Las Vegas. Christian McCaffrey kann im Super Bowl der entscheidende Mann für die San Francisco 49ers sein – und eine Tradition aufrecht erhalten.
Langsam war Christian McCaffrey ohnehin nie. Aber die Worte schießen nun aus ihm heraus wie ein Sprinter aus dem Startblock zu Beginn eines 100-Meter-Laufes. Der 27 Jahre alte Football-Star der San Francisco 49ers sitzt auf einem Podium im Hilton Lake Las Vegas, von dem aus in 30 Kilometern Entfernung die dank Abermillionen von LEDs glitzernde Skyline der Glücksspielmetropole zu sehen ist. Vor ihm weit mehr Kameras als Gegner, die ihn sonst auf dem Footballrasen umreißen und zu Fall bringen wollen. Wenn er denn nicht am Sonntag mit den Niners gegen die Kansas City Chiefs den Super Bowl gewinnen könne, wird er gefragt, welcher Triumph würde ihn sonst reizen? Christian McCaffrey reißt die Augen auf und sagt sogleich: „Die Goldmedaille über 100 Meter zu gewinnen, der schnellste Mann der Welt zu sein – das wäre fantastisch.“
Super Bowl: Christian McCaffrey kann es Vater Ed nachmachen
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Christian McCaffrey wird es verkraften, mit der Vince Lombardi Trophy statt Olympia-Gold Vorlieb zu nehmen, sollte er mit seinen Niners von Sonntag auf Montag (0.30 Uhr deutscher Zeit/RTL) den Titelverteidiger Kansas City bezwingen. Der Runningback der Kalifornier könnte auch auf diese Weise das Familienmotto der McCaffreys leben, das da heißt: Süchtig nach Geschwindigkeit. Sein Opa Dave Sime war 1960 im 100-Meter-Olympiafinale in Rom nur hauchdünn Armin Hary unterlegen; sein Vater Ed holte als flinker Wider Receiver mit den Niners (1995) sowie den Denver Broncos (1998 und 1999) dreimal den die Lombardi-Trophäe. „Ich habe meinen Vater im Fernsehen den Super Bowl gewinnen sehen – es ihm nachzumachen, wäre unglaublich.“
Für Christian McCaffrey war es die goldrichtige Entscheidung, den Weg der Football-Karriere einzuschlagen und im Oktober 2022 von den Carolina Panthers zu den Goldhosen in San Francisco zu wechseln. Schon bei der ersten NFL-Station war er ein Ausnahmespieler, der immer einen Ausweg fand, mit den Füßen von links nach rechts fitschte, wenn sich vor ihm Menschenberge auftaten und das Sonnenlicht verschwand. 1459 gelaufene Yards mit 14 Touchdowns in dieser Saison, dazu sieben gefangene Würfe in die Endzone, Rekorde wie die meisten Spiele in Serie mit einem Touchdown (17) haben den 1,85 Meter großen und 95 Kilogramm schweren Athleten nun auch zu einem der produktivsten Stars seines Sports werden lassen. McCaffrey trägt das Ei in einer Art, die ihn eines Tages wohl in den Kreis der besten Runningbacks der Geschichte – Jim Brown, Walter Payton, Barry Sanders und Emmitt Smith – vorstoßen lassen wird. Am Donnerstagabend wurde er als Offensivspieler des Jahres ausgezeichnet.
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Super Bowl: McCaffrey will auch die Chiefs-Abwehr durchbrechen
Als seine Bestzeit über 100 Meter gibt Christian McCaffrey 10,5 Sekunden an – schnell, aber nicht schnell genug für eine verheißungsvolle Karriere als Sprinter. „Wenn du auf College-Level läufst, aber Olympia-Level erreichen willst, ist das noch mal eine andere Sorte von Geschwindigkeit. So ist das in allen Sportarten. Leute sagen: Oh, ich kann auch Profi-Footballer oder Profi-Basketballer werden. Nein, das ist einfach falsch.“ Denn hinter seinem Speed, mit dem er durch die gegnerischen Verteidigungsreihen prescht, steckt viel Arbeit: „Du bist schnell, wenn du weißt, was du tust. Speziell mit deinen Füßen. Du kannst unglaublich schnell sein, wenn dir schon exakt klar ist, was als nächstes passiert, damit du deine Augen darauf richten kannst, was die Verteidiger dir antun möchten.“
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Eine Qualität, die er sich bei seinem Vater Ed und seiner Mutter Lisa, früher als Fußballerin erfolgreich, abgeguckt hat. Beide mussten flink sein, den Rausch der Geschwindigkeit nennt Christian McCaffrey daher genetisch weitergegeben. Denn Sprint-Training sei für den Vater existenziell gewesen, „viele haben ihn früher als langsam bezeichnet. Das hat er sich zu Herzen genommen, er ist dann so schnell geworden, wie er nur konnte.“ Und die Geschwindigkeitsgene reichen noch weiter zurück. Hin zu Dave Sime, seinem Großvater mütterlicherseits, den er aber nie Opa nannte, sondern immer nur Dave. „Ich erinnere mich, dass Dave sehr schnell war“, sagt Christian McCaffrey in Las Vegas, ist bei diesem Thema aber sehr kurz angebunden.
Super Bowl: McCaffreys Opa im großen Olympia-Rennen mit Armin Hary
Mit Dave Sime konnten in den 50er-Jahren nur wenige auf der Laufstrecke mithalten: „Supermann auf Spikes“ nannte ihn das Magazin Sports Illustrated. Als schnellster Mensch der Welt kam Dave Sime 1960 zu den Olympischen Spielen. Im Finale auf der Römer Asche fand sich der damals 24-Jährige auf Bahn eins wieder – und lieferte sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Armin Hary, dem Deutschen auf der Bahn sechs. Für beide wurden 10,2 Sekunden gemessen, das Foto-Finish sah den „weißen Blitz“ aus der Bundesrepublik hauchdünn vorne. Vielleicht spricht Christian McCaffrey nicht allzu gerne über ihn, weil sein Großvater auch noch im Auftrag von Uncle Sam unterwegs war in Italien: Der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA hatte Dave Sime rekrutiert und ihm eingetrichtert, er solle den sowjetrussischen Hochspringer Igor Ter-Ovanesyan überreden, die Seiten zu wechseln und überzulaufen.
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Es blieb eine kurze Agentengeschichte. Dave Sime wurde ein angesehener Augenarzt, zu dessen Patienten sogar der frühere US-Präsident Richard Nixon zählte. Und er schaute gerne seinem Enkel Christian am Fernseher zu, wie der für die Universität von Stanford die Football-Gegner in Grund und Boden rannte. Snowball – Schneeball – nannte er ihn dabei, denn „Christian ist nicht extrem groß und startet eher langsam“, so der 2016 im Alter von 79 Jahren verstorbene Dave Sime. „Aber wenn er einmal in Fahrt kommt, wird er größer und größer, schneller und schneller.“
So schnell, dass im Super Bowl womöglich niemand mit Christian McCaffrey Schritt halten kann.