfach: Eine Stadt, die Olympische Spiele ausrichtet, muss auch aushalten können. Der eine oder andere Tourist, der lieber ein Museum, ein Theater oder ein Restaurant besucht hätte, blieb fern. Die Menschen drängten sich in den U-Bahnen. Das Geräusch der Hubschrauber-Rotorblätter beim Radrennen hoch nach Montmartre oder beim Hockey in Colombes verwirrte. Doch kaum einer der insgesamt 65.000 Polizisten, Militärangehörigen und privaten Sicherheitsbeamten verweigerte ein Lächeln. Es ist eine große Erleichterung dieser Spiele: Paris wirkte nie bedrohlich, sondern blieb durchgehend friedlich.
Olympia 2024: Wer nicht geblieben oder gekommen ist, hat in Paris etwas verpasst
Frankreichs Gesellschaft war vor den Spielen zerrissen – sie wird nun nicht vereint sein, wenn der olympische Geist wieder aus der Stadt weht. Es hieß, der eine oder andere Pariser sei vor dem Rummel geflohen. Das wird so stimmen. Wer geblieben ist, hat Spiele erlebt, wie es sie nur ganz selten gibt.