Hagen. Die Tintenwelt-Romane von Cornelia Funke gehören zu den lebensverändernden Büchern. Kann die „Die Farbe der Rache“ die Fallhöhe halten?

Mit der Tintenwelt hat die Autorin Cornelia Funke ein Universum geschaffen, das nicht nur märchenhaft-fantastisch ist, sondern gleichzeitig eine Liebeserklärung an das Geschichtenerzählen. 20 Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes der Trilogie, „Tintenherz“, gibt es nun doch eine Fortsetzung. Denn Funkes große internationale Leserschaft wollte den Titel des letzten Bandes, „Tintentod“ (2007), nicht wörtlich nehmen und bat die Autorin inständig, Figuren wie Staubfinger, den schwarzen Prinzen und die Zauberzunge Meggie weiterleben zu lassen. Die Startauflage von Tintenwelt 4 mit 100.000 Exemplaren war sofort vergriffen, der Verlag musste nachdrucken.

„Die Farbe der Rache“ lässt sich auf mehreren Ebenen lesen, als spannendes Fantasy-Abenteuer, aber auch als komplexes Echo auf die Realität unserer Zeit. Es geht um Machtgier, Gewissenlosigkeit und die Bereitschaft zur Gewalt. Es geht um Lügen, die Gespenster der Vergangenheit und die Banalität des Bösen. Die Magie der Bilder löst den Zauber der Worte ab. Und wie so oft bei Cornelia Funke ist der Tod ein zentrales Thema. Wie erträgt man den Verlust geliebter Menschen?

Dahinter steckt Orpheus

Genau das kann Staubfinger, der Feuertänzer, nicht, als seine Frau, seine Tochter und seine Freunde Mo und Meggie neben weiteren Protagonisten aus unerklärlichen Gründen verschwinden. Sobald klar wird, dass Staubfingers alter Widersacher Orpheus dahinter steckt, stürzt sich Staubfinger in unüberlegte Aktionen.

Illustrationen aus „Die Farbe der Rache“ von Cornelia Funke

Die Autorin Cornelia Funke am Schreibtisch in ihrem früheren Haus in Malibu. Heute wohnt die Autorin in Italien.
Die Autorin Cornelia Funke am Schreibtisch in ihrem früheren Haus in Malibu. Heute wohnt die Autorin in Italien. © Dressler Verlag | Michael Orth
„Die Farbe der Rache“, erschienen beim Dressler-Verlag
„Die Farbe der Rache“, erschienen beim Dressler-Verlag © Zentrale | Dressler
Der Glasmann ist ein magisches Wesen aus der Tintenwelt und ein Schreibkünstler.
Der Glasmann ist ein magisches Wesen aus der Tintenwelt und ein Schreibkünstler. © Verlag Friedrich Oetinger GmbH | Dressler, Cornelia Funke
Ein Buch mit Illustrationen bringt viel Leid in die Tintenwelt.
Ein Buch mit Illustrationen bringt viel Leid in die Tintenwelt. © Verlag Friedrich Oetinger GmbH | Dressler, Cornelia Funke
Die Tintenwelt ist eine mittelalterliche Welt mit vielen Schatten, aber auch vielen Wundern.
Die Tintenwelt ist eine mittelalterliche Welt mit vielen Schatten, aber auch vielen Wundern. © Verlag Friedrich Oetinger GmbH | Dressler, Cornelia Funke
Zwei Schwestern helfen mit ihren Liedern, dass alles wieder gut wird.
Zwei Schwestern helfen mit ihren Liedern, dass alles wieder gut wird. © Verlag Friedrich Oetinger GmbH | Dressler, Cornelia Funke
Das Mädchen Lilia trägt Blütenranken auf der Stirn, und auch in der Eule steckt mehr, als auf den ersten Blick zu sehen ist.
Das Mädchen Lilia trägt Blütenranken auf der Stirn, und auch in der Eule steckt mehr, als auf den ersten Blick zu sehen ist. © Verlag Friedrich Oetinger GmbH | Dressler, Cornelia Funke
Der Wiedehopf ist Teil eines Mosaiks, durch das sich verknotete Fäden entwirren lassen.
Der Wiedehopf ist Teil eines Mosaiks, durch das sich verknotete Fäden entwirren lassen. © Verlag Friedrich Oetinger GmbH | Dressler, Cornelia Funke
Im dunklen Wald ist die Eule eine wichtige Weggefährtin.
Im dunklen Wald ist die Eule eine wichtige Weggefährtin. © Verlag Friedrich Oetinger GmbH | Dressler, Cornelia Funke
Wundersame Wesen wie Feen und Elfen bevölkern die Titenwelt.
Wundersame Wesen wie Feen und Elfen bevölkern die Titenwelt. © Verlag Friedrich Oetinger GmbH | Dressler, Cornelia Funke
Auf dem Marktplatz werden Gerüchte gestreut.
Auf dem Marktplatz werden Gerüchte gestreut. © Verlag Friedrich Oetinger GmbH | Dressler, Cornelia Funke
Rinaldi ist ein schlechter Troubadour und Mörder. Was hat er mit dem Rätterich zu tun? Das wird nicht verraten.
Rinaldi ist ein schlechter Troubadour und Mörder. Was hat er mit dem Rätterich zu tun? Das wird nicht verraten. © Verlag Friedrich Oetinger GmbH | Dressler, Cornelia Funke
Die magische Feder spielt eine wichtige Rolle in den Ereignissen.
Die magische Feder spielt eine wichtige Rolle in den Ereignissen. © Verlag Friedrich Oetinger GmbH | Dressler, Cornelia Funke
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Denn die Figuren, die Cornelia Funke entwirft, sind alles andere als harmlos, über ihre Helden muss man sich oft ärgern, und ihre Schurkinnen und Schurken erregen nicht selten Mitgefühl. Psychologische Schwarz-Weiß-Malereien interessieren die 1958 in Dorsten geborene Illustratorin nicht, die über das Zeichnen zum Schreiben kam. Ihre Bücher werden inzwischen in 50 Sprachen übersetzt. Nach Jahren in den USA zog Funke vor einiger Zeit zurück nach Europa, in die Toskana in Italien, wo sie auf einem Anwesen junge Künstlerinnen und Künstler mit Stipendien fördert.

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Klimawandel sowie die Polarisierung und Verrohung der Gesellschaft durch populistische Manipulationen und Fake News sind für die Person Cornelia Funke große Themen. Die Schriftstellerin hingegen hütet sich, den Zeigefinger zu erheben. Stattdessen verhandelt sie solche Fragen in ihren magisch-verfremdeten Schauplätzen mit vielen düsteren Schattierungen. „Die Farbe der Rache“ ist erst ab 14 Jahren empfohlen, denn es kommt durchaus Gewalt vor, deren Folgen unwiderruflich sind. Aber Funke erfindet auch überraschende Hoffnungsträger wie die junge Lilia aus dem Wald, die ihren grünen Zauber und ihre Kräfte aus dem Einklang mit der Natur gewinnt, und den Goldschmied Jehan, den eigenwilligen Stiefsohn Staubfingers, der von Herzen liebt, was er tut und dem es deshalb gelingt. Antagonist ist der halbwüchsige Grappa, dem von seinem Vater jegliches Schmerzempfinden und jegliche Empathie ausgetrieben wurde. Grappa tötet geschäftsmäßig. Töten ist für ihn wie Aufräumen.

Die Verantwortung des Künstlers

Die Verantwortung von Künstlerinnen und Künstlern gegenüber der Gesellschaft ist eine weitere Erzählebene. Orpheus, der das Unheil in Gang setzt, ist ein Plagiator, der seine Kunst missbraucht, um Einfluss und Reichtum zu erlangen. Und doch handelt er aus einer Art verschmähter Liebe heraus, offenbar ein starker Antrieb für das Böse. Der Buchmaler Balbulus hingegen will als Genie in die Historie eingehen. Ihm ist durchaus klar, dass mit den Farben, mit denen er Staubfingers Freunde malen soll, etwas nicht stimmt, aber die Eitelkeit siegt über das Gewissen: „Hatte er sich zum Werkzeug machen lassen? Schluss Balbulus. Du hast nur deine Kunst ausgeübt.“

Cornelia Funke: Die Farbe der Rache, Dressler-Verlag: Das Buchcover.
Cornelia Funke: Die Farbe der Rache, Dressler-Verlag: Das Buchcover. © Zentrale | Dressler

Die wahre Magie des Romans besteht allerdings in Cornelia Funkes Sprache. Die Erzählung tanzt in federleichten Sätzen über die Seiten, sie lässt keine Leserin, keinen Leser zurück; die Tintenwelt entsteht bildstark beim Lesen im Kopf. Hinter dieser scheinbaren Schlichtheit steckt eine faszinierende Sorgfalt und Präzision des Ausdrucks. Kein Wort ist in diesem Roman zufällig und keines ist zu viel.

Am Ende kann der Zauber der Worte das Böse nicht heilen. Aber Worte können erinnern. Und sie können eine Heimat schaffen, sogar in der Fremde. Das weiß der schwarze Prinz, der Anführer der Wandergaukler: „Geschichten, mein Herz, sind wie unsere Zelte: ein Zuhause, das man mit sich tragen kann.“