Paris. Das Publikum in Paris gibt den Olympischen Spielen nach Corona ihre Seele zurück. Alle lieben Beachvolleyball am Eiffelturm.

Die Magie der Olympischen Spiele verzaubert die Menschen vor allem am Abend. Wenn sich am Champ de Mars die Sonne senkt, streckt sich der Eiffelturm unmittelbar daneben noch mal ein Stückchen mehr in ein buntes Farbenspiel am Himmel. Beginn der Abend-Session beim Beachvolleyball. Party-Mucke bollert aus den Lautsprechern, die Hände der 13.000 Zuschauerinnen und Zuschauer klatschen im Takt. Auf der 330 Meter hohen Très-magnifique-Skala – so hoch misst das Wahrzeichen von Frankreichs Hauptstadt – ist der Höhepunkt erreicht. Paris wird dunkel, aber der Eiffelturm funkelt hell. Instagram wird geflutet mit Schnappschüssen, die selbst von Handys geschossen erscheinen wie ikonische Gemälde. Olympische Spiele sind ja Bilder-Spiele.

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Die Auslosung will es so, dass Laura Ludwig ihre fünfte Teilnahme an dem Spektakel mit einem Duell gegen ein einheimisches Pärchen startet. An der Seite von Louisa Lippmann unterliegt sie den Französinnen Alexia Richard und Lézana Placette mit 0:2. Wenn aus dem Mund der 38 Jahre alten Hamburgerin anschließend dennoch Worte wie „atemberaubend“ und „traumhaft“ und „genial“ sprudeln, kann das Beeindruckendste dieses Abends ohnehin nicht das enttäuschende Resultat für die Favoritinnen gewesen sein.

Olympia: Der schönste Strand Frankreichs liegt nicht an der Côte d‘Azur, sondern in Paris

Frankreichs bekannteste Strände liegen an der Côte d‘Azur, doch aus der Stadt der Liebe wird gerade der Sand der Liebe. Ganz ohne Meer. Aus annähernd so vielen wie den 206 Teilnehmer-Herkünften strömen die Menschen ins siebte Arrondissement, um am Champ de Mars beim vielleicht coolsten Event dieser Spiele dabei zu sein. Französinnen und Franzosen sind natürlich in der Überzahl und schenken ihren Lieblingen unvergessliche Momente. Jeder Punkt wird bejubelt wie ein Olympiasieg, ein unglaubliches Hörspiel. Frongkreisch, Frongkreisch.

Der französische Judoka Alpha Oumar Djalo verneigt sich vor den Fans.
Der französische Judoka Alpha Oumar Djalo verneigt sich vor den Fans. © Getty Images | Steph Chambers

Wenn „Allez les Bleus“ und die Nationalhymne „Marseillaise“ angestimmt werden, vibriert das Stahlgerüst unter den Füßen der Zuschauer. Ein sicheres Gefühl verleiht dann der Blick hinüber zum Eiffelturm, der sich mit seinem 135 Jahre alten Stahlkorsett durch nichts erschüttern lässt. Bürgermeisterin Anne Hidalgo will die fünf ineinander verschlungenen Ringe, 29 Meter breit und 15 Meter hoch sowie zwischen der ersten und zweiten Etage an der zur Seine gerichteten Seite befestigt, auch über den 11. August montiert lassen. Das Unesco-Weltkulturerbe wird zum Olympia-Kulturerbe.

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Die Arena gehört zum Denkwürdigsten, was der Fünf-Ringe-Orden an Schauplätzen für großen Sport und große Gefühlsausbrüche jemals bereitgestellt hat. „So einen schönen Centre Court zu haben und da spielen zu dürfen, mit solcher einer geilen Stimmung: Das ist etwas Besonderes“, sagt Louisa Lippmann und erntet zustimmendes Nicken ihrer Teamkameradin. Laura Ludwig muss es wissen: Sie gewann 2016 mit Kira Walkenhorst Gold an der Copacabana, dem Strand von Rio de Janeiro. In Paris entsteht ein so ohrenbetäubender Lärm, dass sich am nächsten Morgen, als sich die Hitze wie eine Käseglocke über die Stadt stülpt und kaum Luft herauslässt, Nils Ehlers nach seiner Sandpartie sagt: „Es war so laut, wir haben unser eigenes Wort nicht verstanden.“ Auch er und sein Partner Clemens Wickler haben es mit Franzosen zu tun. „Ich musste Clemens anschreien“, so Ehlers, ehe er mit einem Augenzwinkern ergänzt: „Aber er hört ja sowieso nicht auf mich.“ Leicht gesagt nach einem 2:0.

Olympia: Franzosen feuern Franzosen an - und die anderen Sportler auch

Die ersten Wettkampftage an der Seine verdeutlichen eines: Paris läutet eine Französische Evolution ein. Die Anhänger der Grande Nation sind im Weltsport dafür bekannt, ohne Rücksicht auf andere ihre Sportler nach vorne zu peitschen. Die dünnen „Deutschland, Deutschland“-Anfeuerungen am Champ de Mars wären in der Vergangenheit stillgebuht worden. Bei diesen Olympischen Spielen sind die Gastgeber mit Tausenden Kehlen für alle Franzosen – aber nie gegen deren Kontrahenten.

Frankreichs erster Olympiasieger bei den Spielen in Paris: das Rugby-Team.
Frankreichs erster Olympiasieger bei den Spielen in Paris: das Rugby-Team. © Getty Images | Cameron Spencer

Gold-Triumphe wie die der Rugbyspieler oder des neuen Schwimmstars Léon Marchand erhöhen die Leichtigkeit dabei. „Sie kam an, alle schrien, alle sangen“, sagen am Montag Yann und Léa mit blau-, weiß- und rotbemalten Gesichtern im „Parc des Champions“, als sich Pauline Ferrand-Prévot zur Mountainbike-Championesse kürt. In den Gärten des Trocadéro können bis zu 13.000 Menschen kostenlos ihre olympischen Helden bejubeln. „Sie war in Tränen aufgelöst. Ich glaube, sie hat es genossen – und wir auch.“

Zwölf Jahre zuvor prägte sich London mit seiner typischen britischen Fairness in die Herzen aller Teilnehmer und Zuschauer ein. 2024 will Paris auf der anderen Seite des Ärmelkanals einen ebenso perfekten Gastgeber geben. „Die Zuschauer haben Bock auf Olympia, Bock auf Sport“, sagt Dang Qiu. Der mehrmalige Tischtennis-Europameister aus Düsseldorf verspürt trotz seines frühen Aus‘ einen besonderen Geist: „Die Zuschauer zelebrieren hier alles: Sie feiern die Gewinner, aber auch die Verlierer und honorieren die Leistung.“ Ob beim Beachvolleyball am Eiffelturm, beim Reiten am Schloss Versailles, beim Fechten im beeindruckenden Grand Palais oder bei allen anderen Sportarten: Trotz der hohen Ticketpreise sind die Tribünen nahezu immer vollbesetzt. Lukas Märtens schwimmt vor 17.000 Zusehern zu Gold, die Basketball-Weltmeister spielen vor 27.000 Fans, Turner Lukas Dauser ist noch immer begeistert von der Atmosphäre bei der Qualifikation: „Wahnsinn, was da für eine Stimmung war, als wir in die Halle marschiert sind.“

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Olympia: Aufbruch aus den Problemspielen nach Corona

Mit der Begeisterung gibt Paris den Olympischen Spielen nicht weniger als ihre Seele zurück. Als der olympische Tross mit Tausenden Athleten, Trainern, Funktionären und Journalisten im Februar 2022 Peking verließ, ahnte die Welt bereits den unmittelbar anstehenden Angriff Russlands auf die Ukraine. Die Winter-Edition in China sollte allerdings auch eine Ära der Problemspiele mit zuletzt zwei Corona-Ausgaben beenden. In Tokio ein Jahr zuvor hatte es gar keine Zuschauer gegeben, in Peking dann immerhin einige trotz schärfster Hygieneschutzmaßnahmen. Mit einer gehörigen Portion Verstellungskunst mussten aber beide Spiele durchgedrückt werden. Wegen der gespenstigen Atmosphäre in Asien verabschiedete man sich am Ende mit leuchtenden Augen und den Worten: „Auf Wiedersehen in Paris“.

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Auch wenn einige Bewohner dem Trubel entflohen sind, haben sich die Stadt und die Olympischen Spiele bereits heftig ineinander verliebt. Céline Dion verzauberte bei der Eröffnungsfeier mit Edith Piafs „Hymne à l‘Amour“. Paris schreibt gerade am Text für die Hymne an den Sport.