Frankfurt/Main. Bundestrainer Julian Nagelsmann ist vor seiner Premiere in den USA voller Tatendrang. Kritik an der Reise kann er aber dennoch nachvollziehen.
Julian Nagelsmann musste sich zunächst in Diplomatie üben. Am Montagvormittag stand der 36-Jährige lässig-locker, vor seiner Premiere als Bundestrainer aber voller Tatendrang am Frankfurter Flughafen. Schwarzes Hemd, schwarze Krawatte. Die Hände legte er in die Taschen der schwarzen Chinohose. Die weißen Sneaker glänzten. Alles sehr elegant und nicht mehr so modisch-schrill wie zu Bayern-Zeiten.
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Wenige Stunden später stieg Nagelsmann an Bord des Lufhansa-Fluges 422, der die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes nach Boston befördern sollte. „Aus Vereinstrainer-Sicht, da braucht man nicht herumlügen, ist es relativ normal, dass man der Reise kritisch gegenübersteht“, gestand Nagelsmann in einer Medienrunde. „Das wäre ich wohl auch, wenn ich noch im Verein wäre.“
DFB-Team: Zwei Testspiele mitten in der Saison
Mitten in der Saison für zwei Testspiele in die USA. Sechs Stunden beträgt der Zeitunterschied zur amerikanischen Ostküste. Am Samstag trifft die DFB-Elf in Hartford auf die USA (21 Uhr deutscher Zeit, RTL), drei Tage später folgt die zweite Partie in Philadelphia gegen Mexiko. Vereinsverantwortliche sowie Spieler fluchten über die höchstunglückliche Terminlegung. „Was ich persönlich extrem schade finde, ist, dass das zweite Spiel um 2 Uhr nachts deutscher Zeit angepfiffen wird. Das kann man nicht so wirklich nachvollziehen“, schimpfte Mittelfeldspieler Leon Goretzka, 28, von Bayern München.
In München hatte Nagelsmann schon viele Gelegenheiten, seine Feinfühligkeit unter Beweis zu stellen. Zuallererst natürlich gehörte die Leitung der Fußball-Mannschaft zu seinem Arbeitsbereich. Nagelsmann löste dies ordentlich, eine Meisterschaft steht nun ja immerhin in seiner Vita - was allerdings in der Mia-san-Mia-Welt der Münchener der Mindestertrag sein sollte, der im Frühjahr auf dem Marienplatz präsentiert wird. Weil weitere Pokale nicht dazukamen, verlor Nagelsmann seinen Job.
Entlassung von Nagelsmann: Uli Hoeneß bezeichnet sie als "nicht unbedingt klug"
Dabei hätte es Gründe gegeben, mit Nagelsmann weiterzumachen. Das gestand nun auch Uli Hoeneß, 71, der Nagelsmanns Absetzung als „nicht unbedingt klug“ bezeichnete. Der Ehrenpräsident meinte insbesondere die sportlichen. Dabei stand Nagelsmann doch für viel mehr. Der 36-Jährige gab mehrere Monate den Außenminister des zerstrittenen Klubs, auf dessen Führungsetage sich viele Charakterköpfe tummelten, die aber mehr gegeneinander als miteinander zu arbeiten schienen.
Nagelsmann musste auch mit verständnisvollen Worten zwischen der kritischen Fan-Szene, die auf ein Ende der lukrativen Sponsoring-Liaison mit Katar pochte, und den Vereinsbossen vermitteln. Und er moderierte die Corona-Themen ab, die die Bayern vor allem nervten, weil sich ausgerechnet Vorzeigeprofi Joshua Kimmich nicht impfen lassen wollte. Nagelsmann gewann an Profil.
Inzwischen hat Nagelsmann wieder einen Job, und die Aufgabengebiete sind nicht weniger geworden. Auch zu den großen gesellschaftlichen Themen wird der gebürtige Landsberger eher früher als später Stellung beziehen müssen, so gehört sich das als wichtigster Trainer des Landes, als Trainer der deutschen Nationalmannschaft.
Neuer DFB-Trainer spricht von einer großen Verantwortung
Nagelsmann trat am Montag mit einer zentralen Botschaft vor die Mikrofone: „Wir haben alle eine große Verantwortung, die wir auch spüren, den besten Fußball für Deutschland zu spielen. Demnach sollten wir die Zeit nutzen und positiv damit umgehen“, forderte er. Dieses Credo lässt sich auch auf den Trainer selbst herunterbrechen. Der 36-Jährige wandelt zwischen der Möglichkeit seines Lebens, die Nationalelf durch eine Heim-Europameisterschaft zu führen. Andererseits wirkt dieses Vorhaben wie ein Himmelfahrtskommando.
Seit der Weltmeisterschaft 2018 befindet sich die einstige Vorzeigeauswahl in einer Negativspirale. Zweimal schied sie in der WM-Vorrunde aus, auch das Abschneiden bei der Euro 2021 war enttäuschend. Nagelsmanns Vorgänger Hansi Flick vertrödelte viele Monate nach dem Debakel in Katar, als er verzweifelt eine Spielidee vermitteln wollte, was aber weder bei den Profis noch in der Öffentlichkeit ankam. Den geforderten Umbruch konnte Flick nicht vorantreiben, auch eine Achse war nie zu erkennen. Beim 1:4 gegen Japan im September war man am Tiefpunkt dieser Entwicklung angelangt.
Rudi Völler bringt Hoffnung auf ein ordentliches Turnier zurück
Erst Rudi Völlers Pragmatismus beim 2:1 gegen Frankreich, wohlgemerkt mit demselben Kader, brachte zumindest ein wenig Hoffnung auf ein ordentliches Turnier in acht Monaten zurück. Nagelsmann muss nun in Windeseile die Versäumnisse seines Vorgängers beheben. „Wir versuchen, schnellstmöglich Inhalte rüberzubringen und die erste Grundstruktur zu schaffen“, kündigte Nagelsmann an, er wolle „einen Grundstock für mehr Stabilität“ erarbeiten.
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Druck für Bundestrainer Nagelsmann? "Generell hab ich Spaß"
Spürt er Druck? „Generell habe ich Spaß am guten Fußball, das ist mein Anspruch“, konterte Nagelsmann. „Ich versuche, gar nicht so viel von außen an mich heranzulassen, sondern meinem eigenen Anspruch als Trainer gerecht zu werden. Ich glaube, es ist ein ganz wichtiger Faktor, sich über die Art wie wir Fußball spielen, zu definieren.“ Er wolle sich von den „medialen Dingen oder dem, was im Sommer ist, nicht triggern lassen“, unterstrich der Bundestrainer.
Zum Schluss noch mal Diplomatie. Zu Hoeneß' Lob wollte sich Nagelsmann gar nicht mehr großartig äußern, denn „es geht jetzt um die Zukunft“. Da merkte der 36-Jährige an, dass Hoeneß ihm dafür ja auch viel Glück gewünscht habe. „Das ist mehr Wert als die Vergangenheit.“