Berlin. Der plötzliche Tod von Präsident Kay Bernstein erschüttert den blau-weißen Hauptstadtklub. Sein Berliner Weg wird bleiben.

Kay Bernstein saß auf der Tribüne und blinzelte in die Sonne. Vor ihm spielte Hertha BSC gerade gegen die Glasgow Rangers. Das letzte Testspiel im Trainingslager im La Manga Club Resort in Spanien am vergangenen Sonnabend. Ein anerkennendes Klatschen für Pascal Klemens. Ein Beschwerderuf Richtung Schiedsrichter. Und am Ende ein zufriedener Blick. Auf die Partie. Auf den Rückrundenstart. Auf die Zukunft seines Herzensvereins.

Am Dienstag verstarb der Präsident des Berliner Fußball-Zweitligisten.Plötzlich und unerwartet im Alter von 43 Jahren. Am Montagabend war er ins Bett gegangen. Am Dienstagmorgen nicht mehr aufgewacht. Tragisch, unbegreiflich, erschütternd. Er hinterlässt seine Frau Eileen und eine Tochter.

Kay Bernstein hat Hertha BSC wieder vereint

Für Hertha ist das ein Verlust, der kaum in Worte zu fassen ist.Im Juni 2022 zum Präsidenten gewählt, hatte sich Bernstein das Ziel gesetzt, den Verein wieder zusammenzuführen. Nach Jahren der Misswirtschaft, nach negativen Schlagzeilen und mit dem Image des Skandalklubs hatte der Berliner eine Herkulesaufgabe vor sich.

Hinzu kamen die vielen kritischen Stimmen, die einem wie ihm diesen verantwortungsvollen Posten gar nicht zutrauten. Einem wie ihm. Einem Jungen aus der Kurve. 1980 in Marienberg in der DDR geboren, aufgewachsen in Dresden, 1988 nach Berlin-Marzahn gezogen. Anfang der 90er-Jahre entdeckte Bernstein seine Liebe zu Hertha. 1998 gründete er die Ultragruppe Harlekins mit, war deren Vorsänger und verpasste kaum ein Spiel des blau-weißen Hauptstadtklubs.

Nach seiner Wahl trifft Fußballromantik auf Millionen-Business

Seine Verbindungen in die Ultra-Szene waren Fluch und Segen zugleich, als er sich vor eineinhalb Jahren an die Vereinsspitze wählen ließ. Die Unterstützung seiner alten Verbündeten war enorm. Doch die Beinamen Ultra- oder Pyro-Präsident wurde er dadurch erst recht nicht los.

Die ersten Monate im Amt kamen einem Realitätscheck gleich. Seine fußballromantischen Pläne hielten dem Alltag in diesem Millionen-Business nicht stand. Das wurde allen Beteiligten vor Augen geführt, als mit „777“ ein US-Unternehmen die Anteile von Lars Windhorst übernahm. Der Traum von einem Verein ohne Investor blieb unerfüllt.

Genau wie eines seiner Wahlvorhaben. Wettanbieter als Sponsoren sollte es unter Präsident Bernstein nicht mehr geben. Die „dreckige Sportwetten-Kohle“, wie es in seinen Plänen zur Kandidatur zu lesen war, wollte Bernstein aus dem Hertha-Kosmos verbannen. Im Sommer 2023 wurde Crazybuzzer neuer Hauptsponsor der Berliner. Ein Sportwetten-Anbieter.

Bernstein ruft den Berliner Weg für Hertha BSC aus

Dafür musste er den einen oder anderen Seitenhieb aus der Kurve einstecken. Das eine oder andere Transparent lesen – so wie er sie früher geschrieben hat, wenn ihm die Entscheidungen der oberen Bosse nicht gepasst hatten. Dass die Lage aber nicht eskalierte, ist einzig und allein sein Verdienst.

Kay Bernstein hatte es innerhalb kürzester Zeit geschafft, den zerrütteten Chaosklub und die eigenen enttäuschten Fans wieder zusammenzuführen. Vergessen waren Szenen, in denen Spieler ihre Trikots vor der Ostkurve ablegen mussten. Stattdessen gab’s Support – selbst nach dem besiegelten Abstieg im Mai 2023.

Es ist ein in Europa einzigartiger Weg, den Bernstein und Hertha gut 19 Monate gemeinsam gegangen sind. Ein Ultra, der einen Profifußballklub so führt, wie er ihn als Fan lieben gelernt hat. Mit reichlich Hertha-DNA, mit Berlinern, die mit Stolz das Trikot mit der Fahne auf der Brust tragen, mit Menschen, die sich voll und ganz mit ihrem Verein identifizieren.

Seine blau-weiße Trainingsjacke wurde Kult

Fredi Bobic passte da ebenso wenig ins Bild wie etliche andere Angestellte, die unter dem Deckmantel der finanziellen Schieflage gehen mussten. Was dem einen wie der Verlust von Professionalität erschien, war für den anderen die Rückeroberung des eigenen Vereins.

Selbst intern war Bernstein nicht unumstritten. Einigen gefiel seine Art der Mitarbeiterführung nicht, andere hatten das Gefühl, dass ihre Sichtweise nicht gehört wird. Und trotzdem blieb es ruhig. Das oberste Ziel des Präsidenten: Meinungsverschiedenheiten untereinander auszutragen. Nicht – wie nur allzu oft in der Vergangenheit – öffentlich. Auch das war für ihn der Berliner Weg. Ein Konzept, dessen Erfolg erst die Zukunft zeigen wird.

Eine Zukunft, die Bernstein nicht mehr erleben darf. Seinen Freunden wird er als Kay aus der Kurve in Erinnerung bleiben, vielen Fußballfans als der Mann, der mit seiner blau-weißen Trainingsjacke das verstaubte Image eines Vereinspräsidenten aufbrach.

„Zeit ist der Faktor, mit dem wir nicht planen können“

Er scheute sich nicht, das System Profifußball immer wieder zu hinterfragen und zu kritisieren.Die 50+1-Regel war trotz der Investoren im eigenen Haus für Bernstein nicht verhandelbar. Soziales Engagement lag ihm am Herzen, immer ein Ohr an der Fan-Basis. Er hörte zu und wurde gehört. Er war streitbar, aber vor allem nahbar und authentisch.

Als Kay Bernstein in der vergangenen Woche ins Trainingslager seiner Herthaner reiste, unterhielt er sich am Rande immer wieder mit seinen Kollegen, mit den Fans – und auch mit den Journalisten. Ein Satz ist dabei hängen geblieben. „Zeit ist der Faktor, mit dem wir nicht planen können.“ Ihm lief die Zeit zu schnell davon.

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