Paris. Für die deutschen Springreiter geht das Warten auf die erste Team-Goldmedaille seit 2000 weiter. Ab Montag wollen sie es im Einzel besser machen

Zu seiner Zeit war es niemandem zu empfehlen, Louis XIV. einen Wunsch abzuschlagen. Man konnte dabei schließlich schon mal den Kopf verlieren. Den Beinamen Sonnenkönig trug der Monarch eigentlich, weil er eine Sonne in sein Wappen gewählt hatte, als er Mitte des 17. Jahrhunderts die Herrschaft über Frankreich übernahm. Sich und seinen herrschaftlichen Sitz, Schloss Versailles vor den Toren von Paris, betrachtete Louis eben wie die Sonne als Mittelpunkt von allem. Sein resolutes und unnachgiebiges Wesen prägt die heutige Auslegung des Begriffs.

Olympia 2024: Spitzen-Qualifikation reicht nicht für Medaillenplatz

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    Hätte sich Scott Brash an diesem Freitagnachmittag dafür ausgesprochen, die neue Disziplin Synchronreiten auszurufen – man wäre dem neuen Sonnenkönig von Versailles sicher nicht in die Quere gekommen. Am Étoile Royale (königlicher Stern) am Ende des Schlossparks grenzten drei Stahltribünen den rechteckigen Reitplatz ein, die offene Seite gab den unvergleichlichen Blick aufs Château preis. 15.000 Menschen beobachteten dort, wie Jefferson, in dessen Sattel sich Brash befand, seinen Hals nach vorne streckte. Der 38 Jahre alte Schotte, Mitglied der britischen Springreiter-Equipe, tat es seinem braunen Wallach nach, er lehnte sich parallel seinem Pferd nach vorne, streichelte es voller Dank. Etwaige Absichten, den Reitsport zu erweitern, äußerte Brash hinterher zwar nicht, als er an der Seite von Ben Maher (41) und Harry Charles (25) mit der Goldmedaille über dem Reitrock über den Sieg Großbritanniens bei den Olympischen Spielen in Paris sprach. „Für diesen Moment ist Versailles britisch“, sagte er aber mit dem jenseits des Ärmelkanals bevorzugten Humor.

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    Brashs fehlerfreien Ritt hatte Otto Becker schon nicht mehr aus unmittelbarer Nähe dieses imposanten Wettkampfortes beobachtet. Am Abreiteplatz verfolgte der Bundestrainer auf einem großen Bildschirm, wie zwei Strafpunkte und 237,47 addierte Reitsekunden der Briten zu Platz eins genügten. Die deutschen Reiter – Christian Kukuk (34) auf Checker, Richard Vogel (27) auf United Touch und Philipp Weishaupt (39) auf Zineday – mussten sich mit Platz fünf (8 Strafpunkte/229,57) noch hinter den Medaillengewinnern USA (4/229,90) und Frankreich (7/238,12) sowie dem Vierten Niederlande (7/238,69) abfinden. „Im Moment ist die Enttäuschung da“, sagte Becker und gestand ein, dass „die anderen besser waren. Aber ich kann niemandem einen Vorwurf machen.“

    Deutschland war zuletzt 2000 in Sydney Team-Olympiasieger im Springreiten

    Einziger Deutscher ohne Abwurf: Philipp Weishaupt auf Zineday.
    Einziger Deutscher ohne Abwurf: Philipp Weishaupt auf Zineday. © dpa | Rolf Vennenbernd

    Wieder keine Medaille, wieder nur ein Blick vom Sperrsitz auf das Siegerpodest. Als Deutschland letztmals 2000 in Sydney Mannschafts-Olympiasieger im Springreiten wurde, war der heute 65 Jahre alte Otto Becker noch selbst im Sattel. Der tadellose Auftritt in Paris in der Qualifikation, als das Trio in Gänze strafpunktfrei geblieben war, nährte die Hoffnung auf ein Ende der Durststrecke. Bei den letzten vier Spielen holte die deutsche Equipe lediglich 2016 in Rio Bronze, im Einzel gingen die Reiter immer leer aus. Kukuks Checker und Vogels United Touch hatten jeweils am vorletzten Hindernis eine Stange abgeräumt, Weishaupt blieb als Einziger ohne Fehl und Tadel. „Zwei Flüchtigkeitsfehler, keine Reiterfehler“, analysierte Otto Becker. „Wenn man hier für Deutschland an den Start geht, ist die Erwartungshaltung, dass wir eine Medaille mit nach Hause bringen“, sagte Vogel konsterniert: „Das waren wir glaube ich Deutschland schuldig. So fühlte es sich für uns jedenfalls an.“

    Die Deutschen haderten damit, dass sie „am Vortag vielleicht zu gut waren“, wie es Philipp Weishaupt formulierte, denn: „Der Springsport mit diesem Reglement ist brutal, wie sehr es von vorne nach hinten gehen kann.“ Seit Tokio 2021 starten nicht mehr vier Reiter, von denen das schlechteste Ergebnis gestrichen wird, sondern nur noch drei. Niemand darf sich einen Fehler leisten. Der Gedanke dahinter: anderen Ländern im Vergleich zu den in Europa und Nordamerika verwurzelten Pferdesportnationen eine Chance zu geben. „Wären beide Umläufe gezählt worden, hätten wir Gold geholt“, sagte Weishaupt. „Stattdessen qualifizieren sich Engländer und Franzosen so gerade eben“ und holen sich dann die Medaillen. „Es ist maximal spannend, aber auch maximal deprimierend.“

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    Auch Otto Becker erklärte, noch am gleichen Tag könnten bei einem weiteren Wettbewerb die Medaillen an drei andere Nationen vergeben werden. Das ist die Hoffnung für Montag, wenn sich Kukuk, Vogel und Weishaupt unter 75 Reitern für das 30er-Finale tags darauf qualifizieren wollen. Die Motivation sei bei allen wieder schnell da, glaubt der Bundestrainer: „Sie haben hier ihre Weltklasseleistungen im Vorfeld allesamt bestätigt.“

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