Hagen. Die Umweltpsychologin Dr. Helen Landmann von der FernUni Hagen forscht zur Energiewende. Ein Ergebnis: Gegner überschätzen ihre eigene Haltung.

Man könnte meinen, nicht nur in der Theorie wäre eine große Mehrheit in der deutschen Gesellschaft für mehr Klimaschutz und für die Energiewende. Je konkreter es mit der Umsetzung von Maßnahmen für die Einzelne und den Einzelnen wird, desto mehr scheint diese Zustimmung zu zerbröseln wie ein Schloss aus Sand in der Wüste. Mit der Frage, weshalb Menschen umweltpolitischen Maßnahmen zustimmen oder diese ablehnen, beschäftigt sich die Umweltpsychologin Dr. Helen Landmann. Die Wissenschaftlerin der Fernuniversität Hagen arbeitet fakultätsübergreifend an dem vom Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium (BMWK) beauftragten und 2022 gestarteten Projekt „Hemm-den-Wind“.

Frau Dr. Landmann, worum geht es bei dem Projekt?

Dr. Helen Landmann: Es geht in erster Linie um den Windkraftausbau, dem das BMWK eine große Bedeutung bei der Energiewende beimisst. Der Titel des vom Ministerium geförderten Projektes lautet komplett „Klagen und Bürgerbegehren als Hemmnisse für den Windenergieausbau in Deutschland – Hemm-den-Wind“. In den Jahren 2018 bis 2020 war der Ausbau der Windkraft an Land drastisch eingebrochen. Das lag auch an Klagen und Bürgerbegehren. Es geht im Projekt darum zu analysieren, unter welchen Umständen sich Bürgerbegehren und Klagen gegen Ausbauvorhaben entwickeln und wann sie erfolgreich sind. Untersucht werden drei Perspektiven. Die politische, die rechtliche und die psychologische.

Gibt es hinsichtlich der Psychologie der Energiewende bereits Ergebnisse?

Bereits bestehende Forschung zeigt, dass das vielen bekannte „Not in my backyard“ Phänomen Protest gegen Windkraft nicht gut erklärt. Das Phänomen würde bestehen, wenn Menschen Windkraft generell befürworten würden, nur nicht in ihrer Nähe. Menschen, die gegen Windkraft vor Ort sind, finden aber meist Windkraft generell nicht gut. Das ist etwas anderes. Dabei gibt es übrigens eine interessante Fehlwahrnehmung. Bei einer Befragung durch die Fachagentur Wind an Land waren 16 Prozent der Befragten gegen Windkraft. Nach ihrer Einschätzung gefragt, vermuteten dieselben Befragten aber, dass rund 40 Prozent gegen Windkraft seien. Also eine deutliche Überschätzung der ablehnenden Haltung.

Das bedeutet, die Zustimmung zur Energiewende ist auch konkret vor Ort möglicherweise größer als sie mitunter erscheint?

Die eben genannte Befragung und auch weitere ähnliche Befragungen legen das nahe. Menschen, die sich gegen Windkraft engagieren sind in der Regel lauter und auffälliger als diejenigen, die für den weiteren Bau von Windkraftanlagen sind. Daher wird die Anzahl der Gegner und Gegnerinnen leicht überschätzt.

Wenn das Umweltbewusstsein so hoch ist, warum sind wir dann im konkreten Handeln im Alltag nicht bereits viel weiter mit dem Klimaschutz und der Energiewende?

In vielen Bereichen lässt sich eine Kluft zwischen Einstellung und Verhalten beobachten: Viele Menschen fänden es gut, mehr Sport zu machen oder sich gesünder zu ernähren, was noch lange nicht heißt, dass sie das dann auch tatsächlich tun. Ähnlich ist es mit umweltfreundlichem Verhalten. Auch wenn jemand es sinnvoll fände, mehr Fahrrad zu fahren oder weniger Fleisch zu essen, kann es schwer sein das Verhalten umzusetzen. Dazu kommt noch, dass Umweltprobleme wie der Klimawandel oder die gefährdete Artenvielfalt Probleme sind, die nur gelöst werden können, wenn viele Menschen an einem Strang ziehen. Auch wenn die Menschen etwas als grundsätzlich sinnvoll betrachten, schauen sie daher sehr genau darauf, was andere tun, ob ihre eigene veränderte Verhaltensweise und ein möglicher Verzicht tatsächlich eine Wirkung haben – und ob die Lasten gerecht verteilt sind.

Aber woher soll ich genau wissen, wie mein Nachbar tickt und was er tut?

Das ist schwierig. Hier gibt es ein sogenanntes soziales Dilemma. Das ist eine Situation, bei der es für alle gut wäre, wenn sich alle kooperativ verhalten würden. Wenn zum Beispiel alle Menschen auf der Welt nur so viele Ressourcen verbrauchen würden, wie sich in derselben Zeit wieder regenerieren könnten. Allerdings hat eine Person üblicherweise keine Kontrolle über das Verhalten der anderen und kann sich dadurch nicht sicher sein, ob diese kooperative Lösung zustande kommt.

Wie kann man das Problem lösen?

In solchen Situationen ist es schwierig, die Verantwortung ausschließlich auf einzelne Personen zu legen. Für Menschen in schwierigen sozio-ökonomischen Verhältnissen ist es nicht ohne weiteres zumutbar, in die Energiewende zu investieren. Eine Pro-Kopf-Rückzahlung der CO2-Steuer könnte dem entgegenwirken. Für Menschen in der Stadt ist es viel leichter als für Menschen auf dem Land, auf ein eigenes Auto zu verzichten. Gibt es einen guten Öffentlichen Personennahverkehr, ist es einfacher vom Auto wegzukommen. Wenn sich Menschen dafür einsetzen, dass sich solche Rahmenbedingungen verbessern, löst sich das Dilemma.

Das scheint allerdings nicht immer zu klappen. Das Gebäudeenergiegesetz hat zum Beispiel viel Widerspruch und Empörung ausgelöst.

Bei der Akzeptanz für die Energiewende geht es auch um Fairness und Gerechtigkeit. Politische Maßnahmen müssen als nötig, effektiv und fair wahrgenommen werden, um eine hohe Akzeptanz zu erreichen. Allerdings sind das keine objektiven Kriterien. Bei einigen Personen hat das Gesetz vermutlich gerade auf diesen Bewertungsdimensionen nicht gut abgeschnitten.

Gibt es Möglichkeiten, die Akzeptanz zu erhöhen?

Es lohnt sich, Lösungen zu suchen, die von möglichst vielen der betroffenen Personen als gerecht wahrgenommen werden. Dabei kann man distributive und prozedurale Gerechtigkeit unterscheiden. Bei distributiver Gerechtigkeit geht es darum, wie Lasten und Nutzen verteilt sind. Das bedeutet am Beispiel Windkraft: Wenn die Menschen, die auf das neue Windrad schauen, etwas davon haben, beispielsweise reduzierte Strompreise, dann funktioniert es häufig gut. Die Gewinne werden sozusagen verteilt.

Also Akzeptanz durch finanzielle Vorteile. Was verstehen Sie unter prozeduraler Gerechtigkeit?

Damit ist gemeint, ob der Ablauf als gerecht wahrgenommen wird. Transparenz und Beteiligung der Bevölkerung im Verlauf eines Ausbauprojekts sind enorm wichtig.

Helfen Informationsveranstaltungen zur richtigen Zeit, bevor Entscheidungen gefallen sind?

Menschen, die bei Konflikten um Windkraftanlagen vermitteln, berichten uns, dass Marktplatzformate besser funktionieren, bei denen nicht frontal etwas verkündet wird. Dabei können sich einzelne Personen an verschiedenen Ständen wie auf einem Markt informieren. Bei manchen Projekten reicht das schon. Bei anderen ist es nötig, dass die Leute vor Ort bei der Ausgestaltung des Projekts mitbestimmen können. Für die Akzeptanz solcher Projekte spielt allerdings noch eine dritte Form der Gerechtigkeit eine Rolle.

Welche?

Die Anerkennungsgerechtigkeit. In der Lausitz wird gerade die höchste Windkraftanlage an Land in Deutschland gebaut. Wenn sich das als positives Alleinstellungsmerkmal der Region durchsetzt, auf das man stolz sein kann, kann das die Akzeptanz zusätzlich fördern.

Zur Person Dr. Helen Landmann

Helen Landmann studierte Psychologie in Jena, Cardiff (UK) und Berlin und promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin zu moralischen Emotionen.

Seit 2016 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrgebiet Community Psychology an der Fernuniversität Hagen und forscht dort zur Rolle von Emotionen für das soziale Zusammenleben. Sie untersucht grundlegende Mechanismen von Emotionen (moralischer Ärger, Bedrohungserleben und Gefühlen des Bewegtseins) und deren Relevanz in unterschiedlichen Kontexten (Umweltschutz, Flucht und Integration und Co-Radikalisierung).

Dr. Helen Landmann ist aktives Mitglied in der International Society for Research on Emotion (ISRE), dem Fachnetzwerk Sozialpsychologie zu Flucht und Integration (Informationen unter www.fachnetzflucht.de) und der Initiative Psychologie im Umweltschutz (IPU e.V.). Quelle: Fernuni Hagen