Duisburg. Mohamedou Slahi ringt vor Gericht um die Einreise. Duisburg hält ihn noch immer für gefährlich. Sein Anwalt sagt, wie es weitergeht.

Die Stadt Duisburg kämpft gegen die Einreise des ehemaligen Guantànamo-Häftlings Mohamedou Ould Slahi (52). Sie hält ihn weiterhin für gefährlich. Zwar hatte ihm das Düsseldorfer Verwaltungsgericht in seiner Klage am 23. November 2023 Recht gegeben. Doch die Stadt, in der Slahi 13 Jahre lang lebte, beharrt in ihrem 33 Seiten starken Einspruch darauf, dass eine „umfassendere Gefahr“ von dem früheren Al-Kaida-Sympathisanten ausgehe. Jetzt muss das Oberverwaltungsgericht entscheiden.

Slahis Leipziger Anwalt Matthias Lehnert fürchtet, dass es nicht die letzte Instanz sein wird. „Es kann insgesamt sieben, acht Jahre dauern, bis wir letztendlich Klarheit haben über den Fall“, sagt der Experte für Menschenrechte im Gespräch. „Das ist belastend und rechtsstaatlich ab einem gewissen Punkt auch bedenklich. Aber zum Rechtsstaat“, räumt er ein, „gehört es dazu.“

Dass die Duisburger Ausländerbehörde seinem Mandanten „immer noch diese alten Vorwürfe“ mache, nennt Lehnert eine „zweite Peinigung. Nach 14 Jahren Guantánamo wurde er freigesprochen, weil sich Vorwürfe auch in einem langwierigen, rechtsstaatlich zweifelhaften Verfahren samt Folter nicht untermauern ließen.“

Slahi schrieb einen Bestseller über das Foltergefängnis

Wer ist dieser Mohamedou Ould Slahi? Er ist ohne Zweifel einer der bekanntesten Männer, die ohne Anklage in amerikanischer Gefangenschaft in Guantànamo Bay auf Kuba saßen. 2016 deportierten ihn die Amerikaner schließlich in sein westafrikanisches Heimatland Mauretanien.

In der Zelle schrieb Ould Slahi mit „Das Guantànamo-Tagebuch“ einen internationalen Bestseller über das Foltergefängnis, Hollywood drehte den Film „Der Mauretanier“ über sein Schicksal. Mit einer amerikanischen Menschenrechtsanwältin, die er während der Haft kennengelernt hatte, hat er ein gemeinsames Kind. Das Paar ist mittlerweile getrennt, Frau und Kind zogen von Berlin in die USA. Sein Bruder wohnt in Düsseldorf.

Seit 2020 kämpft Slahi für seine Einreise

Seit 2020 kämpft der Mann mit mauretanischem Pass gegen die unbefristete Einreisesperre der Duisburger Ausländerbehörde. 2000 war er nach einer Verurteilung wegen Sozialleistungsbetrugs ausgewiesen worden. Im November 2023 war er über die Niederlande, wo er derzeit lebt und einen Job an der Uni hat, in Begleitung von Sicherheitsbeamten nach Düsseldorf gefahren, um für seine Rückkehr zu streiten.

Das Verwaltungsgericht urteilte, Slahi habe Anspruch auf eine Befristung – ein Einreiseverbot dürfe eine Dauer von fünf Jahren nicht überschreiten. Es sei denn, er stelle eine „schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit dar“. Das Verbot könne nicht wegen eines Terrorismusverdachts aufrecht erhalten bleiben, „der nicht Gegenstand der ursprünglichen Antragsentscheidung war“.

Duisburg begründet, warum Slahi nicht mehr einreisen sollte

Die Stadt Duisburg hatte seinen Antrag auf eine rückwirkende Befristung des Einreiseverbots 2022 abgelehnt. Es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass er länger als behauptet noch enge Verbindungen zu Al Kaida aufrechterhalten habe, hieß es. In der Ordnungsverfügung der Ausländerbehörde, die Slahis Einreisesperre begründet, war bereits ersichtlich, was die Stadt umtreibt: „Es steht also zu befürchten, dass Sie angesichts der Vielzahl der in Deutschland lebenden mitunter auch bereits radikalisierten Islamisten von diesen aufgesucht und bedrängt werden könnten, sich (erneut) für die Ziele eines radikalen Islam und damit dem Jihad einzusetzen.“

Im Einspruch gegen das Düsseldorfer Urteil begründet die Stadt ihr Misstrauen mittlerweile ausführlich. „Die Straftat, die zur Ausweisung führte, diente der finanziellen Unterstützung von Al Kaida“, heißt es darin unter anderem. Slahi habe von den 6500 Euro, die er sich durch den Betrug verschafft habe, 4000 Euro an seinen Cousin Abu Hafs überwiesen, ein führendes Mitglied der Terrororganisation. Dass Slahi Al Kaida 1992 abgeschworen habe, sei nicht glaubhaft. Durch die Anwerbung des später in Paris verurteilten Marokkaners Karim Mehdi für Al Kaida 1992 „und durch die Vorbereitung eines Ausbildungslagers in Mauretanien im Jahr 1994“ sei das widerlegt.

Treffen mit einem Piloten der Anschläge vom 11. September

Die Stadt wirft ihm vor allem eine „wahrheitswidrige Berichterstattung über das Treffen in seiner Duisburger Wohnung im Oktober 1999“ mit einem Piloten der Anschläge vom 11. September 2001 vor. In der Verhandlung in Düsseldorf habe Slahi so getan, als habe er nie etwas anderes gesagt, als dass Ziad Jarrah bei dem Treffen dabei gewesen sei. Es gebe jedoch ausreichende Belege, dass er das bis zum November 2023 nicht getan habe.

„Weitere Ermittlungen“, so die Stadt, „gegen das Umfeld der Hamburger Gruppe oder gegen Mehdi und sein Umfeld im Zusammenhang mit dem 11.9.2001 könnten durch weitere irreführende öffentliche Darlegungen“ Slahis und durch seine Kontaktaufnahme mit Personen in Deutschland gefährdet werden.

Slahis Anwalt hält die Vorwürfe für abwegig

Lehnert hält das für abwegig und sagt über seinen Mandanten: „Dass er Kontakte hatte, hängt damit zusammen, dass er in Duisburg soziale Netzwerke hatte und die Kontakte nicht völlig abgebrochen sind. Aber davon hat er sich losgesagt, und es gibt abgesehen von den Treffen keine Indizien, dass er in irgendwelche Planungen oder Strukturen eingebunden war.“ Es sei auch nicht klar, was ihm aufgrund von Folter in Guantánamo nahegelegt wurde. „Unklarheiten kommen also nicht von ungefähr.“ Slahi habe vielmehr jede Menge Versöhnungsarbeit geleistet. „Er hat sich sogar mit seinen Peinigern getroffen.“

1988 kam Mohamedou Ould Slahi nach Duisburg

Duisburg war Slahis deutscher Aufenthaltsort. 1988 kam er als 18-Jähriger mit einem Stipendium von monatlich 900 Mark an die Duisburger Uni. Er studierte Maschinenbau und Elektrotechnik, lernte sehr schnell fließend Deutsch, fühlte sich wohl im Ruhrgebiet, von dem er vorher nur die populären Fußballklubs kannte.

Jodie Foster spielt eine Menschenrechtsanwältin im Film über Slahi - „Der Mauretanier“
Jodie Foster spielt eine Menschenrechtsanwältin im Film über Slahi - „Der Mauretanier“ © TOBIS Film GmbH & Co. KG | TOBIS Film GmbH & Co. KG

Als Mudschaheddin-Gruppen Ende der 80er auch in Moscheen in Deutschland Freiwillige für den Kampf gegen das afghanische Regime von Mohammad Nadschibullah und die sowjetischen Besatzer rekrutierten, schloss er sich islamistischen Kämpfern am Hindukusch an. Ja, er habe „die Welt zum Positiven verändern“ wollen, erzählte er einer „Zeit“-Reporterin, die ihn vor einigen Jahren in Mauretaniens Hauptstadt Nouakchott besucht hatte.

Kämpfe in einem Dschihadisten-Camp

Als er 1991 schließlich nach Afghanistan reiste, waren die Sowjets bereits abgezogen. Er lernte das Kämpfen in einem Dschihadisten-Camp, das von einer damals noch jungen, relativ unbekannten Gruppe geführt wurde: Al Kaida. Ould Slahi hat immer wieder beteuert, dass er bald alle Verbindungen abgebrochen habe, das Verhalten der Islamisten habe ihn angewidert. Doch mit den Verbindungen geriet er immer wieder ins Visier des US-Geheimdienstes, auch als er längst wieder daheim in Duisburg war, sein Studium beendete, in Essen als Elektromechaniker Geld verdiente.

Mohamedou Ould Slahis Bruder, Yahdih Ould Slahi (links), mit Slahis Anwältin Nancy Hollander 2015 bei der Vorstellung von Slahis Buch über seine Jahre in Guantànamo.
Mohamedou Ould Slahis Bruder, Yahdih Ould Slahi (links), mit Slahis Anwältin Nancy Hollander 2015 bei der Vorstellung von Slahis Buch über seine Jahre in Guantànamo. © picture alliance | Andy Rain

Das Interesse der Amerikaner war nachvollziehbar: Sein Cousin Abu Hafs arbeitete als Berater für Al-Kaida-Chef Osama bin Laden und rief Ould Slahi von dessen Satellitentelefon an. Ein anderes Mal beherbergte Ould Slahi – angeblich auf Bitten eines Freundes – in seiner Duisburger Wohnung drei Studenten für eine Nacht, die Jahre später zum Terrorkommando des 11. September 2001 gehören sollten. Ermittlern galt er dem Vernehmen nach eine Weile als Chef-Rekrutierer für die Terror-Organisation.

Slahis Visum in Deutschland war abgelaufen

Als er auf Geheiß der Amerikaner 2001 in Mauretanien festgenommen wurde, weil sie ihn mit seinen Kontakten für eine große Nummer hielten, war nicht nur sein Visum in Deutschland abgelaufen – das Land hatte ihn auch ausgewiesen.

In Guantànamo, wo man nie Beweise dafür vorlegte, dass Mohamedou Ould Slahi Terroranschläge gegen die USA geplant oder unterstützt hatte, gilt er laut einer Lager-Statistik, über die die Süddeutsche Zeitung berichtete, als meistgefolterter Mann. Selbst die, die ihn unzählige Male verhört hätten, hielten ihn am Ende für unschuldig, heißt es. Laut „SZ“ hat auch das Bundeskriminalamt keine Hinweise gefunden, dass er Terrortaten vorbereitet oder gar ausgeführt hat.

Amerikanische Behörden sollen den Deutschen abgeraten haben

Laut Recherchenetzwerk von SZ, WDR und NDR soll das Bundesinnenministerium interveniert haben, nachdem das Auswärtige Amt einem Visumsantrag zugestimmt habe. Offenbar waren den Behörden seine Alias-Namen verdächtig, wann er mit wem Kontakt hatte, schien zudem nicht restlos geklärt. Auch die amerikanischen Behörden sollen den Deutschen abgeraten haben.

Slahis Anwalt Matthias Lehnert betont, dass Slahi keinen Umzug anpeile. „Es geht ihm nur um die Einreise. Um in Deutschland zu leben, bräuchte er ein Aufenthaltsrecht, und dafür gibt es derzeit keine validen Argumente und Grundlagen.“ Für 90 Tage dürfte Mohamedou Oulds Slahi sich frei in Deutschland bewegen, sollte die letzte Instanz in diesem Verfahren die Einreisesperre eines Tages kippen. Dazu will es Duisburg nicht kommen lassen.