Dortmund. Siegener Eiscafé soll Drehscheibe der ’Ndrangheta gewesen sein. Warum die Anwälte der Beschuldigten die Anklage massiv kritisieren.
Die drei mutmaßlichen Mafiosi wirkten, als strahlten sie eine Mischung aus Gelassenheit, Gleichgültigkeit und Zuversicht aus, als sie am Mittwochvormittag in Handschellen und in Begleitung von fünf Justizbeamten in den Gerichtsaal gebracht wurden. Leger gekleidet in Jeans und schwarze Pullover, keine Extravaganz, zurückhaltendes Auftreten. Per Handschlag begrüßten die Drei Angehörige aus dem Zuschauerbereich. Wenige Worte, ein paar Aufmunterungen. Später durften sie kurz mit ihren anwesenden Vätern sprechen. Zu den Vorwürfen aber schwieg das Trio, das ein Eiscafé in Siegen zur Unterstützung der ’Ndrangheta benutzt haben soll. Die „Mauer des Schweigens“, die Staatsanwalt Julius Sterzel der kalabrischen Mafia-Organisation attestierte, sie hielt am Mittwoch in Saal 129 des Landgerichts Dortmund – zumindest beim angeklagten Trio, dem die zuständige Staatsanwaltschaft Düsseldorf vorwirft, sich seit Dezember 2016 als Mitglied einer ausländischen kriminellen Vereinigung betätigt sowie banden- und gewerbsmäßig Geldwäsche betrieben zu haben.
Während die drei Angeklagten vor der Staatsschutzkammer zunächst nichts zu sagen hatten und das Schweigen nach Aussage ihrer Anwälte wahrscheinlich auch im Laufe dieses Prozesses beibehalten werden, schlugen ihre – insgesamt sieben anwesenden – Verteidiger teils verbal auf den Putz. Die Anklage sei „skandalös“, schimpfte etwa Nicolai F. Mameghani, Düsseldorfer Anwalt eines der angeklagten Männer, im Gespräch mit der WESTFALENPOST: „Das ist alles Wischiwaschi, aufgebauscht.“ Mit der ’Ndrangheta habe sein Mandant „nichts zu tun“.
Sein Kollege Reinhard Peters bezeichnete den Vorwurf, dass sein Mandant Mafia-Mitglied sei, als „völligen Blödsinn“, die Anklage stehe in diesem Punkt auf „tönernen Füßen“. Der Bochumer Anwalt prophezeite: „Den Vorwurf wird man nicht nachweisen können, und der ist auch nicht zutreffend.“ Daher erwarte er in dem Punkt einen Freispruch. Verteidigerin Denise Gerull verlas noch im Gerichtssaal eine Stellungnahme, in der sie die Anklage der Staatsanwaltschaft wegen der ihrer Meinung nach unpräzisen, haltlosen und abstrakten Vorwürfe scharf kritisierte und mit klischeehaften „Berichten der Regenbogenpresse“ über die Mafia verglich.
Das war ein unterhaltsames Schauspiel zum Auftakt in den bis zum 30. August angesetzten Prozess, der ansonsten jedoch inhaltlich wie erwartet startete.
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Staatsanwalt: Eisdiele Basis für Mafia-Operationen
Am ersten von insgesamt elf Verhandlungstagen blieb es bei der Verlesung der Anklage. Staatsanwalt Sterzel von der bei der Behörde in Düsseldorf angesiedelten Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten in Nordrhein-Westfalen (ZeOS NRW) trug vor, dass die Brüder Antonio und Francesco M. (37 und 39) die Eisdiele in der Siegener City seit 2017 als GmbH betrieben haben sollen. Antonio G. (25), zum Zeitpunkt der angeklagten Taten im juristischen Sinne teils noch ein Heranwachsender, soll als Angestellter dort gearbeitet haben. Die Eisdiele in Siegen soll den Ermittlern zufolge der Wäsche von Gewinnen aus dem Drogenhandel, aber auch als Logistikstützpunkt und Rückzugsraum für die `Ndrangheta gedient haben, auch sollen dort weitere Mitglieder der Mafia-Organisation zeitweise angestellt gewesen sein. Zudem sollen Teile der Einnahmen aus dem Tagesgeschäft an `Ndrangheta-Mitglieder in Italien abgeführt worden sein.
Die Mitgliedschaft in einer ausländischen kriminellen Vereinigung kann mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden, die banden- und gewerbsmäßige Geldwäsche mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Das angeklagte Trio – laut Staatsanwaltschaft weder in Deutschland noch Italien vorbestraft – war den Ermittlern bei Durchsuchungen rund um die im Juli 2020 gestartete europaweite Anti-Mafia-Operation „Eureka“ im Mai 2023 ins Netz gegangen. Das „Al teatro“ wurde damals geschlossen. Der jüngere der beiden Brüder aus der `Ndrangheta-Hochburg San Luca war Wochen nach der Razzia von den italienischen Behörden nach Deutschland ausgeliefert worden.
Hintermann der Siegener Mafia-Aktivitäten soll ein hochrangiges Mitglied der `Ndrangheta aus San Luca gewesen sein. Der Mann soll etwa 400.000 Euro in die Eisdiele investiert haben. „Bei der Staatsanwaltschaft Reggio Calabria in Italien wird er als einer der führenden Köpfe der `Ndrangheta im internationalen Drogenhandel geführt“, hatte Staatsanwalt Sterzel der WESTFALENPOST bereits vor Prozessbeginn gesagt. Der mutmaßliche Strippenzieher, Salvatore G. (Jahrgang 1974), soll der Schwager der nun angeklagten Brüder sein. Er soll derzeit in Kalabrien vor Gericht stehen.
Verteidiger hält Geldstrafe für möglich
Sterzel beschrieb am Mittwoch beim Verlesen der Anklage, dass das Trio aus der Siegener Eisdiele aus San Luca stamme, also aus jenem Dorf, welches das „Mutterhaus der `Ndrangheta“ sei und wo 3570 Einwohner und 39 Mafia-Familien lebten, dort seien „fast alle verwandt oder verschwägert“. Der Staatsanwalt betonte: „Die Angeklagten sind Mitglieder der `Ndrangheta.“
Während Francesco M. bei der Verlesung der Vorwürfe, die den Angeklagten durch zwei Dolmetscherinnen simultan übersetzt wurden, mitunter grinste, nahmen seine beiden Mitangeklagten den Vortrag des Staatsanwalts regungslos hin. Dafür wählte Verteidigerin Denise Gerull einmal mehr klare Worte. Sie erkannte in den Beschreibungen der Staatsanwaltschaft eine „beeindruckende Renaissance der Sippenhaft“. Sie sprach von einem „kaum zu erfassenden, unmoralischen, jedenfalls prozesswidrigen Versuch der Kriminalisierung“ ihres Mandanten durch die Staatsanwaltschaft. Habe ihr Mandant etwa, wie behauptet, Besuch aus Italien in Siegen aufgenommen, Freunde oder Verwandte, dann wäre das ein „üblicher wie auch humanitärer Akt“ gewesen – nicht aber die Nutzung einer Eisdiele als Rückzugsraum für eine kriminelle Organisation.
Verteidiger Peters erklärte im Gespräch mit der WESTFALENPOST zum Vorwurf der Geldwäsche, dass es sich allenfalls um eine „leichtfertige Geldwäsche“ handele, die sogar lediglich mit einer Geldstrafe geahndet werden könne (oder aber mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren). „Langjährige Haftstrafen werden dabei nicht rauskommen“, so der Anwalt. Sein Kollege Nicolai F. Mameghani ergänzte mit Blick auf seinen Mandanten: „Geldwäsche werden sie ihm auch nicht nachweisen können.“ Wenn überhaupt, dann seien seinem Mandanten Versäumnisse unterlaufen, „wie sie in jedem Lokal vorkommen“, etwa kleinere Fehler bei Rechnungen, oder vielleicht sei „mal zu viel Sahne bestellt“ worden. Die Angeklagten hätten eine Eisdiele betrieben. Mehr nicht.
Gut 25 Minuten – inklusive Vereidigung der Schöffen – dauerte am Mittwoch der öffentliche Teil der Verhandlung. Dann zogen sich die Verfahrensbeteiligten zu einem Rechtsgespräch zurück. Als Verteidiger Mameghani danach das Landgericht Dortmund verließ und auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Eiscafé erblickte, scherzte er: „Hier, hausgemachtes Eis, Skandal!“