Essen. Immer mehr Fußball-Stars wechseln in die saudische Liga. Sind die Milliarden-Investitionen nachhaltig? Eine Analyse.
Lust auf ein wenig Fußballromantik? Bitte schön. Steven Gerrard ist eine der Ikonen des FC Liverpool. Er ist geboren in der alten Hafenstadt, die teils sehr grau ist, aber ihren Klub lebt und liebt. Als Kapitän stemmte er 2005 den Henkelpott in die Luft. Mehr geht nicht.
Gerrard beendete 2015 seine Karriere, die Binde des Spielführers zog sich dann Jordan Henderson, 33, über – gerne auch eine in Regenbogen-Farben. Wie Gerrard ein Mittelfeldspieler, ein Champions-League-Sieger, einer aus dem armen, aber stolzen englischen Norden. Und damit einer, den sie in Liverpool besonders schätzen.
Inzwischen arbeitet Gerrard als Trainer, und wen hat der 43-Jährige da nun für sein Mittelfeld verpflichten? Richtig, Jordan Henderson.
Wechsel nach Saudi-Arabien - Thomas Hitzlsperger kritisiert Jordan Henderson
Das Problem an der britischen Wiedervereinigung ist ihr Ort, und da wird aus Fußballromantik recht schnell ein gebrochenes Fußballherz: Es handelt sich um Al-Ettifaq, zweimaliger saudi-arabischer Meister. Weil sich der 33 Jahre alte Henderson als passionierter Kämpfer für jegliche Ausprägung sexueller Orientierung eingesetzt hatte, flogen ihm sogleich Giftpfeile ins Geldparadies nach. Der frühere Nationalspieler und England-Profi Thomas Hitzlsperger, der sich 2014 zu seiner Homosexualität bekannt hatte, formulierte es noch sehr moderat: „Viel Glück in Saudi-Arabien, Jordan. Aber Du hast den Respekt vieler Menschen verloren, die Dir vertraut haben.“ In dem arabischen Land droht im schlimmsten Fall die Todesstrafe auf gleichgeschlechtliche Liebe.
Gerrard und Henderson sind zwei der prominenten Namen, die nun der Saudi Professional League zu nie dagewesener Popularität verhelfen sollen. Cristiano Ronaldo (38), der in die Jahre gekommene Weltfußballer, spielt seit Januar für Al-Nassr FC. Beim Verein mit den gelb-blauen Trikots, die auch auf deutschen Bolzplätzen immer beliebter werden, soll der Portugiese 200 Millionen Euro verdienen. Weitere namhafte Zugänge in Saudi-Arabien ohne Anspruch auf Vollständigkeit: der ehemalige Real-Madrid-Torjäger Karim Benzema (35), sein Landsmann, der französische Weltmeister N’Golo Kante (32), und nun auch noch Bayern Münchens Millionen-Flop Sadio Mané (31).
Finanziert wird das neue Fußball-Paradies am Persischen Golf vom Public Investment Fund (PIF), einem milliardenschweren Staatsfonds, geführt vom saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman. Jenem Autokraten, der für die Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi verantwortlich gemacht wird. Das Land hat sich schon als Sponsor bei der Formel 1 eingekauft und einen Grand Prix nach Dschidda geholt; es kontrolliert die Golf-Szene mit, weil es die einst marktführende PGA mit einer hochdotierten Alternativserie erfolgreich erpresst hat. Auch im Tennis und Radsport ist der Staat aktiv. Im Fußball trat der PIF bislang als Eigentümer von Premier-League-Klub Newcastle United in Erscheinung.
„Saudi-Arabien geht es darum, das Land auf der Weltkarte zu platzieren“, sagt Sebastian Sons, der beim Think Tank Carpo in Bonn zu saudischer Sportpolitik forscht. „Das Ziel ist, Saudi-Arabien als Wirtschaftsstandort attraktiver zu machen und den Tourismus zu fördern.“ Das Projekt nennt sich „Vision 2030“.
Saudi-Arabien: Liga ist nicht an die Finanzregeln der Uefa gebunden
Auf dem Weg dahin soll die heimische Fußball-Liga getunt werden; zunächst mit Hilfe ausländischer Stars. „Dennoch gehe ich davon aus, dass sich die exorbitanten Ausgaben in Stars in Zukunft reduzieren und man sich stattdessen darauf konzentriert, nachhaltig eine Infrastruktur aufzubauen, um eigene Talente zu entwickeln“, sagt Sons. In dem Land mit 36 Millionen Einwohnern gibt es durchaus eine tiefverankerte Fußballkultur – und die wollen die Herrscher nutzen. „Es gibt große, lokale Traditionsvereine im Land, man versucht, eine künstliche Rivalität zwischen Riad und Dschidda zu schüren, die Follower-Zahlen der Klubs und TV-Quoten sind nach oben gegangen. Die Menschen nehmen das an, anders als in Katar.“ Der Mitbewerber am Golf, WM-Ausrichter 2022, hatte ebenso versucht, eine Anlaufstelle für Altstars zu werden, war daran aber gescheitert – genauso wie China vor einigen Jahren.
Man muss kein Menschenrechtler sein, um das von Saudi-Arabien betriebene Sportswashing zu identifizieren, also der Versuch, mit Sportstars und -ereignissen von Missständen im Land abzulenken. Und auch in den Chefetagen der europäischen Klubs und Verbände blickt man kritisch auf den forschen Emporkömmling. Die saudische Liga ist nicht an die Finanzregeln der Uefa gebunden, ihre Klubs können horrende Ablösen und Gehälter bezahlen. Borussia Dortmunds Sportdirektor Sebastian Kehl sagte dem Kicker: „Es gehen ja inzwischen nicht mehr nur Altstars dorthin, sondern auch jüngere Spieler. Wenn sich das so fortsetzt, entwickelt sich der Fußball in einer Richtung, die ihm ganz sicher großen Schaden zufügen wird.“
Es ist davon auszugehen, dass die Saudis ihr Fußball-Engagement weiter verstärken. Die Bewerbung um die WM 2030 ist zwar gescheitert, doch Sebastian Sons glaubt nicht, dass die Pläne in die Schublade wandern. Auch die Rechte für die Frauen-WM könnten aus Image-Gründen interessant sein. „Ich halte das Szenario, dass in ferner Zukunft Europapokal-Spiele in Saudi-Arabien stattfinden, für nicht ausgeschlossen, glaube aber nicht an ein Exklusiv-Recht für Saudi-Arabien.“ Das Land sei wegen der Infrastruktur sowie geringer Zeitunterschiede und Flugdauer ein interessanter Markt. Für die alte Fußball-Welt wäre es jedoch ein Albtraum.