München/Essen. Hermann Gerland war bei den meisten der elf Titel in Serie des FC Bayern als Co-Trainer dabei. Ein Gespräch über Dominanz.
Hermann Gerland, 69, meldet sich am Morgen, eigentlich muss er auf die Enkelkinder aufpassen, doch der Bochumer nimmt sich die Zeit, um über den FC Bayern zu reden. Als Co-Trainer hat er den Beginn der Bayern-Dominanz miterlebt, die meisten der inzwischen elf Münchener Meisterschaften in Serie mit gewonnen. An diesem Freitag beginnt für den Rekord-Champion die neue Bundesliga-Saison mit einem Auswärtsspiel bei Werder Bremen (20.30 Uhr/Sat.1). „Oh, Mist, jetzt habe ich Brötchen auf den Herd gelegt, die sind angebrannt“, ruft Gerland mal zwischendurch. Aber hier soll es natürlich um Sportliches gehen, nämlich um die quälende Bayern-Herrschaft.
Was haben Sie und die Bayern der Liga nur angetan, Herr Gerland?
Hermann Gerland: Na ja, wir haben 2013 das Triple geholt, und dann mussten wir immer wieder neu anfangen, neu starten, nicht nachlassen – und das haben wir überragend gemacht, mit den verschiedensten Trainern.
Sie haben unter anderem mit Jupp Heynckes, mit Pep Guardiola, mit Hansi Flick zusammengearbeitet.
Hermann Gerland: Jupp Heynckes und Hansi Flick waren Menschenfänger, die haben die Spieler für sich eingenommen. Die Spieler wollten natürlich für sich gewinnen, für den Verein, aber auch für diese beiden Trainer. Die Stimmung in der Mannschaft blieb immer oben, jeder Spieler wurde informiert, warum er auf der Bank sitzt.
Wollten die Profis auch für Hermann Gerland gewinnen?
Hermann Gerland: Ach bitte, ich war doch nur ein ganz kleines Rädchen. Ich musste sehen, wer Probleme hatte, wem ich helfen konnte. Dafür war ich da.
Wem haben Sie denn geholfen?
Hermann Gerland: Ein Beispiel: Jerome Boateng gehörte zu den besten Verteidigern, doch er war immer nervös. Deswegen habe ich ihm vor jedem Spiel gesagt, wie gut er verteidigen kann.
Bei Boateng würde man eher denken, dass er immer cool bleibt.
Hermann Gerland: Manchmal meint man: Wenn man die Leute nur von außen sieht, dass das coole Typen sind. Aber Jerome war immer nervös. Ich habe ihn immer wieder daran erinnert, was er schon geleistet hat. Und natürlich haben wir die Talente, die wir in der Jugend gemeinsam ausgebildet haben, gepusht, gefördert. Thomas Müller hat mal zu mir gesagt: ,Tiger, was sagst du eigentlich nächstes Jahr?‘ Da habe ich geantwortet: ,Thomas, ich sage nächstes Mal wieder das gleiche, dass man nicht nachlassen darf. Wenn dir das nicht gefällt, dann kannst du zum VfL Bochum gehen. Ich habe da Kontakte hin, kann dich vermitteln. Dort darf man mal verlieren, hier nicht.‘
Hat der BVB durch die Erfolge 2012 die Bayern-Dominanz ausgelöst?
Hermann Gerland: Bei Bayern zählt nur die Meisterschaft, das ist keine Frage. Dortmund war damals verdient Meister. Ich komme aus der Region, ich weiß um die Schwierigkeiten. Ich kenne die Vorteile des FC Bayern, die hat er nicht geschenkt bekommen, er hat sich das hart erarbeitet. Ich wiederhole gerne, dass meine Mutter mir immer gesagt hat: ,Geld regiert die Welt.‘ Und Borussia Dortmund hat nicht die gleiche finanzielle Macht. Diesen Sommer musste der BVB in Person von Jude Bellingham seinen vielleicht besten Spieler abgeben. Und Bayern kauft einfach den besten Abwehrspieler Italiens und einen der besten Stürmer der Welt.
Min-jae Kim und Harry Kane.
Hermann Gerland: Das heißt, dass sie ihre ohnehin überragende Mannschaft noch einmal verstärkt haben. Wobei: In der vergangenen Saison hatten sie natürlich Glück, weil Dortmund gegen Mainz nicht gewonnen hat.
2012 hat der FC Bayern alle wichtigen Spiele verloren, auch das Champions-League-Finale im eigenen Stadion. Die Mannschaft hätte auch auseinanderbrechen können, oder?
Hermann Gerland: Aber Jupp Heynckes hatte unglaubliche Fähigkeiten, er hat die Mannschaft aufgerichtet, hat die Probleme angesprochen, über sie diskutiert. Außerdem haben wir Mario Mandzukic, Dante und Javi Martinez geholt.
Gab es nach 2013 ein Jahr, indem Sie dachten, diesmal wird es eng?
Hermann Gerland: Ich habe immer daran geglaubt, dass wir jedes Spiel gewinnen werden. Ich habe gesehen, wie sich die Trainer vorbereitet haben, wie die Besprechungen durchgeführt wurden. Ich habe die Qualität der Spieler gesehen. Wir hatten so viele Fußballer, die ein Spiel entscheiden konnten. Arjen Robben. Franck Ribéry. Mario Mandzukic. Thomas Müller. Das tägliche Training war mir wichtig. Wenn ich gesehen habe, wie ein Manuel Neuer hält, dann war ich glücklich. Oder wie Ribéry gedribbelt hat. Das war ein Hochgenuss für mich.
Thomas Tuchel hat Sie noch nicht angerufen, damit Sie zurückkehren?
Hermann Gerland: Nein, aber ich kann ja zur Säbener Straße kommen, und alle freuen sich. Doch ich habe jetzt auch etwas anderes zu tun. Ich bin Co-Trainer beim Deutschen Fußball-Bund, ich trainiere die Zehn- und Elfjährigen in Unterhaching immer dann, wenn ich Zeit habe. Es wäre schön, wenn einer von denen groß rauskommt.
Gab es bestimmte Münchener, die besonders motiviert waren?
Hermann Gerland: Alle haben alles aus sich herausgequetscht, die Konkurrenz war so groß. Bei Bochum darf man mal drei Spiele schlecht spielen, bei Bayern München guckt man dann zu.
Aber man könnte nach zwei oder drei Meisterschaften doch auch mal die Seele am Tegernsee baumeln lassen.
Hermann Gerland: Das hat keiner gemacht, ansonsten wären die Erfolge nicht möglich gewesen.
Macht es denn noch Spaß, auch die vierte Meisterschaft zu feiern?
Hermann Gerland: Es ist immer schön, wenn man auf dem Balkon steht und singt und lacht. Das erste Mal ist natürlich das schönste Mal, bei mir war das 2010 unter Louis van Gaal. Ich habe in Bochum angefangen, ich war ein durchschnittlicher Profi, auf einmal durfte ich mich Deutscher Meister nennen. Da habe ich mich nur gefragt, was denn hier gerade passiert. Überhaupt: Auch in den anderen Stadien, wenn wir dort mit Bayern aufgelaufen sind, herrschte immer eine bemerkenswerte Atmosphäre. Wenn man den Fußball gerne hat und nicht nur denkt, Schwarz-Gelb oder Blau-Weiß muss gewinnen, dann muss man das doch genießen. Wenn Leroy Sané, Serge Gnabry, Kingsley Coman und Jamal Musiala dribbeln. Ein Genuss.
Haben Sie in einem Jahr besonders die Sau rausgelassen?
Hermann Gerland: Es war immer anständig, manchmal konnten wir natürlich schon sehr früh feiern, das haben die anderen nicht gerne gesehen.
Wird es in den nächsten zehn Jahren einen anderen Meister geben?
Hermann Gerland: Wenn nicht irgendein Scheich kommt, der Dortmund jedes Jahr 300 oder 400 Millionen überweist, dann nicht. Auch Leipzig und Leverkusen geben die besten Profis ab, das Geld lockt nun mal. Wer soll dann den FC Bayern gefährden? In naher Zukunft wird es keinen anderen Meister geben. Und wünschen würde ich mir das auch nicht. Aber, ich komme aus dem Pott. Sollte es mal Dortmund oder Schalke schaffen, dann habe ich damit kein Problem. Ich mag den Pott.
Die Bayern haben unter Trainer Tuchel allerdings schon wieder verloren, diesmal 0:3 im Supercup gegen Leipzig. Was sagen Sie zu den Problemen?
Hermann Gerland: Das sind doch keine richtigen Probleme. Wenn Mathys Tel die Dinger gegen Leipzig reinmacht, dann geht das Spiel anders aus. Bayern hat gezeigt, dass jeder Spieler auf dem höchsten Niveau mithalten kann. Und jetzt kommt auch noch Harry Kane. Es wird für alle schwer, dem FC Bayern ein Bein zu stellen.
Einmal ein anderer Meister, das wäre doch schön. Oder?
Hermann Gerland: Ich habe 25 Jahre bei Bayern München gearbeitet, es sind immer noch Spieler dort, die ich gut kenne. Ich liebe zwei Vereine, das sind der VfL Bochum und der FC Bayern. Bochum wünsche ich den Klassenerhalt, Bayern die Meisterschaft. Wenn ich etwas anderes sagen würde, dann wäre das nicht wahr.
Und wenn Bochum Deutscher Meister werden könnte?
Hermann Gerland: Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren, das wird es nicht geben. Das sind Wünsche, die wohl nie in Erfüllung gehen.