Bochum/Ravensburg. Kleine Karten, großer Hype. Warum sich so viele Menschen in aller Welt für das Sammelkartenspiel Disney Lorcana begeistern.

Im Mai ist es wieder so weit. Die Vorfreude ist riesig. „Alle warten schon darauf“, sagen Händler im ganzen Land. Manche müssen wahrscheinlich länger warten. „Wir werden wieder einige vertrösten müssen“, ist die Befürchtung in einigen Geschäften. War das letzte Mal schon so. Viele wollen nach Lorcana aber längst nicht jeder kommt hin. Zumindest nicht sofort.

Reise in eine magische Welt

Lorcana ist kein Ferienort an der Riviera, Lorcana ist eine magische Welt mit Bewohnern aus dem Hause Disney, zu der die deutsche Firma Ravensburger die Türen geöffnet hat. Es ist ein Trading Card Game (TCG) oder – auf Deutsch – ein Sammelkartenspiel.

Braucht man, wenn man spielen will: Ein Starterpack von Disney Lorcana
Braucht man, wenn man spielen will: Ein Starterpack von Disney Lorcana © DPA Images | Felix Kästle

Sammelkartenspiele sind nicht neu. Schon 1993 kommt mit der „Magic – The Gathering“ der Urvater des Genres auf den Markt. Drei Jahre später folgen „Pokémon“ und „Yu-Gi-Oh!“. Bei einem Sammelkartenspiel gibt es – anders als etwas bei einem Skatspiel bunte Karten mit Bildern und Texten. Man kauft ein sogenanntes Starterdeck, das in diesem Fall jeweils 60 der 204 erhältlichen Karten eines „Kapitels“ enthält. Aus denen stellt man sich für jeden Wettkampf seinen eigenen Stapel Karten gemäß den Regeln zusammen.

Experten sprechen von „Großer strategische Tiefe“

In „Lorcana“ sind Spielerinnen und Spieler „Luminari“, die mittels magischer Tinte Kreaturen aus dem Disney-Universum zum Leben erwecken. Donald und Dagobert Duck, Micky Maus und Goofy, Tinkerbell, Elsa, Robin Hood – die Auswahl ist nach 100 Jahren Disney ziemlich groß, zumal es jeden Charakter in verschiedenen Rollen und mit unterschiedlichen Fähigkeiten gibt. Außerdem gibt es Karten mit Gegenständen, Aktionen und neuerdings auch mit Orten. Wer durch geschicktes Einsetzen seiner Karten zuerst 20 Legenden gesammelt hat, hat die Runde gewonnen. (Genaue Anleitung unter www.disneylorcana.com/de-DE/how-to-play)

Klingt für den Laien ziemlich kompliziert, doch Siegmar Renn, Inhaber des auf Fantasy und Science-Fiction spezialisierten Spielzeuggeschäftes Highlander Games in Bochum, versichert: „Lorcana ist anders, ist einfach zu lernen.“ Dann schweigt er kurz und ergänzt. „Aber hart zu spielen.“ Steffen Vierrether, PR-Manager bei Ravensburger sieht das erwartungsgemäß ähnlich und spricht von einer „großen strategischen Tiefe“.

Die meisten Spieler sind zwischen 20 und 35 Jahre alt

Wenn man denn überhaupt spielen will. Manche Menschen sammeln die Karten, deren Zahl regelmäßig erweitert wird, nämlich einfach nur. Verschiedene Stufen der Seltenheit – und einige besonders rare Exemplare – sorgen dafür, dass einige Karten auf dem Zweitmarkt teilweise für Hunderte Euro verkauft werden. Wobei da noch Luft nach oben ist. Erst im vergangenen Jahr hat eine seltene Karte aus dem Spiel „Magic – The Gathering“ für rund 1,8 Millionen den Eigentümer gewechselt. Gekauft hat sie der US-Musiker Post Malone.

Wer hat zuerst 20 Legenden? Überall in Deutschland treffen sich Spieler und Spielerinnen bei Lorcana-Turnieren.
Wer hat zuerst 20 Legenden? Überall in Deutschland treffen sich Spieler und Spielerinnen bei Lorcana-Turnieren. © DPA Images | Fabian Strauch

Nicht jeder hat vor Erscheinen von Lorcana an einen Erfolg geglaubt. Im Gegenteil: In der Branche gibt es Bedenken, als Ravensburger das Spiel Anfang 2023 ankündigt. Zu verspielt und kindlich seien die Disney-Figuren, warnen Szenekenner – und täuschen sich. Gerade die Zusammenarbeit mit dem US-Unterhaltungsgiganten erweist sich als Segen. „Jeder kennt die Figuren, die meisten lieben sie“, sagt Renn. Obwohl die meisten Fans das Kindesalter ja längst hinter sich gelassen haben. „Der Großteil der Käufer ist zwischen 20 und 35“, bestätigt Vierrether. „Manchmal kommt aber auch der Vater mit seinem Sohn“, erzählt der Bochumer Händler. Lorcarna sei halt „generationsübergreifend“, heißt es bei Ravensburger.

Fans reißen sich um seltene Karten

So verrückt sind die Fans, dass die Jagd auf seltene Karten beginnt, bevor das Spiel überhaupt offiziell im Handel ist. Auf der Spielemesse „GenCon“ in Indianapolis stehen sie stundenlang an, um dort eines der Starter Packs zu ergattern. Und auf der „Spiel 23“ in Essen wird im Oktober extra eine zusätzliche Halle freigegeben, durch die sich die Schlange der Menschen, die aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland gekommen sind, ziehen kann, die Lorcana testen oder kaufen wollen oder anstehen für ein Autogramm auf einer Promokarte des Zeichners Dav Augereau. „Donald als Musketier, da werden Erinnerungen an meine Jugend wach“, sagt Lars aus Hamburg.

Charaktere aus 100 Jahren Disney-Geschichte sind auf den Karten abgebildet.
Charaktere aus 100 Jahren Disney-Geschichte sind auf den Karten abgebildet. © Los Angeles Times via Getty Images | Jay L. Clendenin

Die erste reguläre Auflage des Spiels ist im vergangenen August oft binnen Stunden ausverkauft. Im Internet explodieren daraufhin die Preise – bei Händlern wie auf dem privaten Zweitmarkt. „Wir haben schon erwartet, dass das Spiel ein Erfolg werden würde“, sagt Vierrether. „Aber die Größe des Erfolges hat alle unsere Erwartungen übertroffen.“

Noch wichtiger als die Größe aber ist, dass der Erfolg kein kurzfristiger ist. Der Markt der Sammelkartenspiele ist ein ganz eigener. Die Spieler und Spielerinnen sind zwar treu und bei Turnieren und Spieleabenden sehr aktiv, erwarten aber im Gegenzug, dass es regelmäßig neue Karten gibt und sich das Spiel weiterentwickelt. „Sammelkartenspiele rentieren sich nur als Langzeitinvestment“, weiß man bei Ravensburger.

„Ursulas Rückkehr“ wird für Mai erwartet

Schon im vergangenen November wird deshalb mit dem „Aufstieg der Flutgestalten“, das zweite Kapitel aufgeschlagen. Kapitel drei führt seit Februar in „Die Tintenlande“, für den 17. Mai wird in Kapitel vier „Ursulas Rückkehr“ erwartet, zumindest in den „Organized Play Stores“. Der übrige Handel muss sich zwei Wochen länger gedulden. Man gehe davon aus, heißt es bei Ravensburger, dass die produzierte Menge an neuen Karten in Zukunft ausreiche, um alle Wünsche zu erfüllen. Viele Händler sind nach noch skeptisch.

Lorcana ist leicht zu lernen, aber hart zu spielen.
Lorcana ist leicht zu lernen, aber hart zu spielen. © Los Angeles Times via Getty Images | Jay L. Clendenin

Im Drei-Monats-Rhythmus soll es dann mit neuen Kapiteln weitergehen. Wem die Zeit dazwischen zu lang wird, der kann Boosterpacks kaufen – kleine, blickdichte Tütchen mit zwölf Karten für 5,99 Euro. Das Prinzip gefällt nicht jedem. Wegen der Glücksspielkomponente der zufällig gepackten Booster-Packs ist Ravensburger in manchen Spielerforen im Internet in die Kritik geraten. Von „Glücksspielelementen“ ist da die Rede, und mancher warnt vor einem „Suchtpotenzial“ gerade für Kinder. Die seien gar nicht die Zielgruppe, hält das Unternehmen dagegen. Außerdem sei der Kauf von vielen zusätzlichen Booster-Packs keine Voraussetzung, um ein turnierfähiges Deck zu erstellen. „Mit der richtigen Strategie und einem Starter Deck als Basis kann man schon siegreich sein“, sagt Vierrether. Sammler und Sammlerinnen werden dennoch reichlich Geld investieren, um an besonders außergewöhnliche und extrem seltene Karten zu kommen. Das ist bei Fußball-Bildchen allerdings ebenso.

Eine internationale Erfolgsgeschichte

Bei Ravensburger dürfte man jedenfalls bisher recht zufrieden sein mit dem Ausflug nach Lorcana. „Das war die größte Produkteinführung in unserer Unternehmensgeschichte“, sagt Geschäftsführer Clemens Maier. Das Wagnis hat sich allerdings auch gelohnt. In Zeiten, in denen die Spielwarenbranche über sinkende Umsätze klagt, hat Ravensburger 2023 um fast zwölf Prozent zugelegt – vor allem durch die bunten Karten.

Längst ist das Phänomen Lorcana zu einer internationalen Erfolgsgeschichte geworden. Es gibt die Karten mit englischem, deutschem, französischem, italienischen und Ende des Jahres auch mit spanischem Text. Und so gibt es Ende des Jahres auch eine Europameisterschaft. „Lorcana“, ist der Bochumer Händler Renn dann auch überzeugt, „wird noch lange ein Thema sein.“

Lesen Sie auch