Essen. In 100 Tagen beginnt die Fußball-Europameisterschaft 2024. Von EM-Fieber ist in Deutschland aber noch nicht viel zu spüren.
Wie das Maskottchen der Europameisterschaft 2024 heißt, hat sich noch nicht in Deutschland herumgesprochen – und überhaupt: Wer sich 100 Tage vor dem Start in die Fußball-EM um einen Stimmungstest bemüht, bekommt als Reaktion ein Schulterzucken oder eine Rückfrage mit einer Prise Überraschung in der Stimme: „Wie, nur noch 100 Tage?“ Am 14. Juni um 21 Uhr beginnt mit dem Spiel zwischen Deutschland und Schottland die EM, knapp über drei Monate dauert es nur noch. Knapp über drei Monate bis zum nächsten Sommermärchen?
Noch kleinere EM-Umbauarbeiten in Dortmund und München
Bei neun Grad, dichter Bewölkung und Nieselregen an fröhlich tanzende Menschen in kurzen Klamotten im Hochsommer zu denken, fällt schwer. Und die EM spielt sich aktuell eher im Kleinen oder digital ab. Andreas Rettig, Geschäftsführer des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), eröffnete vor einigen Tagen in Wolfsburg im Rahmen des EM-Programms eine Kinderfußball-Tour des DFB. „Wir hoffen auf zufliegende Herzen und Begeisterung, auf eine positive Stimmung“, sagte er.
Sätze wie diese sind so allgemein formuliert wie möglich, routiniert abgespulte Floskeln. So routiniert, wie in den Städten die EM-Vorbereitung läuft. Mit Ausnahme von Düsseldorf waren alle Städte und Vereine schon 2006 Ausrichter, haben seitdem zahlreiche Länder- und Europapokal-Spiele organisiert. Ein paar kleinere Arbeiten müssen hier und da noch erledigt werden – die Allianz-Arena in München und der Dortmunder Signal-Iduna-Park erhalten beispielsweise eine größere Medientribüne. Aber auch diese EM-Baustellen sind noch nicht jetzt sichtbar, sondern erst nach dem letzten Heimspiel von FCB und BVB.
In den zehn Städten besonders im Fokus stehen die Botschafter der Stadt, in Berlin zum Beispiel Kevin-Prince Boateng, in Hamburg der Football-Experte Patrick Esume. In Gelsenkirchen ist es Ex-Nationalspieler Gerald Asamoah, der das Sommermärchen 2006 als Spieler miterlebt hatte und besonders gut vergleich kann. Asamoah sagt ehrlich: „Aktuell ist die EM noch sehr weit weg. Auch die Fans sind, so ist mein Eindruck, noch nicht so im Thema, weil der Fußball-Alltag aktuell mehr hergibt.“
Während der EM wird Asamoah nicht nur alle Spiele in Gelsenkirchen besuchen, sondern einige geplante Fantreffen. Die gibt es genauso wie Fanmeilen und Public Viewings in den zehn Ausrichter-Standorten. Berlin beispielsweise erwartet vom 14. Juni bis 14. Juli rund 2,5 Millionen Fans in Berlin erwartet, darunter 1,9 Millionen Besucher aus 120 Ländern. Das Brandenburger Tor soll in ein Fußballtor verwandelt werden, die Straße des 17. Juni wird eine Fanmeile. Dort und am Reichstag sind zahlreiche Kultur- und Entertainment-Angebot geplant. Pläne, die in den Stadtarchiven lagen – 2006 sah das ähnlich aus.
Schottland, Ungarn, Schweiz: Nagelsmann im EM-Losglück
Und wie lief es vor 18 Jahren sportlich? 100 Tage vor der WM 2006 war Deutschlands Fußball-Welt gerade zusammengebrochen, Deutschland hatte nach grauenvoller Leistung ein Länderspiel in Italien mit 1:4 verloren. Ganz so schlimm ist die Lage jetzt nicht, wenngleich der Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann ähnlich wenig der Titel zugetraut wird. Das weiß auch Nagelsmann selbst. „Die A-Nationalmannschaft liegt seit Jahren sportlich am Boden. Da war zuletzt nichts dabei, was die Hoffnung nähren könnte, dass wir ins Halbfinale kommen“, sagte er in einem Kicker-Interview.
Asamoah kommt diese Situation sehr bekannt vor – und weil er ein großes Turnier in der Heimat erlebt hat, zählt er trotz der sportlichen Delle Deutschland zum Favoritenkreis. „Ich habe 2006 erlebt, was die Fans bei einer Mannschaft auslösen können, wenn sie so hinter dir stehen wie damals. Vor der WM hat uns niemand etwas zugetraut, am Ende haben wir es fast bis ins Finale geschafft. Ich würde Deutschland nicht abschreiben“, sagt er. Am ehesten hat er aber Spanien, Frankreich und England auf dem Favoritenzettel stehen, gibt er auch zu. Und bei seinen Kindern sei ein anderer Spieler gefragt. „Die fragen mich immer nach Tickets für das Portugal-Spiel in Gelsenkirchen. Die wollen Ronaldo sehen.“
Rund 2,7 Millionen EM-Tickets standen zum Verkauf
Nicht nur Asamoahs Kinder wünschen sich Tickets. In zwei Verkaufsphasen standen online rund 2,7 Millionen Tickets zum Verkauf - und die Nachfrage überstieg das Angebot deutlich. Ende März will die Uefa eine Wiederverkaufs-Plattform anbieten. „Ich würde mir wünschen, dass von dieser EM ein positiver Effekt ausgeht, vor allem in den Köpfen“, sagte Andreas Rettig. Aktuell hatte die EM aber noch gar keinen spürbaren Effekt – nicht einmal auf den Bekanntheitsgrad des Maskottchens. Das heißt übrigens Albärt.
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