Wuppertal. In Wuppertal ist ein zweiter Mann angeklagt, den Energiemanager Bernhard Günther entstellt zu haben. Aber wer war der Auftraggeber?

Es ist schon der zweite Prozess in dieser Sache, und auch in diesem geht es um mehr als den Mann, der auf der Anklagebank sitzt, um mehr als die Frage ,War er‘s oder war er‘s nicht?‘. Seit bald sechs Jahren schon bemühen sich Ermittler wie Richter, die Hintermänner zu entlarven einer brutalen Tat: Wer wollte den Energiemanager Bernhard Günther beruflich aus dem Weg räumen, wer bezahlte womöglich dafür, dass der Familienvater mit Säure übergossen und für immer entstellt wurde? „Wir erwarten“, sagt Opferanwalt Martin Meinberg, „dass irgendjemand sein Schweigen bricht und den Auftraggeber benennt, der zweifellos existiert.“

Der nun angeklagte 36-Jährige will dieser Kronzeuge offenbar nicht sein. Der Vorsitzende Richter scheint es nicht einmal zu erwarten: „Sie müssen nichts sagen“, wirft Klaus Blume dem angeklagten Serben nur kurz zu, „aber Sie dürfen gerne.“ Nein danke, macht der Angeklagte unmissverständlich deutlich. „Ich möchte nichts aussagen“, lässt er den Dolmetscher übersetzen. „Dort sind meine Anwälte.“ Als einer der Verteidiger sitzt Wolf Bonn vor ihm; der Advokat aus Düsseldorf ist bekannt dafür, dass er mutmaßliche Mafiosi, Clan-Kriminelle und Rocker vertritt.

Aus der Untersuchungshaft kam der Angeklagte (36) mit einem Briefumschlag vom Gericht vor dem Gesicht.
Aus der Untersuchungshaft kam der Angeklagte (36) mit einem Briefumschlag vom Gericht vor dem Gesicht. © dpa | Henning Kaiser

Vorwurf: Schwere gemeinschaftliche Körperverletzung

Ein solcher soll Marco L. sein, im Milieu gilt er angeblich als Größe serbischer Clubs mit besten Verbindungen in die deutsche Szene. Der Ringer soll im Raum Köln auch als Bodyguard tätig gewesen sein. Sein Gesicht hat sich im Vergleich zu 2019, als er schon einmal beschuldigt war, verändert, die Haare sind raspelkurz, der Bart ist nur noch drei Tage alt. Vor den Fotografen versteckt er sich hinter einem Briefumschlag vom Gericht, während der Verlesung der Anklage schaut er kurz hinein. Den Vorwurf will er nicht noch einmal übersetzt bekommen: Der Staatsanwalt wirft ihm schwere gemeinschaftliche Körperverletzung vor.

Der damals 31-Jährige soll sich mit einem Komplizen am 4. März 2018 Bernhard Günther in den Weg gestellt haben, als der von seiner sonntäglichen Joggingrunde zurückkehrte. Die Brötchentüte fand die Spurensicherung später im Schnee, neben einem Erbsenglas mit 75-prozentiger Schwefelsäure: Die schüttete das Duo dem damals 51-Jährigen ins Gesicht. Die ätzende Flüssigkeit fraß Löcher in die Laufkleidung, verklebte und verformte noch in der heimischen Küche Türklinken, Boden und Spüle – und verletzte Haut und Augen des Opfers schwer. Es war wohl Glück, ärztliche Kunst und der Kampf des Opfers selbst, dass Günther nach mehreren Operationen wieder in den Beruf zurückkehren konnte. Und sein Augenlicht behielt, das er, davon sind die Ankläger überzeugt, verlieren sollte.

Mittäter aus Belgien sitzt für zwölf Jahre in Haft

Ermittelt werden konnten die Täter lange nicht. Erst nachdem eine Belohnung ausgesetzt worden war, nannte ein geheimer Informant Marco L. Der wurde 2019 festgenommen, musste aber mangels Beweisen wieder freigelassen werden. In der Folge gab „Quelle 1“ einen weiteren Namen preis: den eines Belgiers, der im Sommer 2022 in Wuppertal zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Zwar hatte der 43-Jährige energisch bestritten, sein Erbgut aber war in einem über das Säureglas gestülpten Handschuh gefunden worden, außerdem hatte er selbst eine offensichtliche Verätzung am Fuß.

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Schon im Prozess war der Name des jetzigen Angeklagten immer wieder gefallen, sein Foto überlebensgroß an die Wand projiziert worden. Der verurteilte Mittäter sprach viel von Marco L., als Freund, als Feind, jedenfalls als gutem Bekannten aus einem Saunaclub in Grefrath. Die gesamte Beweisaufnahme habe „neue Erkenntnisse“ geliefert, sagte der Vorsitzende Richter Holger Jung in seinem Urteil, Beobachter verstanden das als deutlichen Hinweis an die Ermittler. Man habe seither „jeden Stein umgedreht“, bestätigt auch Rechtsanwalt Meinberg. Im Juni reichten der Staatsanwaltschaft die Beweise, der 36-Jährige wurde in Dortmund festgenommen.

Will endlich wissen, wer die Drahtzieher sind: Nebenklage-Anwalt Martin Meinberg aus Gelsenkirchen.
Will endlich wissen, wer die Drahtzieher sind: Nebenklage-Anwalt Martin Meinberg aus Gelsenkirchen. © dpa | Henning Kaiser

Ob diese neue Hauptverhandlung nun die wahren Auftraggeber enthüllt, werden die nächsten Wochen zeigen. Es sind viele neue Zeugen aus dem Umfeld L.s geladen, zudem kann er auf Milde hoffen, wenn er Namen nennt. Anwalt Meinberg hält die Beweise für „erdrückend“, die Verteidigung hat naturgemäß „Zweifel“. Der 36-Jährige aber ist in den Augen der Nebenklage nur ein „Werkzeug“ von Hintermännern, die womöglich ein Interesse daran gehabt haben, Günther als beruflichen Konkurrenten auszuschalten. Diese Vermutung hat auch das Opfer selbst mehrfach öffentlich geäußert, man wolle „endlich wissen, wer dahintersteht“.

Bernhard Günther selbst, der damals Finanzvorstand bei der inzwischen zerschlagenen RWE-Tochter Innogy war und heute als Manager bei Fortum beschäftigt ist, sitzt diesmal nicht im Gerichtssaal. Am ersten Prozess hatte er an fast jedem Tag teilgenommen, dem Angeklagten ins Gesicht gesehen, seine Narben und auch seine Schmerzen offen gezeigt. Diesmal fehlt er bewusst: Auf Fotos der „Quelle 1“ hatte er Marco L. bereits damals als Täter erkannt, das Gericht aber konnte seine Aussage nicht verwerten. Diesmal will er ihm am Tag seines eigenen Zeugentermins unbelastet gegenübertreten.