Köln. Jedes Spiel ist nun ein Endspiel! Die deutschen Handballer treffen an diesem Donnerstag auf Island – Heimat des Bundestrainers.

Der Zugbegleiter hatte die deutschen Handballer bei der Abfahrt vom Berliner Hauptbahnhof freudig begrüßt, und als der ICE knapp fünf Stunden später in Köln einrollte, war der Sehnsuchtsort erreicht: Die Domstadt am Rhein, Heimat der Lanxess-Arena, die nicht nur von Rechtsaußen Timo Kastening als „das Mekka des Handballs“ bezeichnet wird. „Aus meiner Sicht schlägt Köln nichts. Ich habe so viele schöne Momente in Köln gehabt, die möchte ich weiter ausbauen“, sagte auch Bundestrainer Alfred Gislason.

Köln – das ist Begeisterung, knapp 20.000 Zuschauer werden in den kommenden Tagen zu den EM-Hauptrundenspielen erwartet. Köln ist auch voller Erinnerungen, in der Halle in Deutz wurden große Erfolge gefeiert. Der Weltmeistertitel 2007 zum Beispiel. Und auch Alfred Gislason begoss hier zwei Champions-League-Triumphe als Trainer des THW Kiel.

Köln, das ist – so kitschig es klingen mag – fast schon so etwas wie die Heimat des deutschen Handballs.

Handball-EM 2024: Zum Siegen verdammt

Mit der Heimat ist das aber manchmal so eine Sache. Alfred Gislason hat gleich mehrere. Seinen Hof bei Magdeburg, die Wohnung in Berlin. Und natürlich: Island. Diesen rauen Fels an der Grenze zwischen dem Nordatlantik und Arktischem Ozean, auf dem er geboren wurde und aufwuchs. Auf dem er zum Nationalspieler wurde und seine Trainerlaufbahn begann. Das Land, dem er an diesem Donnerstag im ersten Hauptrundenspiel gegenüberstehen wird (20.30 Uhr/ZDF/DYN).

Es wird also eine besondere Partie sein. Sportlich, weil das deutsche Team zum Siegen verdammt ist. Vier Spiele stehen nun im Zwei-Tages-Rhythmus an, nach Island geht es gegen Österreich (Samstag), Ungarn (Montag) und Kroatien (Mittwoch). Durch die 30:33-Niederlage zum Vorrunden-Abschluss gegen Frankreich geht es ohne Pluspunkte in die zweite Turnierphase. Eine Bürde mit Blick auf das große Ziel, die Halbfinal-Teilnahme. Auch Gislason weiß: „Jede Niederlage kann das Turnier-Aus bedeuten.“ Jedes Spiel ist jetzt ein Endspiel!

Handball-EM 2024: Noch ist das Halbfinale in Sichtweite

Deutschlands Juri Knorr im Duell mit Frankreichs Luka Karabatic.
Deutschlands Juri Knorr im Duell mit Frankreichs Luka Karabatic. © firo Sportphoto/dppi | Piotr Matusewicz

Als der Zug schließlich in Köln einrollte, lag der Fokus längst wieder auf dem kommenden Gegner. Abgehakt war die Pleite vom Dienstagabend gegen Frankreich, bei der das deutsche Team nach phänomenalem Start gut mitgehalten hatte, sich in den Schlussminuten aber der individuellen Klasse der Franzosen beugen musste. Dabei wusste das deutsche Team lange zu begeistern. Durch unbändigen Willen, schöne Tore durch Juri Knorr, mit 24 Treffern derzeit bester Torschütze des Turniers, und eine beherzte Abwehrleistung. Gegen Frankreich zu verlieren sei kein Weltuntergang, befand deshalb Torwart Andreas Wolff. Noch habe man ja alle Chancen, ins Halbfinale einzuziehen. Die Isländer sind auf diesem Weg nun die erste Hürde. Und auch sie stehen in der Bringschuld.

Nach dem enttäuschenden Vorrunden-Ende mit dem 25:33 gegen Ungarn sieht Nationaltrainer Snorri Steinn Gudjonsson das Spiel gegen die Deutschen als „eine Charakterfrage“. Den Fans in Island sei die Mannschaft um die hochklassige Rückraum-Achse Gisli Kristjansson und Omar Ingi Magnusson vom Champions-League-Sieger SC Magdeburg schließlich eine kämpferische Leistung schuldig. Unter diesen Fans auch: die Familie von Alfred Gislason.

Handball-EM 2024: Alfred Gislasons Familie ist vor Ort

Handball-Bundestrainer Alfred Gislason.
Handball-Bundestrainer Alfred Gislason. © firo Sportphoto/dppi | Piotr Matusewicz

Alfred Gislason ist Sohn, Neffe, Vater, Großvater, Bruder und Cousin. 52 Mitglieder zählt seine isländische Großfamilie. Sein Vater, seine Brüder und Onkel werden auf den Zuschauerrängen in Köln sitzen und sie werden vor dem Spiel die isländische Nationalhymne singen. Und Alfred Gislason? Seit über 30 Jahren lebt er inzwischen in Deutschland, wegen seiner ungewöhnlichen Pünktlichkeit werde er in der Heimat ohnehin schon fast als Deutscher angesehen. „Ich bin zwar Isländer, aber ich arbeite mit dieser Mannschaft. Und ich liebe diese Mannschaft“, stellte er klar. Er werde es machen wie vor einem Jahr bei den beiden Testspielen gegen Island: Da sang er beide Hymnen. Nur bei seinen Verwandten sei er „sehr gespannt, ob sie in deutschen Trikots oder isländischen“ in die Halle kommen, „und auf welcher Seite sie diesmal sind“.

Für den Bundestrainer ist die Sache klar, auch wenn er die gegnerischen Spieler kennt, einige einst selbst trainierte. „Ich werde alles dafür tun, meinen Beitrag zu leisten, dieses Spiel zu gewinnen. Das kann ich garantieren.“ Das wird auch der Schaffner auf der ICE-Fahrt mit Freude vernommen haben. Kurz vor dem Zwischenstopp in Hannover hatte er sich ja noch einmal zu Wort gemeldet. Er wünsche der „Handball-Nationalmannschaft ein siegreiches Spiel und viel Erfolg“.