Kienbaum. Das Trainingszentrum in Kienbaum ist einzigartig in Deutschland. Doch nicht nur die sportlichen Möglichkeiten machen den Wert aus.

Auf dem Weg in die Vergangenheit macht sich langsam ein Unbehagen breit. Mit jedem Meter weiter unter die Erde ein bisschen mehr. Das künstliche Licht ist schummrig, die Luft fühlt sich leicht verbraucht an. Der Gedanke, dass die Sportgeräte, die überall hier herumstehen, einst von Hochleistungsathleten bis zum Erbrechen malträtiert wurden, erweckt immer noch Mitgefühl.

Lesen Sie auch: Diese Innovationen entfesseln die Kräfte der Sportler

Was heute ein wenig anmutet wie ein Folterstudio, war früher ein Staatsgeheimnis. In der unterirdischen Unterdruckkammer in Kienbaum am östlichen Rand von Berlin legte die Sportführung der DDR einen Teil der Grundlagen für unzählige olympische Goldmedaillen. Inzwischen dient die Anlage als Museum, drumherum bereiten sich überirdisch aber noch immer viele Athleten auf ihre Höhepunkte vor in dieser ganz besonderen Kaderschmiede.

Einige Athleten schauen Olympia-Start in Kienbaum am TV

Mit einigen davon will Klaus-Peter Nowack am Freitag die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris verfolgen. Leichtathleten und Sportgymnasten sind noch da, holen sich den letzten Schliff, bevor auch sie nach Frankreich reisen. „Das ist ein kleines olympisches Dorf, ein sehr guter Rückzugsort für die Spitzenverbände, um sich wirklich intensiv auf bestimmte Trainingsinhalte zu konzentrieren, um sich zu fokussieren“, erzählt der Geschäftsführer. Es wird sein letzter Arbeitstag.

Die Kunstturnhalle in Kienbaum zählt zum Modernsten, was der Sport zu bieten hat.
Die Kunstturnhalle in Kienbaum zählt zum Modernsten, was der Sport zu bieten hat. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Danach geht er in den Ruhestand. „Ich kann loslassen, es aber wird noch ein paar Tage wehtun“, sagt Nowack. Er hat viel aufgebaut in Kienbaum, stand fast ein Vierteljahrhundert in der Verantwortung. Rund 100 Olympiasieger bereiteten sich in dieser Zeit dort vor, viele davon wurden durch etliche Aufenthalte im Olympischen und Paralympischen Trainingszentrum für Deutschland, wie die Anlage mittlerweile heißt, geprägt.

Moderne Anlagen für viele Sportarten stehen in Kienbaum

Für viele war und ist es ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. „Das sind die besten Bedingungen, die man haben kann“, sagt etwa Turn-Weltmeister Lukas Dauser. Die Kunstturnhalle in Kienbaum gehört mit ihren 24 Kamerastandorten zu den modernsten Trainingsanlagen der Welt. Gleiches gilt für die Judohalle, die Volleyballer schwärmen. Für die Leichtathleten steht eine Halle mit Messplatzsystemen zur Verfügung, die einmalige Möglichkeiten für Video- und Kraftanalysen bietet.

Kanute Max Lemke auf dem Weg zum Training in der weitläufigen Anlage von Kienbaum.
Kanute Max Lemke auf dem Weg zum Training in der weitläufigen Anlage von Kienbaum. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

In Deutschland gibt es keine zweite Anlage für den Spitzensport wie Kienbaum. „Es wurde versucht, für jede Sportart bestmögliche und wettkampfadäquate Hallen zu schaffen“, erzählt Nowack. Auf dem weitläufigen Gelände am Liebenberger See, auf dem alles für den Kanurennsport hergerichtet ist, verteilen sich Unterkünfte für über 400 Athleten, 23 Sportanlagen gibt es, elf Seminar- und Tagungsräume, 14 Einrichtungen für Regeneration und medizinische Betreuung. Zum Trägerverein, in dem der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) eine Hauptrolle spielt, gehören 16 Sportfachverbände.

Lesen Sie auch: „Kein Mensch weiß so richtig, was da passiert“

Die olympischen Ringe an der Mensa und das riesige „Team D“-Schild erinnern ständig an die Mission. „Ich habe sehr gute, konstruktive, aber auch schwere Phasen hier gehabt“, blickt Diskus-Olympiasieger Robert Harting zurück, der sich noch immer für Kienbaum engagiert und die Entwicklung über die Jahre hervorhebt: „Hier waren sehr viele alte Strukturen. Alle haben dafür gesorgt, dass dieses Trainingszentrum in die Neuzeit kommt.“ Etwa 85 Millionen Euro investierte das für Sport zuständige Bundesinnenministerium als Hauptgeldgeber in Nowaks Amtszeit.

„Es wurde versucht, für jede Sportart bestmögliche und wettkampfadäquate Hallen zu schaffen.“

Klaus-Peter Nowack
Geschäftsführer

Früher genoss die Anlage noch viel speziellere Aufmerksamkeit seitens der Politik. In der DDR hatte Kienbaum eine äußerst hohe Priorität, weil Auslandsreisen zum Training kaum stattfanden. Deshalb wurde unter anderem die Unterdruckkammer 1979 eröffnet, um Höhentraining zu simulieren. Bis zu mehreren Tagen verbrachten die streng abgeschirmten Spitzensportler ohne Tageslicht in dem mit Technik vollgestopften, beklemmend anmutenden Bunker und erweiterten ihre Leistungsgrenzen.

Klaus-Peter Nowack (l.) übergibt den Chefposten an Martin Rieprecht.
Klaus-Peter Nowack (l.) übergibt den Chefposten an Martin Rieprecht. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Bis zu 230 Mitarbeiter gab es damals in dem Komplex. „In der DDR spielte Kienbaum eine andere Rolle“, sagt Nowack, der 61 Angestellte an seinen Nachfolger Martin Rieprecht übergibt. Dass die gesamte Anlage mit ihrer auf den Spitzensport ausgerichteten Infrastruktur trotz ihrer DDR-Vergangenheit auch in der Zukunft wichtig werden könnte, lag auf der Hand. „Es gab einige Verbände, die den Nutzen sofort erkannt haben: Kanu, Turnen und Leichtathletik“, so Nowack.

Die Sportler schätzen die familiäre Atmosphäre in Kienbaum

Trotzdem lag vieles zunächst jahrelang brach im Ringen um Eigentumsverhältnisse und Zuständigkeiten. Erst 1997 mit der Definition als Bundesleistungszentrum begann die Sanierung und Erweiterung der Anlage, deren Anfänge im Jahr 1952 liegen. Heute glänzt Kienbaum mit hohen Standards, vielen Gebäudekomplexen, auf denen etliche Wege wie ein Labyrinth wirken und in stetig neue Hallen führen. Als „Top-Trainingszentrum, das in Deutschland, Europa und der Welt bekannt ist“, bezeichnet Olaf Tabor, Vorstand Leistungssport im DOSB und Chef de Mission in Paris, die Anlage.

In der Unterdruckkammer wurde zu DDR-Zeiten das Höhentraining simuliert. Heute dient sie als Museum.
In der Unterdruckkammer wurde zu DDR-Zeiten das Höhentraining simuliert. Heute dient sie als Museum. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Deutschlands Sportelite weiß das zu schätzen, was sie vor den Toren Berlins vorfindet. Die waldreiche Gegend, der See haben etwas von einer Idylle. Doch die Tage in Kienbaum tun auch oft weh, denn ablenkungsfreies, sehr intensives Training steht im Mittelpunkt. Viele Sportler sind quasi Dauergäste während ihrer Karriere. Die meisten fühlen sich in guten Händen, woran Klaus-Peter Nowack und sein Team großen Anteil haben. „Kienbaum ist wie eine Familie für mich“, sagt Lukas Dauser. Und Gold wert für den deutschen Sport.