Bochum/Duisburg/Essen. Schmerzen, Depressionen, Ängste? Forscher bestätigen: Umarmungen lindern Beschwerden. Auch Umarmungskissen und schwere Decken können helfen.

Ein Streicheln über den Arm, ein dicker Drücker, Händchenhalten: Es fühlt sich nicht nur gut an, sich zu berühren. Es hilft auch dabei, gesund zu leben. Das bestätigt eine neue Studie von Forschenden der Unis Bochum, Duisburg-Essen und Amsterdam. Also: sich einmal in den Arm nehmen – und der Stress lässt nach? Ganz so einfach ist es nicht. Aber auch nicht viel schwerer, wie Studienleiter Julian Packheiser erläutert. Und um die positive Wirkung zu erzielen, braucht man nicht mal einen anderen Menschen an seiner Seite.

Berührungen sind gut für die Gesundheit“, sagt Julian Packheiser. „Das wussten wir schon vorher. Aber was wir herausfinden wollten: Unter welchen Umständen gilt das?“ Welche Folgen haben die Studienergebnisse für das Gesundheitssystem? Und wie kann man Berührungen auch im Alltag gezielt einsetzen? Dafür hat das Forschungsteam 130 internationale Studien zum Thema Berührungen mit rund 10.000 Teilnehmenden analysiert. Sie stellten fest, dass Berührungen vor allem helfen, Schmerzen zu lindern. Auch bei Ängsten und Depressionen zeigen sich positive Effekte.

Berührungsforscher Julian Packheiser
von der Ruhr-Universität Bochum (RUB).
Berührungsforscher Julian Packheiser
von der Ruhr-Universität Bochum (RUB). © RUB | RUB Marquard

Ein überraschendes Ergebnis: Es kommt dabei nicht so sehr auf die Länge der Berührung an. „Es muss keine teure, lange Massage sein“, so der Biopsychologe, „auch eine kurze Umarmung zeigt eine positive Wirkung.“ Also: Berührungen bei einer professionellen Massage, einer Physiotherapie, einer Akupressur können positive Effekte erzielen. Doch eine kurze Berührung unter Freunden und in der Familie tut es eben auch – und die Menschen fühlen sich besser. Weil unter anderem das Hormon Oxytocin freigesetzt wird. Das sogenannte Kuschelhormon. „Es wirkt stressredzuierend und schmerzlindernd.“

Angenehme Berührungen: Sollte man das Händeschütteln wieder einführen?

Sollte man also zur Begrüßung wieder das Händeschütteln einführen, das seit der Pandemie aus der Mode gekommen ist? „Beim Händeschütteln wäre ich ein bisschen vorsichtig“, so der 34-Jährige. Nicht nur, weil dadurch das Risiko steigt, dass Krankheiten übertragen werden. „Das Händeschütteln wird auch nicht das Bedürfnis nach intimer und emotionaler Berührung stillen.“ Und ein bisschen länger sollte die Berührung dann schon sein. Auch eine ganz kurze Umarmung zur Begrüßung wird nicht ausreichen. „Aber wenn man sich zehn, zwanzig Sekunden lang umarmt, könnte das hilfreich sein.“

Eine Umarmung von zehn, zwanzig Sekunden zeigt laut Studienleiter Julian Packheiser bereits eine positive Wirkung auf die Gesundheit.
Eine Umarmung von zehn, zwanzig Sekunden zeigt laut Studienleiter Julian Packheiser bereits eine positive Wirkung auf die Gesundheit. © Getty Images | Halfpoint

Direkter Hautkontakt ist dabei besonders sinnvoll für die geistige Gesundheit. „Vielleicht kombiniert man die Umarmung mit Händehalten“, empfiehlt der Forscher vom Institut für Kognitive Neurowissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Vorausgesetzt: Es ist gewünscht. Und die Hände sind nicht zu kalt oder gar verschwitzt. Man kann dabei auch den Nacken des Partners oder der Partnerin berühren, um eine noch stärkere Wirkung zu erzielen. „Alle Berührungen am Kopf und im Nacken hatten die stärksten positiven Gesundheitseffekte.“ Wobei auch Fußmassagen positiv aufgenommen wurden. Lediglich die Beine als Empfänger von Berührungen sind bisher kaum erforscht.

Umarmungen: Lieber öfter als länger

Mit einer einmaligen Berührung ist es natürlich auch nicht getan. „Wir haben herausgefunden, dass die Gesundheitseffekte steigen, wenn man sich häufiger berührt“, so Packheiser. Wie oft? „Das können wir nicht mit einer genauen Zahl belegen.“ Das sei individuell verschieden. Ein berührungsaffiner Mensch berührt andere vielleicht zehnmal am Tag intensiv. Seine Gesundheit wird sich dann womöglich bei 15 Berührungen am Tag verbessern, während seine Stimmung bei lediglich fünf Berührungen sinkt.

Wenn einfache Berührungen also so gut für Geist und Körper sind: Sollte man sie alleinstehenden Menschen nicht vermehrt ermöglichen? Zum Beispiel in Seniorenheimen ein tägliches Berührungsritual einführen? Vor dem Frühstück einmal drücken. „Ich halte das für eine sehr gute Idee“, sagt Packheiser. „Die Leute müssen das natürlich wollen, aber wenn das Bedürfnis da ist, kann man so nachhaltig und durch diese einfache Methode die mentale und physische Gesundheit verbessern.“ Zehn Sekunden umarmen – dafür brauchen auch Pflegekräfte nicht viel Energie aufzuwenden. „Das muss natürlich auch von der Pflegekraft gewollt sein“, betont Packheiser und verweist auf ein weiteres überraschendes Ergebnis der Studie: Die Berührung durch einen sozialen Roboter hilft ebenfalls bei körperlichen Beschwerden wie etwa Schmerzen. Auch Stresshormone werden so reduziert.

Berührungen: Es geht nichts über Haut auf Haut

„Allerdings waren da die Effekte bei der geistigen Gesundheit weniger stark“, räumt Packheiser ein. Da geht dann doch nichts über Haut auf Haut. Trotzdem: Ist gerade kein Mensch in der Nähe – und auch kein Roboter –, tut es ebenso ein weiches Kuscheltier. „Es sollte ein größeres Stofftier sein, man sollte es umarmen können“, sagt Packheiser. „Man kann auch ein schönes Kissen bereitstellen und gucken, ob es wirkt.“ Es gibt spezielle Umarmungskissen und schwere Decken, die eine nachweisbare Wirkung erzielen.

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Und wenn man gerade nichts und niemanden um sich hat, tut es auch eine Selbst-Umarmung. „Es gibt eine sehr spannende Studie, die Selbst-Umarmungen getestet hat“, so Packheiser. Dabei legt man die Hände um den eigenen Oberkörper und drückt sich selbst. „Es hatte ähnlich stressreduzierende Effekte wie wenn eine andere Person einen berührt.“

Alle Ergebnisse beziehen sich auf einfache Berührungen, beim Masseur oder innerhalb der Familie. Erotische Empfindungen waren bei dieser Studie nicht im Fokus. „Bei der sexuellen Berührung ist die Forschungslage extrem dünn“, sagt der Psychologe. „Intuitiv würde man natürlich sagen, dass die gesundheitlichen Effekte von sexuellen Berührungen sehr hoch sind. Wahrscheinlich deutlich höher noch als bei einer kurzen Umarmung.“

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